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Heft 126: "Gekreuzt?!" Intersektionalität und Soziale Arbeit

2012 | Inhalt | Editorial | Abstracts

Titel Heft 126
  • Dezember 2012
  • 132 Seiten
  • EUR 15,00 / SFr
  • ISBN 3-89691-986-1
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Gabriele Winker
Intersektionalität als Gesellschaftskritik

Einen Aufsatz zur Intersektionalität in der hier vorliegenden Zeitschrift zu schreiben, fordert mich aus zweierlei Gründen besonders heraus: Erstens beobachte ich seit ca. fünf Jahren in der BRD ein weit verbreitetes Interesse an intersektionalen theoretischen Konzepten und empirischen Methoden von Forscher_innen und Praktiker_innen innerhalb der Sozialen Arbeit. Dies hängt wohl damit zusammen, dass Tätigkeiten in der Sozialen Arbeit direkt mit Differenzierung, Normalisierung und Andersheit verbunden sind (vgl. den entsprechenden Titel eines Buches, herausgegeben von Kessl/Plößer 2010). Die im Bereich der Sozialen Arbeit Tätigen in Praxis und Wissenschaft beschäftigen sich gerade nicht mit den sogenannten normalen Menschen, sondern mit den Anderen, den Älteren, den migrantischen Mädchen oder Jungen, den Jugendlichen ohne Ausbildung, den Ärmeren, den Asylbewerber_innen, den Drogengebrauchenden, allgemeiner gesagt den mit spezifischen Problemlagen behafteten und damit häufig an den gesellschaftlichen Rand gedrängten Menschen. Hier sind intersektionale Ansätze mit ihrem Anspruch, sich mit Wechselwirkungen von Differenzierungskategorien und deren Verwobenheit mit Dominanz, Diskriminierung und Unterdrückung auseinanderzusetzen, direkt anschlussfähig. Zweitens steht die Zeitschrift Widersprüche seit mehr als 20 Jahren für ein kritisches Denken innerhalb der Sozialen Arbeit, das sich, so meine Behauptung, mit intersektionalem Denken vertiefen lässt. Wenn sich allerdings Soziale Arbeit qua beruflichem Selbstverständnis schon immer mit unterschiedlich konstruierten Subjekten auseinandergesetzt hat - auch bevor es einen Begriff von Intersektionalität überhaupt gab, wo kann dann der kritische Stachel eines intersektionalen Ansatzes liegen?

Michael May
Das Pradigma von Intersektionalität und das Erbe eines kritisch-reproduktionstheoretisch orientierten Forschens in der Tradition von Marx

Das Paradigma von Intersektionalität beansprucht "fortwährend für neue mögliche Auslassungen, Entnennungen und Exklusionen sensibel zu bleiben" (Lutz et al. 2010: 12) und so "bisherige blind spots als analytische Ressource zu nutzen" (Walgenbach 2010: 254). Diesbezüglich soll es in diesem Beitrag jedoch nicht darum gehen, eine weitere neue Intersektionalität zu den bisher schon beforschten hinzuzufügen. Vielmehr soll auf Marx zurückgehend an eine Tradition reproduktionstheoretisch orientierten Forschens erinnert werden, um auf diese Weise - dem Anspruch des Intersektionalitätsparadigmas folgend - Aspekte zurück in den aktuellen Diskurs zu holen, die gerade dadurch zu "blind spots" sich ausweiten könnten, dass sie aus diesem herauszufallen drohen. Es geht dabei nicht allein um eine Klärung des in Intersektionalitätsstudien häufig eher diffusen Klassenbegriffes. Vielmehr sollen auf der Basis grundlegender Überlegungen zur theoretischen Konstitution des Forschungsgegenstandes, auch Vorschläge zu einem diesem Gegenstand angemessenen methodisch-qualitativen Vorgehen in der Empirie bezüglich Erhebung und Analyse zur Diskussion gestellt werden.

Kathrin Schrader
Intersektionale Perspektiven in der Sozialen Arbeit
Ein produktiver Forschungsansatz in der Arbeit mit Drogengebrauchenden Sexarbeiterinnen

Intersektionale Perspektiven in der Sozialen Arbeit - Ein produktiver Forschungsansatz in der Arbeit mit Drogengebrauchenden Sexarbeiterinnen In diesem Artikel möchte ich zeigen, welche Erkenntnisse durch die Verwendung eines intersektionalen Forschungsansatzes für die Soziale Arbeit gewonnen werden können. Ich werde dazu Ergebnisse aus meiner Dissertation heranziehen, in der ich mich mit der Handlungsfähigkeit von Drogengebrauchenden Sexarbeiterinnen beschäftigt habe. Am Beispiel der Drogengebrauchenden Sexarbeiterinnen lässt sich differenziert nachweisen, dass eine repressive Politik eine verheerende Wirkung auf die Situation der Betroffenen hat. Sanktionen und Verfolgungen scheinen für die Gesellschaft die einzige Möglichkeit zu sein, dem Phänomen "Herr" zu werden. Die Stimme der Betroffenen verstummt im Geschrei der herrschenden Diskurse, so z.B. bei den aufgeregten Diskussionen um Zwangsprostitution und Menschenhandel oder der Forderung nach Zurücknahme des 2002 eingeführten Prostitutionsgesetzes, wie es erst kürzlich Alice Schwarzer in einer Talkshow forderte.

Ich habe in meiner Dissertation 15 Drogengebrauchende Sexarbeiterinnen interviewt. Die Frauen leben und/oder arbeiten in Hamburg St. Georg. Der Stadtteil ist städtisches Aufwertungsgebiet und ist außerdem von massiven Regulierungen, wie der Gefahrengebiets- sowie Sperrgebietsverordnung und dem Kontaktanbahnungsverbot betroffen. Drogengebrauchende Sexarbeiterinnen sind auf Grund der doppelten Verletzung sozial-moralischer Normen in ihrem Alltag extremen Stigmatisierungen ausgesetzt. Sie verstoßen tagtäglich gegen mindestens zwei Gesetze, das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) und die Sperrgebietsverordnung (SpGVo). Sie sind aus Sicht der Mehrheit nicht als handlungsfähige Subjekte erkennbar.

Es ging mir u.a. darum, politische Handlungsmöglichkeiten und Empowermentansätze, die zur Selbstermächtigung für Drogengebrauchende Sexarbeiterinnen führen, herauszuarbeiten. Forschungsleitend war die Arbeitsthese, dass in der Verweigerung von gesellschaftlichen und rechtlichen Normen und in den Verstößen gegen sie subversive Akte und Widersetzungen enthalten sind, die Handlungsfähigkeit einerseits eröffnen und andererseits beschränken können. Es ist schwierig, Empowerment in den marginalisierten Bereichen der Sexarbeit zu etablieren. Dort ist die Situation durch die Gesetzgebungen im Strafrecht, im Ausländerrecht und aufgrund der strukturellen Diskriminierung sowie massiver Vorurteile bei Ämtern und Behörden sehr kompliziert.

Nicole von Langsdorff
Intersektionalitätsanalytischer Ansatz im Kontext von Jugendhilfe

Eine Frage, die mich im Kontext meiner Praxiserfahrungen sowie meiner Auseinandersetzungen in empirischer Forschung schon länger beschäftigt ist, inwiefern werden Deutungsmuster sozialer Praxen (vgl. Bourdieu 1998) im Rahmen Sozialer Arbeit und daraus abgeleitete Interaktionen dem Feld oder dem Fall in seiner gesamten Komplexität gerecht? Alltags-, lebenslagen-, lebensbewältigungs- und lebensweltorientierte (vgl. May 2008) Ansätze sind heute mit die am weitesten ausformulierten analytischen sowie theoretischen Konzepte der Sozialen Arbeit, die sich versuchen der Forderung einer angemessenen Erfassung sozialer Konfliktlagen mit Einbezug der Stimme der AdressatInnen (vgl. Hamburger/Müller 2006) zu stellen. Lebensweltorientierung soll die Analyse von spezifischen Lebensverhältnissen mit pädagogischen Konsequenzen verbinden. Lebensweltorientierung hält am Ziel fest, gerechtere Lebensverhältnisse, Demokratisierung und Emanzipation und professionstheoretisch gesehen Chancen rechtlich abgesicherter, fachlich verantwortbarer Arbeit zu entwickeln (vgl. Thiersch/Grunwald/Köngeter 2005: 165). Gefordert wird in der Analyse der Lebenswelt, auch dahinterliegende gesellschaftliche Konflikte zu berücksichtigen (vgl. ebd.: 172). Damit verbindet sich im Prinzip auch ein politischer Anspruch. Und dennoch verlieren diese analytischen Modelle in Forschungskontexten sowie im berufspraktischen Alltag in aller Regel an Schärfe. Problematisch in der Umsetzung sowie in der Wahrnehmung bzw. Analyse der Lebenswelt erscheint die unzureichende Berücksichtigung gesellschaftlicher Ungleichheits- und Herrschaftsstrukturen (vgl. Schimpf/Stehr 2012: 107). In aller Regel verstricken sich die professionellen Deutungsmuster auf der Interaktionsebene und laufen dann schnell Gefahr, Konflikte im Kontext Sozialer Arbeit zu individualisieren. Die enge Verstrickung Sozialer Arbeit mit dem Widerspruch von Hilfe und Kontrolle bietet sicherlich eine Teilantwort auf diese Prozesse. So schwingt häufig im Rahmen des breit geführten öffentlichen Diskurses von Förderung und Fordern bei der Analyse von Konfliktlagen, die Menschen bewältigen, in der Regel die Verantwortungsfrage mit. Inwiefern ist der Mensch selbst für den Konflikt verantwortlich oder welche übergeordnet wirksamen Prozesse, sind für die Lage oder Situation verantwortlich?

Susanne Dern, Ulrike Zöller
Diskriminierungsrisiken im Beratungsalltag

Die Feststellung, dass eine bestimmte Gruppe von Adressat_innen, meist handelt es sich um Menschen mit Migrationsgeschichte, teilweise bewusst oder unbewusst durch fachdienstliche Soziale Arbeit ausgegrenzt und benachteiligt werden, widerspricht zunächst zentralen Anliegen Sozialer Arbeit, "nämlich die Menschen zu unterstützen und ihnen zu ihrem Wohlbefinden und zu einem möglichst selbstbestimmten Leben zu verhelfen" (Rommelspacher 2012: 43). Treten diskriminierende Muster im Arbeitsalltag Sozialer Arbeit auf, widersprechen diese zudem massiv dem Verständnis Sozialer Arbeit als Menschenrechtsprofession. Im Rahmen der Sozialen Arbeit als Menschenrechtsprofession wird das doppelte Mandat der Hilfe und Kontrolle um ein drittes Mandat erweitert, indem neben den wissenschaftsbegründeten Arbeitsweisen und Methoden, die ethische Basis (Berufskodex) und die Menschenrechte als Legitimationsbasis dienen (vgl. Staub-Bernasconi 2007: 200). Soziale Arbeit hilft dabei in ihrer Funktion als "agency for social change" in der Wahrung und Durchsetzung der Menschenrechte. Wenn Soziale Arbeit sich auf die Menschenrechte beruft, dann ist sie aufgefordert, diese in den jeweiligen Kontexten zu verteidigen und zu sichern. Ihre Aufgabe ist es, "die berechtigten Anliegen der Klient(inn)en und die Erfordernisse von Professionalität an den Arbeitgeber und die Behörden heranzutragen, und die dadurch entstehenden Konflikte einerseits als zu ihrer Rolle gehörend zu behandeln, andererseits auch mit professionellen Mitteln zu bearbeiten" (Olbrecht 2004, in Staub-Bernasconi 2007: 202). Soziale Arbeit ist dabei notwendigerweise politisch, da sie es mit sozialen Problemen zu tun hat, die entweder direkt durch politische Prozesse hervorgerufen oder in nicht ausreichendem Maße durch soziale Sicherungssysteme abgefedert werden. Sie beinhaltet also auch eine parteiliche Vertretung des/der Einzelnen im Kontext erlebter Diskriminierung auf den gesellschaftlichen Ebenen (vgl. Mührel/Röh 2007).

Im vorliegenden Beitrag werden nach einer theoretischen Einbettung, Fallbeispiele zu Diskriminierungsrisiken im Beratungsalltag von Fachdiensten Sozialer Arbeit vorgestellt, um dann Überlegungen anzustellen, wie diese vermieden werden können bzw. wie professionell mit den daraus entstehenden Konflikten umgegangen werden kann.

Sandra Küchler
Start Partizipating

Ausgangs- und Bezugspunkt meiner Ausführungen sind die Beiträge in Widersprüche Heft 123, "Einspruch! - Partizipation und Rechtsansprüche in Politik, Gesellschaft". Diese beleuchten das Für und Wider von Partizipation in der sozialen Arbeit, wobei die Mehrheit der Beiträge die ungleiche Machtverteilung in Beteiligungsprozessen und die Gefahr von Partizipation in der Post-Demokratie in den Vordergrund stellen. Hier möchte ich meinen Blick weder auf die Gefahren, noch auf die möglichen Kontrollmechanismen von partizipativen Prozessen in der sozialen Arbeit lenken, sondern meinen Fokus auf das den partizipativen Prozessen inhärente "Ereignis" in den Mittelpunkt stellen.

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