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Heft 53: Dienstleistung in der Jugendhilfe - Jenseits von Hilfe und Herrschaft

1994 | Inhalt | Editorial | Leseprobe

Titelseite Heft 53
  • Dezember 1994
  • 120 Seiten
  • EUR 7,00 / SFr 13,10
  • ISBN 3-88534-100-X

Thomas Klatetzki

Zwei Modelle zur Beurteilung von Non-Profit-Organisationen

Angesichts des gegenwärtig propagierten Verständnisses von Jugendhilfe als Dienstleistung ist es dringend geboten, eine Debatte darüber zu führen, welche Kriterien an Einrichtungen im Sozialbereich sinnvollerweise zu legen sind, um deren Qualität beurteilen zu können. Im Zuge der Umstellung von Kommunalverwaltungen von Behördenstrukturen auf Dienstleistungsunternehmen soll ja eine - über ein Kontraktmanagement vermittelte Umschaltung - von der Input- zur Outputsteuerung erfolgen. Dies beinhaltet die Notwendigkeit, zu konkreten Leistungsabsprachen zu kommen, auf deren Basis dann Preise verhandelt werden können. Für die Einrichtungen der Jugendhilfe ergibt sich daraus das Erfordernis, zu definieren, was sie als ihre Leistung betrachten wollen.

Für die Behandlung der Frage nach Kriterien zur Einschätzung der Qualität von Sozialorgansiationen möchte ich exemplarisch auf die Heimerziehung Bezug nehmen und zwei Modelle vorstellen, auf deren Basis eine Bewertung der Leistung dieser Einrichtungen der Jugendhilfe vorgenommen werden kann. Das eine Modell basiert dabei auf ökonomischen Vorstellungen und paßt somit problemlos zur Diskussion um Jugendhilfe als Dienstleistung. Das andere Modell ließe sich als ein normatives - und damit letztlich wohl politisches - Modell verstehen und basiert auf hierzulande wenig bekannten theoretischen Überlegungen zu Organisationen als Institutionen.

Beide Modelle sollen nachstehend kurz skizziert werden, wobei ich eingangs aber auch gleich sagen will, bei welchem der beiden Modelle meine Sympathie liegt: Mir ist das Modell, das Organisationen als Institutionen sieht, sympathischer, weil es im Kern rational ist; seine Realisierungschancen halte ich aber - so wie die Dinge stehen - für gering. Demgegenüber sind die Durchsetzungschancen für das ökonomische Modell zweifellos deutlich besser, aber dafür erweisen sich die Grundannahmen dieses Modells im Sozialbereich als irrational. Was mit diesen Andeutungen gemeint ist, bemühe ich mich, umgehend deutlich zu machen: Ich beginne zu diesem Zweck mit der Darstellung des ökonomischen Modells.

Angesichts der neuen Begrifflichkeit der Jugendhilfe, die direkt aus der Ökonomie entliehen ist - Budget, Markt, Produkt usw. - liegt der Gedanke allzunahe, auch die Einschätzung der Qualität von Sozialeinrichtungen - zumindest in Analogie - an jenen Kriterien zu orientieren, die für Wirtschaftsunternehmen gelten. Das ist die einfache Grundvorstellung des ökonomischen Modells zur Leistungsbewertung: Unter der Qualität einer Organisation wäre dann vor allem ihre Effektivität und Effizienz zu verstehen. Allgemein bezeichnet Effektivität das Ausmaß, in dem ein gesetztes Ziel mit vorhandenen Mitteln tatsächlich erreicht wird, Effektivität drückt demnach den Zielerreichungsgrad bei gegebenen Mitteln aus. Effizienz beschreibt dagegen bei gegebenem Ziel die Höhe des Mitteleinsatzes. Zudem gibt es im ökonomischen Bereich ein verführerisch einfaches Maß für die Erfassung des effektiven und effizienten Arbeitens eines Unternehmens - den finanziellen Gewinn.

Im ökonomischen Modell werden also Organisationen als Mittel zum Erreichen des gewünschten Ziels "Profit" aufgefaßt. Bei einer Übertragung dieses Modells auf den Sozialbereich ist im allgemeinen unstrittig, daß der Maßstab "finanzieller Gewinn" für die Beurteilung von Einrichtungen untauglich ist. Diese Untauglichkeit leitet sich nicht aus fiskalischen Argumenten ab ("Gemeinnützigkeit"), sondern aus dem Umstand, daß die - nicht umsonst so genannten - Non-profit-Organisationen des Sozialbereichs sich nicht über ihre finanziellen Einnahmen definieren, sondern über die von ihnen in der Umsetzung sozialer Werte vollbrachten Dienste. Ohne Orientierung an einem sozialen Wert verlieren diese Organisationen ihren Sinn und damit zugleich ihre Existenzberechtigung.

Das Ziel des Handelns von Non-profit-Organisationen ist also nicht finanzieller Gewinn, sondern die Verwirklichung sozialer Werte. Im Jugendhilfebereich wären dies also, gemäß dem KJHG, Werte wie Erziehung, Entwicklung, Eigenverantwortlichkeit und Gemeinschaftsfähigkeit. Das ökonomische Modell zur Bewertung von Organisationen stört sich an diesem Unterschied nicht, sondern fragt, wie effektiv und effizient die Einrichtungen der Heimerziehung bei der Erreichung dieser sozialen Werte sind. Die jeweilige Qualität einer Einrichtung wäre dann meßbar, indem festgestellt würde, in welchem Ausmaß und unter welchem Mitteleinsatz die Organisation ein gestecktes Ziel erreicht.

Läßt man einmal die Frage beiseite, ob es sinnvoll ist, Organisationen als zielgerichtet handelnde soziale Einheiten zu verstehen, so läßt sich die Qualität einer Einrichtung der Heimerziehung im Sinne des ökonomischen Modells etwa auf folgende Weise messen: Man wählt ein pädagogisch als wertvoll erachtetes Ziel - z.B. die Einhaltung von gesetzlichen Regelungen - und stellt fest, wie sich das deviante Verhalten von Kindern und Jugendlichen der untersuchten Einrichtung in einem bestimmten Zeitraum entwickelt. Ein Rückgang von Devianz, erfaßt etwa anhand der beim örtlichen Jugendgericht anhängigen Verfahren, würde dann ein mehr oder minder ausgeprägtes Erreichen des Ziels signalisieren - mit der Folge, daß die Qualität der Einrichtung als hoch zu bewerten wäre. Gegensätzliche Schlußfolgerungen würden sich aus einer Zunahme der Devianz ergeben, eine unveränderte Häufigkeit abweichenden Verhaltens hieße, daß das Heim in die Kategorie "Nützt nichts, schadet nichts" einzureihen wäre.

So gesehen ist die Beantwortung der Frage von Qualität als Effektivität also einfach. (Und in der Tat plant z.B. der Ev. Erziehungsverband EREV eine Untersuchung, die die Leistungsfähigkeit der Heimerziehung in dem skizzierten Sinne dokumentieren soll.) Allerdings ist die Sache dann doch so einfach nicht, weil sich ja unmittelbar Zweifel über den angenommenen Wirkungszusammenhang zwischen Devianzrückgang und Heimerziehung einstellen. Z.B. wissen wir ja, daß Jugendkriminalität ein vorübergehendes Phänomen ist, das sich mit der weiteren Entwicklung der Jugendlichen von selbst "auswächst". Wir wissen weiter auch, daß Regelverletzungen angezeigt - oder besser gesagt - etikettiert werden müssen, um als solche von den Instanzen sozialer Kontrolle wahrgenommen zu werden. Ein Devianzrückgang kann daher auch auf ein verändertes Anzeigeverhalten der Bürger und der Polizei im Umfeld einer Einrichtung zurückgeführt werden. Wir können uns schließlich auch vorstellen, daß eine möglicherweise festgestellte Zunahme abweichenden Verhaltens in unserem Beispiel durch andere Instanzen als das Heim - etwa durch den Einfluß der Schule oder der Eltern - ausgelöst wird.

Man könnte sich noch weitere Interpretationsmöglichkeiten denken - worauf ich aber hinaus will, ist folgendes: Unsere sozialwissenschaftlichen Erkenntnisse reichen nicht aus, um eindeutige Aussagen darüber zu machen, was die gemessenen Daten nun "wirklich" bedeuten. Die sozialwissenschaftliche Literatur zur Leistungsfeststellung von Sozialorganisationen sieht dieses Dilemma von Bedeutung und Messung als unlösbar an, und insofern mag uns eine Aussage wie: "Devianzrückgang bedeutet qualitativ hochwertige Heimerziehung" vielleicht aus propagandistischen Gründen lieb sein, sie sagt aber nichts rational Verläßliches über die soziale Wirklichkeit der Heimerziehung aus. Und dieser Unterschied zwischen Rhetorik und Rationalität sollte unserem Wirklichkeitssinn zuliebe nicht verwischt werden.

Daß wir keinen eindeutigen Zusammenhang zwischen dem Handeln einer Einrichtung und den dadurch ausgelösten Folgen herstellen können, verweist nun aber darauf - und dieser wesentliche Punkt wird gern übergangen - daß wir in der Jugendhilfe über keine kausal wirkenden Methoden und Techniken zur planmäßigen Veränderung von Personen verfügen. Der Soziologe Niklas Luhmann sagt daher, daß das Handeln der Pädagogik ganz allgemein durch ein Technologiedefizit gekennzeichnet ist, wie er es vielleicht sprachlich etwas gewöhnungsbedürftig, aber nichtsdestotrotz zutreffend ausdrückt. Er meint damit die für Pädagoginnen alltägliche Erfahrung, daß Kinder und Jugendliche, als Individuen mit einem freien Willen, sich nicht kausal beeinflussen lassen. Wir erfahren dieses Technologiedefizit pädagogischen Handelns im Praxisalltag immer besonders dann, wenn die Jugendhilfe angesichts des riskanten Verhaltens von Jugendlichen - man denke an die Crash-Kids oder den Konsum von Drogen - kausale Wirkmechanismen am sehnlichsten herbeiwünscht.

Ich glaube, man sollte zugeben: In der Pädagogik gibt es keine funktionierende Sozialmechanik, wie sie es das Mittel-Zweck-Denken des ökonomischen Modells unterstellt. Wenn dem aber so ist, dann kann man auch in den Fällen, in denen gesetzte pädagogische Zwecke erreicht werden, nicht verläßlich sagen, ob die Zielerreichung tatsächlich auf die eingesetzten pädagogischen Mittel zurückzuführen ist oder nicht. Umgekehrt kann aus dem Umstand, daß ein Ziel nicht erreicht wird - die Devianz der Jugendlichen während des Heimaufenthalts geht z.B. nicht zurück - auch nicht geschlossen werden, die Einrichtung sei qualitativ minderwertig.

An dieser Stelle zeigt sich, warum das aus der Ökonomie übernommene Modell zur Qualitätsbeurteilung für die Heimerziehung unangemessen ist. Es geht nämlich von der Grundannahme aus, daß Organisationen über eine funktionierende Technik und Methodik verfügen. Der Vergleich von Organisationen anhand von Effektivität und Effizienz bezieht seinen Sinn u.a. genau daher, daß die Mitarbeiterinnen unterschiedlich kompetent in der Anwendung funktionierender Technologien sind. Wenn es aber keine funktionierende Technologie gibt - und in der Literatur werden Organisationen im Sozialbereich nicht umsonst als Organisationen mit mangelhafter Technologie gesehen - dann entfällt eine wesentliche Voraussetzung für die Verwendung des ökonomischen Modells.

In der Jugendhilfe gilt - auch wenn uns das nicht gefallen mag: Wir wissen eigentlich nicht, was wir tun und welche Wirkungen unser Handeln hat, und zwar nicht, weil wir zu dumm sind, sondern weil wir gar nicht wissen können, was wir wissen müßten. Und daher erscheint mir die Anwendung von Effektivitäts- und auch von Effizienzkriterien zur Qualitätsbeurteilung der Heimerziehung als nicht sinnvoll.

Soviel zunächst zum ökonomischen Modell, und ich möchte nun kurz die zweite der eingangs genannten Varianten, das normative Modell der Qualitätsbeurteilung, darstellen. Das normative Modell hält es für einen fehlerhaften Ansatz, Organisationen im Sozialbereich als technische Instrumente - oder genauer gesagt - als notorisch mangelhafte technische Instrumente zu verstehen. Es sieht Organisationen dagegen als soziale Gebilde, die soziale Werte verkörpern. Sozialorganisationen sind nach dieser Ansicht dadurch charakterisiert, daß sie legitime Elemente unserer Kultur in ihren formalen Strukturen reflektieren. Für die Jugendhilfe kann man das so verstehen, daß die Struktur einer Einrichtung der Heimerziehung gewissermaßen das pädagogische Denken der Praktikerinnen widerspiegelt.

Um diese abstrakten Formulierungen an einem Beispiel zu illustrieren: Stellen Sie sich bitte eine Einrichtung vor, die auf einem trägereigenen Gelände, ca. 50 km von einer Großstadt entfernt, in einem großen dreistöckigen Haus Heimerziehung betreibt. In der unteren Etage befinden sich die Büros der Leitung und Verwaltung, die zentrale Küche und die Hausmeisterwohnung. Im ersten Stock findet Gruppenerziehung statt - die Anzahl von Kindern und Jugendlichen in einer Gruppen variiert zwischen 8 und 12. Im obersten Stockwerk betreibt die Einrichtung betreutes Wohnen, das der Verselbständigung von Jugendlichen dienen soll. Zu diesem Zweck sind unter dem Dach sog. Appartements eingerichtet worden. Die Einrichtung verfügt über 42 Plätze, bei 23 Erzieherinnen und 10 Verwaltungs- und Hauswirtschaftskräften. Zudem gibt es einen Fahrdienst, um die Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel zu gewährleisten. Das Heim ist hierarchisch in vier Ebenen gegliedert, als da sind: Leitung, stellvertretende Leitung, Gruppenleitung und Mitarbeiterinnen. Vielleicht wundert es Sie nicht, wenn Sie erfahren, daß - sollten Sie das Heim besuchen - der Leiter bei einer Führung durch die Einrichtung viele Türen auf- und zuschließt und es selbstverständlich ist, daß Sie auch die Appartements der Jugendlichen besichtigen können. Sie werden zudem erleben, daß die Gruppenräume sehr gepflegt und die Möbel in einem guten Zustand sind.

Wenn Sie jetzt eine erste Ahnung davon haben, wie dieses Heim aussieht, dann wissen Sie, was mit der Formulierung gemeint ist, daß Organisationen im Sozialbereich mit ihren Strukturen Vorstellungen über soziale Werte reflektieren. Das wird vielleicht noch etwas deutlicher, wenn Sie als Kontrast zu der eben skizzierten Einrichtung an ein Heim denken, das aus dezentral eigenständigen und regional verteilten Wohngruppen mit jeweils 5-7 Kinder und Jugendlichen besteht, das keine Hauswirtschaftskräfte, Fahrdienste oder ähnliches unterhält und mit zwei, max. drei Hierarchiestufen auskommt. Es läßt sich zudem vermuten, daß es mit der Ordnungsliebe in den Wohngruppen nicht so weit her ist, wie in der voran geschilderten Einrichtung.

Die beiden kurzen Beispiele zeigen, wie sich Werte pädagogischen Denkens - z.B. Ansichten über Kontrolle und Autonomie - in formalen Strukturen niederschlagen, und umgekehrt, so ist hinzuzufügen, tragen die bestehenden Strukturen ihrerseits dazu bei, daß ein bestimmtes pädagogisches Denken aufrechterhalten werden kann.

Anders gewendet bedeutet das nun aber: Im normativen Modell wird angenommen, daß jede und jeder in der Jugendhilfe relativ genaue Vorstellungen darüber hat,

  • erstens, welche pädagogischen Werte wünschenswert sind und
  • zweitens, in welchen Organisationsstrukturen diese Werte ihre Verkörperung finden sollten.

Der Grundgedanke des normativen Modells besteht demnach darin, die Qualität der Heimerziehung anhand struktureller Merkmale zu bestimmen. Wie so etwas aussehen kann, möchte ich illustrieren, indem ich auf der Basis meiner praktischen Erfahrung eine mir wünschenswert erscheinende Liste von Strukturmerkmalen der Heimerziehung vorstelle. Unter Verweis auf die im 8. Jugendbericht eingeforderte Lebensweltorientierung der Jugendhilfe und den Dienstleistungsgedanken, der, wie man hört, im 9. Jugendbericht ja zentral sein soll, ist die Qualität einer Einrichtung daran feststellbar,

  • daß ihre Wohnformen dezentral und regionalisiert sind;
  • daß sie eine alltagsorientierte Erziehung durch hoch qualifizierte Professionelle - also auf jeden Fall auf der Ebene der Fachhochschulausbildung - betreibt;
  • daß diese Professionellen in autonomen Teams arbeiten;
  • daß sie schwierige Jugendliche nicht ausgrenzt, sondern sich kreative Betreuungssettings ausdenkt;
  • daß im Einklang mit dem Normalisierungsgedanken Spezialdienste - seien es Hauswirtschaftskräfte oder Psychologen - nicht Bestandteil der Einrichtung sind;
  • daß die Hierarchie der Einrichtung flach ist;
  • daß die Leitung pädagogisch ausgerichtet ist und daß der Verwaltung der Einrichtung daher eine Servicefunktion zukommt;
  • daß sie flexible Finanzierungsformen bevorzugt, um Veränderungsfähigkeit zu unterstützen;

Anhand dieser normativen Liste könnten nun Einrichtungen hinsichtlich ihrer Qualität dadurch beurteilt werden, daß festgestellt wird, wieviele der genannten Merkmale sie erfüllen. Es ist zudem eine Liste, mit deren Hilfe sich die Kosten der Heimerziehung relativ einfach bestimmen lassen.

Ich nehme aber an, daß vielleicht nicht jede und jeder mir in allen genannten Strukturmerkmalen zustimmen würden. Wenn dem so ist, müßte eine fachliche Debatte geführt werden, und es wären für die unterschiedlichen Standpunkte Begründungen vorzubringen, aus denen einsichtig wird, warum welche Werte in einer bestimmten Struktur so und nicht anders organisiert werden sollten. Auf diese Weise erfolgt eine Festlegung der Strukturmerkmale für eine Qualitätsbeurteilung von Einrichtungen im Rahmen eines Diskurses. Und das KJHG sieht auch Instanzen vor, in denen ein solcher Qualitätsdiskurs geführt werden kann: Zu nennen sind hier der Jugendhilfeausschuß, die Jugendhilfeplanung und die Arbeitsgemeinschaften nach § 78 KJHG.

Nun läßt sich an dieser Stelle natürlich einwenden, daß es unrealistisch sei, darauf zu hoffen, daß eine wirkliche, auf vernünftiger Einsicht beruhende Einigung über die wünschenswerten und verbindlichen Strukturmerkmale von Einrichtungen der Heimerziehung möglich ist. Und für diesen Einwand spricht einiges: Auch wenn das skizzierte normative Modell zur Bewertung der Realität der Heimerziehung angemessener ist, seine Umsetzung dürfte sich allerdings als schwierig erweisen. Aber es läßt sich sich dann auch sogleich fragen, woran es denn liegt, daß die Wahrscheinlichkeit für einen Konsens über wünschenswerte und verbindliche Organisationsstrukturen so gering sein soll. Und auf diese Frage scheinen mir nun zwei Antworten möglich zu sein. Einmal kann es daran liegen, daß in der fachlichen Diskussion der Jugendhilfe bisher keine auf rationale Urteilsfindungen ausgerichteten Verfahren angewandt werden, obwohl es derartige, erprobte Methoden gibt. Zum anderen kann es auch daran liegen, daß keine Bereitschaft vorhanden ist, das, was vernünftig ist, auch verbindlich werden zu lassen, und zwar weil andere Interessen als Rationalität im Spiel sind. Wir können nämlich angeben, in welchem Ausmaß in einem Qualitätsdiskurs die Chance besteht, daß sich die jeweils bessere Begründung von Strukturformen - und das heißt eine rationale Beurteilung von Qualität - durchsetzt, und es dementsprechend zu einem Urteil und Handeln auf der Basis von Einsicht kommen wird. Die Chancen für die Bildung rationaler Bewertungen sind umso größer, je herrschaftsfreier die öffentliche Fachdiskussion ist. Mit anderen Worten bedeutet das: Im normativen Modell ist die Frage der Qualität von Sozialorganisationen mit der Frage nach Machtstrukturen in der Jugendhilfe verbunden - denn die Frage, was rational wünschenswert ist, ist hier unmittelbar mit der Frage verbunden, warum wir das, was wir für sinnvoll halten, nicht realisieren können.

Es ist vielleicht nicht zufällig, daß im ökonomischen Modell zur Qualitätsbestimmung die Frage der Machtstrukturen überhaupt nicht ins Blickfeld kommt. Aber Pädagogik ist letztlich eine Angelegenheit der Moral, nicht der Technologie. Und aus diesem Grund erweist sich die Frage der Bestimmung von Leistungsmerkmalen in der Jugendhilfe als konsequenzenreicher, als es vermutlich jedem recht ist.

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