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Heft 132: Soziale Arbeit. kritisch - reflexiv - radikal. Praxis der Kritik

2014 | Inhalt | Editorial | Abstracts | Leseprobe

Titelseite Heft 132
  • Juni 2014
  • 154 Seiten
  • EUR 15,00 / SFr
  • ISBN 3-89691-992-2
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Helga Cremer-Schäfer, Fabian Kessl, Michael May, Albert Scherr
Über den Sinn der Streitbarkeit in Fragen von Kritik und Reflexivität
Eine virtuelle Diskussion

Diskutiert wird die Frage "Haben wir es mit einer Konjunktur von Kritik in der Sozialen Arbeit zu tun oder muss man von einer "langen Welle" von Institutionenkritik ausgehen? Für welche Distinktionspraktiken lassen sich welche Praktiken von Kritik nutzen? Die Situation der Diskussion wurde genutzt, (Vor-)Annahmen und theoretische Bezüge der Diskutant*innen verdichtet darzustellen und/oder die Begrifflichkeiten in andere Perspektiven zu übersetzen. Sehr skeptische haben die Beteiligten die aktuellen Bedingungen der Möglichkeit von Reflexivität und von herrschaftskritischem und radikalem Denken beurteilt. Als "gegenwirkende" wissenschaftliche Strategien werden ganz verschiedene Praktiken vorgeschlagen: (Selbst-)Reflexivität in der Wissenschaft, unterstützende gleichwohl Differenz und Verschiedenheit anerkennenden Arbeitsbündnissen zwischen "Theorie und Praxis" und Arbeitsbündnisse intellektueller Arbeit, die dem bisher "Nicht-Identisch-Gemachten" der Subjekte gesellschaftlich zur Sprache verhilft. Leseprobe

David Wastell, Sue White
Ungewisse Evidenz und lebendige Sprache
Reflexive Professionelle als "Trickster"

In der Vergangenheit wurde viel über die Ungewissheiten und Kontingenzen von Praxis wie auch die an SozialarbeiterInnen gerichteten Forderungen, diese Ungewissheiten durch die explizite Verwendung von formalem Wissen zu verringern, diskutiert. Ein oft vorgeschlagener Weg, um dieses Ziel zu erreichen, ist die evidenzbasierte Praxis. Eine solche Orientierung an formalem Wissen, bei dem aus Ungewissheit Gewissheit geformt wird, lenkt von der Tatsache ab, dass sowohl Wissen als auch Routinepraktiken Professionelle häufig auch in solchen Situationen zu frühzeitigen und "sicheren" Beurteilungen treiben, in welchen eine Position "respektvoller Ungewissheit" vielleicht angemessener wäre. Um ihre Arbeit erledigen zu können, müssen Professionelle ihre Meinungen so verpacken, dass sie für andere lesbar, verständlich, ja konsumierbar werden. Sie müssen in der Lage sein, ihre Beurteilungen zu rechtfertigen, nachzuweisen und diese in einem performativen Akt "durchzuführen". Das heißt, professionelle Erklärungen und Deutungen hängen von den zur Verfügung stehenden Vokabularen ab. Mit Hilfe des anthropologischen Begriffes des "Tricksters" als Metapher soll in diesem Aufsatz argumentiert werden, dass die Fähigkeit dazu, Sprache und allgemein akzeptierte Ideen aufzurütteln, entscheidend wichtig für kritische, reflexive Praxis sein kann.

Christine Resch
Reflexivität als Denkmodell und Perspektive in den Sozialwissenschaften

Der Beitrag diskutiert drei etablierte Begriffsbestimmungen: Reflexivität als Steuerung und Optimierung von Handeln; als Analyse der wissenschaftlichen Produktionsbedingungen, als Analysen des methodischen Vorgehens und der Methodenperfektion. Dagegen wird Reflexivität umfassende theoretische Perspektive entwickelt: als Analysen der Bedingungen der Möglichkeit eines Phänomens. Unter "kritischer Reflexivität" wird die Analyse der herrschaftlichen Verfasstheit aller Interaktionen, Situationen, Institutionen bis hin zu zentralen Vergesellschaftungsformen einer Produktionsweise verstanden. Die abstrakten und theoretischen Bestimmung wird konkretisiert mit Darstellungen von Regeln eines (intellektuellen) Verstehens durch Analyse von Arbeitsbündnissen zwischen Forschungsmaterial und Interpretinnen.

Helga Cremer-Schäfer
Zur Aktualität des Abolitionismus als Denkweise mit Möglichkeitssinn

Thematisiert wird der Abolitionismus als eine Praxis radikaler Kritik einzelner Herrschaftstechniken (Sklaverei, institutioneller Rassismus, Apartheit, Todesstrafe, Gefängnis) und als eine Denkweise, die Möglichkeitssinn entwickelt. Abolitionismus denken heißt, die Möglichkeiten einer Gesellschaft zu denken, auszukommen: ohne Ausschließungsregime, ohne Ausschließung durch Einschließung in all ihren Formen, zuerst ohne die Institution Verbrechen & Strafe, ohne institutionelle Diskriminierung durch integrierende Institutionen, ohne eliminatorische und technische Problemlösungsphantasien.

Uwe Hirschfeld
Über die Schwierigkeiten, Kritik zu lehren und zu lernen

Die Schwierigkeiten, Kritik zu lehren und zu lernen beruhen auf einem strukturellen Konflikt zwischen dem fragmentarischen Alltagsverstand, der sich in der Bewältigung des Alltags bewährt hat, und kritischen Theorien, die einen Anspruch gesellschaftlichen Zusammenhang erheben. "Kritische Lehre" hat daher zunächst Kritik des Alltagslebens zu sein.

Birgit Meyer, Ulrike Zöller
Die Stimme der Betroffenen
Ehemalige Heimkinder in Baden-Württemberg

Die Menschenrechte von Kindern und Jugendlichen in den Heimen der frühen Bundesrepublik sind - insbesondere in den 50er und 60er Jahren - erheblich verletzt worden. Der Beitrag behandelt physische, psychische und sexualisierte Gewalt, Missbrauch und Demütigung in der Erziehung sowie deren Einbettung in sie begünstigende gesellschaftliche Strukturen und Machtverhältnisse. Die Geschichte des Fonds Heimerziehung, die Arbeit der Anlauf- und Beratungsstelle Heimerziehung (ABH) in Baden-Württemberg sowie die Arbeit des Beirats der ABH werden vorgestellt. Die Einbindung der Betroffenen wird (kritisch) reflektiert. Politische Forderungen und offene Fragen rücken berufsethische Dimensionen der Verantwortung in den Mittelpunkt sowie konkrete zeitnahe Umsetzungsmöglichkeiten. Die Autorinnen sind seit 2012 Vorsitzende des Beirats der Anlauf- und Beratungsstelle Heimerziehung in Baden-Württemberg.

Die Ökonomien des medizinischen Kodierens
Kodierfachkräfte im Spannungsfeld zwischen medizinisch-pflegerischen und betriebswirtschaftlichen Ansprüchen - Teil 1

Seit seiner Einführung in Deutschland im Jahr 2003 hat das auf den so genannten Diagnoses Related Groups (DRGs) bzw. Fallpauschalen basierende Abrechnungs- und Finanzierungssystem stationärer Leistungen die wissenschaftliche und öffentliche Meinung polarisiert. Von den einen wurde es als effizientes Mittel gesehen, angeblich explodierende Krankenhausausgaben in den Griff zu bekommen, von den anderen als Treiber der Ökonomisierungs- und Privatisierungsprozesse der öffentlichen Gesundheitsversorgung. Der sich auf eine Fallstudie stützende Artikel zeichnet aus einer arbeitssoziologischen Perspektive nach, in welcher Weise das Ärzte-, Pflege- und Verwaltungspersonal in den Abrechnungsprozess involviert ist und welche Praktiken und Konflikte sich um die Kodierung von Diagnosen und Prozeduren sowie die Steuerung der Verweildauer von Patienten entwickelt haben. Im Zentrum der Betrachtung stehen die dem Medizincontrolling zugeordneten "Kodierfachkräfte", eine sich im Wesentlichen aus ehemaligen Pflegekräften und Arzthelferinnen rekrutierende neue Beschäftigtengruppe, die als Bindeglied zwischen dem medizinischen und dem administrativen Bereich fungiert. In einem zweiten, in Heft 133 der Widersprüche erscheinenden Teil werden die Spannungen zwischen ethisch-professionellen Orientierungen und zunehmenden betriebswirtschaftlichen Ansprüchen, denen die Kodierfachkräfte ausgesetzt sind, anhand von zwei Fallbeispielen illustriert und ein Resümee gezogen.

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