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Heft 92: Familienunternehmen - zur neoliberalen (Neu)Ordnung der Familie

2004 | Inhalt | Editorial | Abstracts | Leseprobe

Titelblatt Heft 92
  • Juni 2004
  • 136 Seiten
  • EUR 11,00 / SFr 19,80
  • ISBN 3-89370-392-6

Cindi Katz

Der Terror des Wachsamkeitswahns
Sicherheit und Kinderschutzindustrie in den Vorstädten

In einer frühen Szene im Film Der Terminator betritt der Cyborg Arnold Schwarzenegger ein Waffengeschäft in L.A. und möchte die Waren sehen. Der Ladenbesitzer demonstriert Uzis, Maschinengewehre, Raketenwerfer und andere anspruchsvolle Mittel des Overkills mit der nervösen Untertreibung "Any one of these will suit you for home defense purposes". Die wachsende Kinderschutzindustrie geht ähnlich vor. Den listigen Kommentar des Ladenbesitzers beibehaltend, profitiert dieses Geschäft von einer alles durchdringenden Kultur der Angst und erzeugt gleichzeitig eine Farce, ein Alibi und eine Ablenkung über die tatsächliche Absicht, nämlich das Eigenheim durch sinnlose Selbstverteidigungstechnologien, die es gegen unterschiedliche Formen des Eindringens wappnen sollen, zu einer Zitadelle zu machen. Diese Industrien bieten schlichtweg unbrauchbare technokratische Lösungen für umfassende soziale Probleme an. Noch wichtiger ist jedoch, dass das Wachstum der Kinderschutzindustrie eine weitere Antwort auf einen giftigen und schlüpfrigen Kriminalitätsfurchtdiskurs darstellt, der zu einer der zentralen Warenbestände des neoliberalen Staates geworden ist. Der seine sozialen Verpflichtungen reduzierende gegenwärtige Staat verleugnet seine Pflicht zur Aufrechterhaltung sozialer Ordnung natürlich in keiner Weise.

Pflicht zur Aufrechterhaltung von Ordnung, legitimiert durch eindimensionale Verweise auf Kriminalität, heizt eine Stimmung der Angst und des Misstrauens an und lässt zugleich verstärkte und zunehmend bösartige Formen des Policing, Gefängnisbau, härtere Strafen usw. als natürliche Antworten darauf erscheinen. Vor dem Hintergrund eines wachsenden und sich selbst verstärkenden Diskurses um Kriminalität, Furcht und Law and Order - die auf allen Ebenen des US-Staates vorangetrieben werden und von den konventionellen Medien weitgehend unhinterfragt bleiben - existiert wenig Bereitschaft, sich mit der Frage zu beschäftigen, ob diese Maßnahmen tatsächlich auf Kriminalität antworten oder der Erzeugung wirklicher öffentlicher Sicherheit dienen. Eines ist jedoch gewiss, der Angstdiskurs hat eine zunehmend gravierende häusliche Antwort auf die wahrgenommen Gefahren in unserer Mitte provoziert. Während der Staat die Furcht anfacht, um sich selbst und seine windschiefen Ausgaben zu legitimieren, begünstigen der Schrecken, den er erzeugt und das Misstrauen, das er schürt, zugleich das Wuchern privatisierter Bewältigungsstrategien. Von der Verbreitung bewaffneter Haushalte bis zur Alarmsicherung jeglichen Privateigentums scheinen viele Amerikaner darauf versessen zu sein, das Gesetz in die eigene Hand zu nehmen, der Ausbreitung von Politiken des Zero Tolerance Policing und dem Anwachsen des gefängnisindustriellen Komplexes zum Trotz - oder vielleicht gerade weil dadurch verursacht. Diese Tendenz produziert im Verbund mit jener Form pretiöser Besorgtheit um das Wohlergehen von Kindern, die seit den späten 1970er Jahren in den USA allgegenwärtig wurde (vgl. Katz 1995; Ivy 1993; Cahill 1990), ideale Bedingung für die Entstehung und das Anwachsen der Kinderschutzindustrie.

Die Kinderschutzindustrie ist Teil einer bereits 1,1 Milliarden US$ starken und immer noch wachsenden Eigenheimüberwachungsindustrie, die durch den Einzug von Spionagetechnologie und -logiken in den häuslichen Bereich hervorgerufen wurde. Ihre Produkte - vom Pfefferspray bis zum Infrarotalarm - ermöglichen es Eltern in Vorstädten, auch dann noch ein Auge' (oder ein Ohr) auf ihre Kinder, ihre KinderbetreuerInnen und andere, die mit ihren Kindern Umgang pflegen, zu haben, wenn sie außer Haus sind.

Unternehmen verkaufen Technologie wie 'Nanny Cams', 'Child Watch Monitors', und Home Security Systeme, die von einer Kultur der Angst zehren, die große Teile der USA überschattet.

Die Form in der diese Produkte vermarktet werden, hängt sich an ein starkes und zunehmendes Bemühen an (und verstärkt dieses), das danach trachtet, dass Kinder vor allem geschützt werden können und sollen. Aber dieses Bemühen ist in unredlichen Behauptungen über das Familienleben verpackt - z.B.: " ...die Absicht von Securityke ist es, die Anzahl von Kindesmissbräuchen in Amerika dadurch zu reduzieren, dass wir die Eltern mit geeigneten Geräte in die Lage versetzen, die Umgebung ihrer Kinder zu überwachen" (www.securityke.com 2001). Diese Behauptung verschleiert die Tatsache, dass fast alle Fälle von Kindesmissbrauch von Familienmitgliedern des Kindes begangen werden. Andere Unternehmen bedienen ein Familienideal, das bestrebt ist, alle Formen, in denen sich das Familienleben in den letzten Jahrzehnten verändert hat, zu überwinden wenn nicht zu ignorieren. "Was wir tun, ist die Widererschaffung der Kernfamilie von weitem" insistiert Jack Martin von Simplex Knowledge, der, mit seiner Frau Patti, I See You erfunden hat, eine Kamera, die in Abständen Fotos über die Situation der Kinderbereuung auf eine Web Site schickt, die nur für Eltern und andere mit einem Passwort zugänglich ist, so dass sie von der Arbeit, von zu Hause oder von sonst woher ihr Kind kontrollieren, und sich vergewissern können, das der Tag reibungslos verläuft (Lombardi 1997). Die, die mit diesen Techniken hausieren gehen, streiten ab, dass sie an die Ängste der Eltern über die Sicherheit ihrer Kinder appellieren und nutzen Familialisierung als ein Verkaufsargument. Sie argumentieren, dass Eltern, wenn sie wissen, was ihre Kinder während der Tagesbeutreuung machen, abends mit ihnen leichter ins Gespräch kommen können. Andere Unternehmen berufen sich auf die Konsumentensouveränität als Verkaufsargument und verkünden, dass es den Eltern, da sie so viel Geld für Kinderbetreuung und -erziehung bezahlen, zusteht zu erfahren, ob sie für ihr Geld eine gute Gegenleistung bekommen. Unabhängig davon wie sie jedoch im einzelnen argumentieren, sind praktisch alle diese Unternehmen bereit, die Ängste der Eltern auszunutzen und dramatisierende Berichte über angeblich in ihrer Tagesbetreuung missbrauchte Kinder, um ihre Waren zu verkaufen. Das mordende Kindermädchen Louise Woodward ist dabei nie weit weg.

Keine dieser Technologien - wie befremdlich oder praktisch sie auch sein mögen - bietet mehr als kleinteilige und private Lösungen für etwas, das ein soziales und politisches Problem ist. Unter gegenwärtigen neo-liberalen Bedingungen macht natürlich gerade dies ihren Reiz aus.

Zu den gebräuchlichsten Technologien gehören die 'Nanny Cams'. Das sind kleine, kabellose oder verkabelte Geräte, die im Haus befestigt werden können oder versteckt in Teddybären, Luftreinigungsgeräten, Lampen, Uhren etc. geliefert werden. Die Kameras ermöglichen es den Eltern, heimliche Tonbänder oder Lifevideos von ihrem Kind und seiner oder ihrer Aufsichtsperson aufzunehmen. Manche Systeme werden durch Bewegungen aktiviert und nehmen sowohl Bild und Ton auf, aber die meisten bieten eine einfache visuelle Aufnahme des Schauplatzes. Den meisten, die diese Techniken anwenden, gefällt das, was sie sehen, nicht. Natürlich sind diese Eltern schon ziemlich misstrauisch, wenn sie diese Techniken installieren, aber einem US-amerikanischen Vertreter von 'Nanny Cams' zu Folge, entlassen 70% der Eltern die davon gebrauch machen, ihr Kindermädchen. Sie finden selten Hinweise auf einen Missbrauch, sondern eher Formen leichter Vernachlässigung - Kindermädchen, die die Kinder fernsehen lassen, statt mit ihnen zu spielen, die ins Telefon statt zum Kind sprechen, die die Kinder weinen lassen, statt sich ihnen zu widmen, die ein Nickerchen machen, während sich die Kinder alleine beschäftigen. Diese Probleme können ernsthaft sein, sind es aber häufig nicht, und angesichts extremer Maßnahmen, wie der Entlassung der Betreuer, stellt sich die Frage, wie es den meisten Eltern unter dem disziplinierenden Blick einer solchen Überprüfung ergehen würde. Aber vielleicht lässt sich nach einem Vertrauensbruch in einem solchen intimen Arbeitgeber-Arbeitnehmerverhältnisses auch keine Diskussionen über Arbeitsanforderungen mehr erwarten.

Andere Überwachungstechnologien beinhalten ausgefeilte tragbare akustische Überwachungsgeräte, die die Abhörgeräte übertreffen, die viele Eltern inzwischen regelmäßig in den Kinderzimmern installieren, so dass sie von überall im Haus aus das kleinste Flüstern ihrer Kinder hören. Die neuen Abhörgeräte können den Kindern umgeschnallt werden und erlauben es den Eltern, sie bis zu einer Entfernung von 50 Metern zu hören. Mit dem tragbaren Abhörgerät können die Eltern alle Interaktionen ihres Kindes hören, während es selbstständig umherstreift.

Das Gerät gibt ein Warnsignal wenn das Kind mehr als 50 Meter weg läuft, oder, was wesentlich beunruhigender ist, wenn das Kind ins Wasser fällt. Wenn die Kinder jedoch älter und autonomer werden, investieren viele Familien in Piepser oder Handys, so dass die Eltern immer in Kontakt mit ihren Kindern bleiben können. Es ist ein sehr angebundenes Leben dort - jeder ruft/lokalisiert/beobachtet jeden. Jenseits dieser individualisierten Geräte und den auf Kinderbetreuung gerichteten Kamerasystemen wie I See You, die sich Eltern durch eine passwortgeschützte Seite im Internet anschauen können, gibt es inzwischen einen neuen Trend unter den Schulsystemen wie Biloxi Mississippi, nämlich Web-Cams in allen Klassenzimmern und schulüblichen Orten zu installieren, um die Routineaktivitäten der Kinder aufzuzeichnen. Der Gedanke dahinter ist, dass durch Beobachtung Konformität produziert wird und dass es, wenn dies nicht der Fall sein sollte, Abweichungen zumindest nachgewiesen werden können.

Die Relevanz des heimlichen Terrors wird mit Blick auf die neusten Kinderüberwachungstechnologien am deutlichsten - den elektronischen Lokalisierungssystemen. Diese Systeme, die den Einsatz eines Chips beinhalten, der durch den Gebrauch von GPS (global positioning systems) geortet werden kann, ist ursprünglich entwickelt worden um Waren in Warenhäuern oder auf ihren Lieferwegen zu orten. Es hat damit angefangen, dass sie in einigen großen, privaten Parks eingesetzt wurden, um Kinder im Auge zu behalten, die sich 'frei' in den Anlagen bewegen. Neuerdings kommen sie für den Privatgebrauch auf den Markt. In Parks mieten Eltern ein Band mit einem integrierten Chip, das ihren Kindern am Handgelenk oder Knöchel befestigt wird und nur mit einem speziellen Gerät entfernt werden kann. Die Kinderbetreuer können dann Kioske besuchen, die mit Videomonitoren ausgestatten sind, um die Position ihres Kindes überall auf dem Anwesen anzuzeigen. Eine wachsende Zahl von Säuglingsstationen in Krankenhäusern verwendet "Handschellen", die als HUGS bekannt sind, um die Orte der Neugebornen zu überwachen. Der nächste Schritt dieser Technologie, Digital Angel genannt, beinhaltet eine subkutane Einpflanzung des Chips im Kind, um es ständig zu bewachen. Die Vermarktung wurde durch das zivilrechtliche Problem unterbrochen, anderen Menschen, und sei es dem eigenen Kind. einen Chip zu implantieren. Tatsächlich sind all diese Techniken zum 'Zwecke der Verteidigung des eigenen Zuhauses' geeignet.

Die Frage lautet, gegen was denn verteidigt werden soll? Zum Beispiel gegen Schuld und Sorge, die regelmäßig starke Gefühle von Doppelverdienerpaaren sind, die aber nachgewiesenermaßen Frauen stärker treffen als ihre männlichen Partner (vgl. Lombardi 1997, Wrigley 1999). Die Technologien 'verteidigen' auch gegen die Abwesenheit einer vom Staat oder von Unternehmen subventionierten Kinderbetreuung mit hoher Qualität in der Nachbarschaft oder am Arbeitsplatz, denn sie garantieren eine hohe Qualität all der Kinderbetreuungsdienste, die von jenen käuflich erworben werden, die sie sich leisten können. Solche individualisierten Strategien weichen der Frage aus, warum diese Angelegenheit den USA ärgerlich ist. Nicht zufällig ist der Kampf um weithin verfüg- und bezahlbare Kinderbetreuungsplätze kein großes Thema mehr für Mittelklassen und Berufstätige, die sich privat um eine Betreuung für ihre Kinder kümmern und deren Qualität durch Investitionen in Überwachungstechnologien absichern. Diese Technologien sind auch eine Verteidigung gegen die Diffusion der Familie in einem weiteren Sinne und Reflex auf die Steigerung der Arbeitsstunden von Eltern außer Haus, die das späte 20. Jahrhundert kennzeichneten.

Aber ich möchte diese Exkurse über die übergroße Wachsamkeit als einen Zugang zu einer Reihe breiterer Thematiken und Fragen verstehen, die jene Probleme verursacht haben, gegen die die Überwachungstechnologien für die Privathaushalte und andere Mikropraktiken der Kinderbetreuung beanspruchen, zu "Felde zu ziehen". Teilweise möchte ich demonstrieren, dass die Verteidigungen auf der Mirkoebene für dieses Ziel nie angemessen sein können. Aber ich möchte auch klären, warum die Formen von Strategien des Wachsamkeitswahns im Bereich sozialer Reproduktion entstanden sind und dieses Phänomen mit dem Anstieg des 'Terror Talk' in Bezug auf die Sicherheit von Kindern und Vulnerabilität im allgemeinen verbinden (vgl. Katz 1995). Ich möchte auch zumindest darauf hinweisen wie elitär es ist, das Wohlergehen bestimmter Kinder zu fetischisieren, während andere Kinder zugleich - dank massiver Einsparungen im Bereich sozialer Reproduktion - in einem völlig anderen Maße gegenüber Risiken verwundbar sind. Diese Risken, wie etwa Obdachlosigkeit, unzureichende medizinische Versorgung, unsichere und wenig anregende öffentliche Umwelten, vollziehen sie nicht nur weitgehend unbemerkt, sonder werden größtenteils durch den verengten Blick des Wachsamkeitswahns unsichtbar gemacht - als ob individuelle Aspekte der Sicherheit von Kindern das einzige wären was zählt. Ein Teil eben jener Besorgnis, die den Wachsamkeitswahn vorantreibt, entsteht durch die Einstellung von KinderbetreuuerInnen entlang der Einkommenskluft, die durch die ungleiche kapitalistische Entwicklung produziert und die globalisierte kapitalistische Produktion erhalten wird. Mein Argument lautet, dass der soziale Lohnverfall und die Einsparungen im Bereich sozialer Reproduktion, die durch die Globalisierung kapitalistischer Produktion ermöglicht wurde, für die Vulnerabilität von Kindern im Norden, Süden, Osten und Westen verantwortlich ist. Dies ist viel gefährlicher als ein zu wenig anregendes und selbst als ein mordendes Kindermädchen. Mein notwendigerweise schematisches Argument lautet, dass die globalisierte Produktion die Illusion einer Ortsungebundenheit des Kapitalismus proklamiert, die eine Absage an viele seiner Verpflichtungen gegenüber bestimmten Orten ermöglicht, des weiteren zu einer Fehlinvestition des Staates wie zu selektiven unternehmerischen Fehlinvestitionen im Bereich sozialer Reproduktion und zur Privatisierung vieler Elemente sozialer Reproduktion führt, sei es durch häusliche Arbeit oder deren käuflichen Erwerb. Zugleich hat die Ungleichheit einer sich globalisierenden kapitalistischen Produktion eine ungleiche Landschaft von Arbeit, Lohnarbeitsreserve, Ausgleich und so weiter erzeugt, die teilweise durch internationale Arbeitsmigration neu geordnet wird und damit ihrerseits sowohl eine Antwort als auch eine Proklamation dieser Ungleichheit ist. Es findest sich ein geschlechtsspezifisches Muster der Migration in der Form, dass KinderbetreuerInnen und Arbeitskräfte im Haushalt in der Regel Frauen sind, deren Fähigkeit, ihre Kinder der Obhut von Familiennetzwerken zu überlassen die Kosten ihrer Arbeitskraft reduziert und es ihnen erlaubt, relativ unbelastet für viele Stunden die Kinder anderer Menschen zu betreuen.

Die häusliche Kinderbetreuung verläuft daher entlang der globalisierten Einkommens- und Dienstleistungsungleichheiten, sie baut auf unterschiedliche Betreuungskulturen und produziert diese auch. Auf diese Weise rückt sie die intimsten Fragen kultureller Differenz in den Vordergrund: Identität und den Tausch von 'Liebe' gegen Geld und Geld gegen 'Liebe'. Während die meisten der im Kinderbetreuungsbereich Tätigen gute Arbeit leisten, scheinen viele Eltern von den Frauen, die sie beschäftigen, zu erwarten, dass sie den Kindern, die sie betreuen ebensoviel 'Liebe' und Aufmerksamkeit entgegenbringen wie sie es selbst tun würden. Diese intimen Streitereien haben größtenteils verkannte und häufig tief greifende psychische Kosten. Im Ergebnis mögen manche Kindermädchen tatsächlich nachlässig, übelnehmerisch und selbst ausfällig sein, aber bei den meisten ist das Gegenteil der Fall, selbst wenn sie unter der Abwesenheit ihrer eigenen Familie leiden (vgl. Hochschild 2000). Ich behaupte nicht, dass die Vorstellung gewalttätiger Kindermädchen glaubwürdig ist, aber vielleicht entspringen die Ängste, die viele Arbeitgeber um die Sicherheit ihrer Kinder in der Hand dieser intimen Fremden haben, daraus, dass sie die grässliche Wahrheit der Ungleichheiten verinnerlicht haben, die diese Arbeitsvermittlung ermöglicht haben. All dies findet zeitgleich statt zum gegenwärtigen Gegenschlag gegen den Feminismus und zur Disziplinierung von Frauen in Fragen des Haushalts und der Kinderbetreuung, die trotz vieler Gewinne in der Geschlechtergleichheit in den USA nie wirklich nachgelassen hatte. Diese disziplinierenden Taktiken lassen sich durch unzählige Artikel in der gängigen Presse belegen, die sich den vermeintlichen Gefahren von Kindern widmen, welche für längere Zeitspannen nicht bei ihren Eltern sind oder verschlagen behaupten, dass Verhaltensstörungen verschwinden würden, wenn Kinder zu Hause besser behütet würden, oder die Vorfälle skandalisieren, an denen Aufsichtspflichtige beteiligt sind. Ebenso lassen sie sich bezeugen, durch die im Vergleich zu Männern durchweg härtere Bestrafung von Frauen in den massiv zunehmenden 'Failure to Protect' Gerichtsprozessen (vgl. Carney 2001) und durch die überall vorfindbare Verbreitung des fortdauernden Bildes von Frauen als Mütter. Diese Taktiken verstärken das Schuldgefühl und die Besorgnis von Frauen, zu wenig Zeit mit ihren Kindern zu verbringen. Einige dieser Schuldgefühle und Ängste scheinen teilweise dadurch kanalisiert zu werden, dass sichergestellt wird, dass die Person die bei dem Kind ist - für die üblicherweise eine Kluft globaler und lokaler Ungleichheiten zu den Eltern/Arbeitsgebern besteht - ehrenhaft ist. Bei einer wachsende Zahl elterlicher Arbeitgeber hat dies zum Einsatz von Spionagetechnologien in ihrem Zuhause geführt.

Das vielleicht interessanteste Ergebnis all dieser Verschiebungen im Bereich sozialer Reproduktion ist aber die Wiederauferstehung des Staates in einer miniaturisierten und privatisierten Form. Wenn der post-fordistische, post-keynesianische Staat hinsichtlich seiner Leistungen im Bereich sozialer Reproduktion ausgehöhlt worden ist, so ist er in einer domestizieren Form zurückgekehrt - unter unseren Betten. Die Ausdehnung der Souveränität von Eltern und Haushalten und die Delegation aller Arten von Verantwortung für soziale Reproduktion an die Haushalte hat Mini-Staaten (bzw. Belagerungszustände) produziert. Der Anstoß dazu, zu Hause einen Mini-Staat zu errichten, ist durch die Werbung für Heimüberwachungs- und Selbstverteidigungstechnologien und Waffen angefacht und genährt worden, die so beruhigende Ermahnungen liefern wie z.B. die folgende: "Gerichte haben entschieden, dass der Staat keine besondere Verpflichtung dazu hat, Individuen zu beschützen [...] Erfahren sie selbst den Unterschied, den es bedeutet zu wissen, dass sie sich selbst schützen können" (www.protectself.com 2001).

In den privatisieren Staaten werden aus Eltern Spione. Sie bespitzeln ihre Kindermädchen und andere Hausangestellte. Nur wenige äußern ethische Zweifel an diesen Praktiken, geschweige denn Bedenken über die rechtlichen Auswirkungen ihrer Handlungen. Wie eine Mutter aus Long Island schwärmerisch abwiegelt: "Wenn es um mein eigenes Kind geht, interessieren mich die Rechte von Kindermädchen nicht" (Katz 1998). Aber Eltern bespitzeln auch ihre Kinder. Wenn die Kinder jung sind, setzen Eltern zumeist Technologien ein, die die Reichweite ihrer Augen und Ohren durch tragbare oder Raumüberwachungsgeräte erweitern, um sicherzustellen, dass ihre Kinder sicher sind, wenn ihre Kinder jedoch die Jugendphase oder Adoleszenz erreichen, verschiebt sich die Absicht der Überwachung zur Vergewisserung, dass sich ihre Kinder 'wohlverhalten'. Die neuen Technologien erlauben einen langen Arm des Elternrechts. Einige haben spezielle Geräte in ihrem Auto eingebaut (häufig von ihren Automobilversicherungen freundlicherweise zur Verfügung gestellt), um die Geschwindigkeit ihrer jugendlichen Fahrer zu kontrollieren. Nachdem ihre Kinder das Auto gefahren haben, können die Eltern eine Auslesung bekommen, die sie in die Lage versetzt, Übertretungen festzustellen, die der Polizei entgangen sein könnten. Andere Eltern machen sich Drogentests für den Hausgebrauch zu nutze. Die Ausrüstungen werden komplett und mit Anleitungen für die Eltern geliefert, wie sie heimlich an eine Haarlocke ihrer Kinder kommen. Für die völlig Paranoiden sind Computerüberwachungen erhältlich, obwohl die meisten dieser Technologien, Berichten zu Folge, eher gegen Ehegatten als gegen Kinder eingesetzt werden, deren Zugang zum Cyberspace schließlich oft durch Filter zensiert ist, die von ihren Eltern aktiviert werden. Nichtsdestoweniger ermöglichen die Computerüberwachungstechnologien den Eltern oder Lebenspartnern, jeden Tastendruck zu überwachen, und daher jede Adresse, jede besuchte Website, den Inhalt jeder gesendeten Nachricht und selbst die Nutzerpassworte zu kennen, so dass sie später direkten Zugang auf den Account haben. Der 'Haushaltsstaat' betreibt, wie viele größere Staaten, Überwachung und Zensur und berücksichtigt die Rechte auf Privatsphäre und Selbstbestimmung der Bewohner oder die Unschuldsannahme nur wenig. Aber während Zivilrechte gegen die Überwachung durch die Regierung schützen, gibt es in den USA keine bundeseinheitlichen Standards, die Schutz bieten gegen häusliche und andere private Formen der Bespitzelung.

Dieses Thema hängt natürlich in einer interessanten Weise mit unbeantworteten Fragen nach Privatheit zusammen, die für Vorortgegenden und den geheimnisvolle Nimbus der Vororte seit den 1950er Jahren charakteristisch sind. Wie Deborah Nelson (2002) nachzeichnet, haben Autoren wie William Whyte und Betty Friedan schon früh gezeigt, dass sich Vororte auf der Fiktion der Offenheit gründeten, aber bei genauer Betrachtung - durchgehende Hausreihen, aufgemalte Fenster, offene Höfe und Sackgassen - Konformität produziert haben. Diese baulichen Eigenschaften erzeugten zwar die Bereitschaft, beobachtet zu werden - insbesondere bei den Frauen - nicht aber das Gefühl des Beobachtet-Werdens! Die Technologien der Beobachtung und Enthüllung sind heute tiefer in die eigenen vier Wände eingedrungen und haben die Grenzen zwischen Öffentlichkeit und Privatheit verwischt. Und so versteht es sich vielleicht auch, dass Elternschaft auch als eine Art des Community Policing verstanden wird. Wie Werbematerialien von Firmen, die Abhör- und Überwachungstechnologien verkaufen, erklären, bieten sie "innovative Möglichkeiten für Mütter und Väter an, die nicht bei ihren Kindern sind, aber ihnen dennoch ein Gefühl von Kontrolle und Bestätigung geben wollen". Tatsächlich ermöglichen es die meisten dieser Technologien den Eltern und Kindern, eine Parallelexistenz zu führen, aber sich (zumindest auf Seiten der Eltern) verbunden zu fühlen. Weder in diesen Verkaufsgesprächen noch in den öffentlichen Diskussionen darüber wird den Erfahrungen viel Aufmerksamkeit gewidmet, dass Kinder ständig beobachtet werden, geschweige denn thematisiert, was es bedeutet, aufzuwachsen und es als selbstverständlich hin zu nehmen, dass man überwacht wird (vgl. Marx 1996).

Die angebotenen Technologien mögen den Eltern wie den Kindern ein Gefühl von Kontrolle und Sicherheit geben, und sie mögen auch eine Antwort auf die Doppelheimsuchungen von Furcht und Schuld sein, aber mein Argument an dieser Stelle lautet, dass die Probleme andere Art sind. Nicht nur ist es, auch mit allem Micro-Management der Welt, unmöglich, Kinder vor allem zu beschützen - was die furchtsamen Eltern im globalen Norden zu wollen scheinen - (dies belegt der den Kindern eigene Trotz und die einfache Tatsache, dass die meisten Gefahren für Kinder von Seiten der Familie selbst drohen. Sondern vor allem sind die Probleme sozial, politisch und ökonomisch, und dies gilt schließlich auch für Mittel, um auf sie antworten zu können. Der geschrumpfte Staat unter unseren Betten kann keine Antwort auf die Probleme sein, die entstanden sind durch die starken Rücknahmen von Sozialleistungen, die durch die Globalisierung kapitalistischer Produktion vorangetrieben werden, durch die fortbestehenden Klassen, ethnischen und herkunftsbezogenen Ungleichheiten die den einseitigen Tausch von Geld, Liebe und Fürsorge befördern, durch die geschlechterbezogene Teilung der Arbeitskraft im Haushalt und der Unwilligkeit der meisten Arbeitgeber dies in Arbeitsplatzrichtlinien anzuerkennen, die flexible Arbeitszeiten zulassen oder gar für Betreuungsarrangements am Arbeitsplatz sorgen. Alles was diese kleinen Staaten zu tun vermögen, ist das zu überwachen, was in dem gespaltenen Feld des Häuslichen aufgrund dieser Probleme geschieht. Die Verbreitung von Kinderschutztechnologien und das Anwachsen der Überwachung in die privaten Haushalte hinein kennzeichnet einen enormen Rückzug aus dem Politischen. Die Problemkreise, die zu diesen Verschiebungen geführt haben aufzudecken, stellt die Basis für eine umfassende Organisation und Aktion dar.

Übersetzt von Holger Ziegler

Literatur

Cahill, S. 1990: Childhood and Public Life: Reaffirming Biographical Divisions. In: Social Problems 37 (3):390-402.

Hochschild, A. 2000: The Nanny Chain. In: The American Prospect 11(4).

Ivy, M. 1993: Have you seen me? Recovering the Inner Child in Late Twentieth-Century America. In: Social Text 37:227-52.

Katz, C. 1995: Power, Space and Terror: Social Reproduction and the Public Environment. Paper presented at Landscape Architecture, Social Ideology and the Politics of Place Conference, Harvard University, Graduate School of Design, Cambridge, Massachusetts. 17-18 March.

Katz, D. M. 1998: Worried about the Babysitters? Tape Them. In: New York Times 5 April. Section 14LI; p.4.

Lombardi, K.S. 1997: New Surveillance: Day-Care Cyber Visits. In: New York Times 16 March.

Marx, G.T. 1996: Electric Eye in the Sky: Some Reflections on the New Surveillance and Popular Culture. In: Computers, Surveillance and Privacy edited by D. Lyon and E. Zureik. Minneapolis: University of Minnesota Press.

Nelson, D. 2002: Pursuing Privacy in Cold War America. New York: Columbia University Press.

Wrigley, J. 1999: Hiring a Nanny: The Limits of Private Solutions to Public Problems. In: Annals AAPSS 563:162-174.

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