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Heft 81: Da war doch was... !? Zugänge zur Erinnerung an Nazizeiten

2001 | Inhalt | Editorial | Abstracts | Leseprobe

Titelseite Heft 81
  • September 2001
  • 120 Seiten
  • EUR 14,00 / SFr 19,80
  • ISBN 3-89370-356-X

Bernd Boll

Die Spur des Vaters
Hinweise für Recherchen nach Familienangehörigen

Abstract: Der Beitrag versteht sich als Handreichung für alle, die - ohne selbst ausgebildete Historiker zu sein - nach Familienangehörigen im Krieg forschen wollen. Im ersten Abschnitt werden die einschlägigen Bestände des Bundesarchivs umrissen, in erster Linie militärische Überlieferungen der Wehrmacht, der Waffen-SS, der allgemeinen SS und der Polizei. Anschließend folgt ein Überblick über das deutsche Archivrecht, mit Hinweisen zu Sperrfristen, Geheimhaltungsvorbehalten und Zugangsberechtigungen. Der dritte Abschnitt enthält praktische Tipps für die Durchführung von Recherchen nach Einzelpersonen, wobei verschiedene Stadien der Vorinformation berücksichtigt werden. Der Anhang listet dann die wichtigsten Archivadressen, Hilfsmittel für die Ermittlung militärischer Einheiten und Publikationen zum Archivwesen sowie zur Überlieferung der NS-Akten auf.

Zu den bis heute weithin uneingestandenen Folgen des Zweiten Weltkriegs gehören die traumatisierende Wirkung von Gewalterfahrungen auf die Soldaten und ihre innerfamiliäre Weitergabe. Es handelt sich um ein Konfliktpotential, das häufig durch Schuldgefühle bzw. Schuldabwehr zusätzliche Brisanz erhält. In den vergangenen Jahren suchten Tausende von Kindern ehemaliger Soldaten die Spur des Vaters - so der Titel eines autobiographischen Dokumentarfilms von Christoph Boeckel. Sie verbinden damit die Hoffnung, durch die Beschäftigung mit der Familiengeschichte spezifische Konstellationen erkennen und überwinden zu können. Aber häufig scheitern solche Recherchen an mangelnden Kenntnissen des erforderlichen Quellenmaterials und der Struktur des Archivwesens ebenso wie an oft mehr durch Gerüchte als durch zuverlässige Informationen bestimmten Vorstellungen von der Zugänglichkeit der benötigten Archivalien. Dem will der folgende Beitrag abhelfen. Er versteht sich als Handreichung für alle, die - ohne selbst ausgebildete Historiker zu sein - nach Familienangehörigen im Krieg forschen wollen. Deshalb betreffen die Hinweise auf Quellen in erster Linie militärische Überlieferungen der Wehrmacht, der Waffen-SS, der allgemeinen SS und der Polizei. Im ersten Abschnitt werden die einschlägigen Archivbestände umrissen. Anschließend folgt ein Überblick über das deutsche Archivrecht. Der dritte Abschnitt enthält praktische Hinweise für die Durchführung von Recherchen. Und im Anhang schließlich finden sich die wichtigsten Archivadressen, Hilfsmittel für die Ermittlung militärischer Einheiten und - der leichteren Lesbarkeit wegen an Stelle von Anmerkungen - einige Publikationen zum Archivwesen und zur Überlieferung der NS-Akten.

Archivbestände

In der Regel kann man sich bei Recherchen auf die Bestände der verschiedenen Abteilungen des Bundesarchivs beschränken. Das Bundesarchiv, dessen Einrichtung die Regierung Adenauer 1950 beschloss und das 1952 seine Arbeit aufnahm, ist für die Aufbewahrung der Akten der Bundesregierung, die Bestände des ehemaligen Reichsarchivs, der ehemaligen Reichsbehörden, der Wehrmacht, der Besatzungsbehörden und für von den Alliierten zurückgegebenes Schriftgut zuständig. Auch sonstige Unterlagen von bundesweitem Interesse aus dem Umfeld privater Institutionen, Verbände und Privatpersonen, deren Archivierung jedoch freiwillig ist, fallen in die Zuständigkeit des Bundesarchivs.

Seine Bestände können hier nur gestreift werden. Allein der gedruckte Archivführer umfasst mehr als tausend Seiten, und die Findbücher füllen viele Meter Regale. Die in unserem Zusammenhang wichtigsten Bestände sind die Generalakten des Reichsjustizministeriums ab 1934, die Akten aus dem Geschäftsbereich des Reichsführers SS und Chefs der Deutschen Polizei Heinrich Himmler, insbesondere seines Persönlichen Stabes, die Akten des Hauptamtes Ordnungspolizei und des Reichssicherheitshauptamtes, darunter Quellen zur Geschichte des Widerstandes gegen das nationalsozialistische Regime; ferner gehört das Schriftgut der NSDAP dazu, ebenso das militärische Schriftgut.

Den größten Teil der erhaltenen Dokumente der Wehrmacht übernahm von 1968 an das Militärarchiv in Freiburg, eine Abteilung des Bundesarchivs, die am damaligen Sitz des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes der Bundeswehr eingerichtet worden war. Zu seinen Beständen zählen die Akten des Oberkommandos der Wehrmacht mit Führungsstab und Wehrwirtschaft- und Rüstungsamt, des Oberkommandos des Heeres mit Generalstab und Chef der Heeresarchive, Kriegstagebücher der Heeresgruppen, Armeen, Korps und Divisionen, der schwimmenden Einheiten der Kriegsmarine, sowie Schriftgut aus dem Reichsluftfahrtministerium und von Verbänden der Waffen-SS. Für die regionale Rüstungsindustrie sind die nach Wehrkreisen systematisierten Kriegstagebücher und Einzelakten der Rüstungskommandos und Rüstungsinspektionen, die mit der Koordination der Kriegs- und Rüstungswirtschaft auf Wehrkreisebene beauftragt waren, ebenso von Interesse wie Unterlagen zu Kriegsgefangenenlagern.

1990 erweiterte sich die Zuständigkeit des Bundesarchivs auf die Bestände der vergleichbaren Archive der DDR. Vom Deutschen Zentralarchiv in Potsdam kam der größte Teil der Registraturen der Reichsministerien des Innern, für Wirtschaft, Ernährung und Landwirtschaft, Arbeit, kirchliche Angelegenheiten, Verkehr, Wissenschaft, sowie Erziehung und Volksbildung, sofern sie nicht bis Kriegsende zerstört oder vernichtet wurden. Das 1964 gegründete Deutsche Militärarchiv in Potsdam wies erheblich größere Lücken auf als sein Gegenstück in Freiburg. Während das Material des Heeresarchivs Dresden fast vollständig erhalten geblieben war, hatte das Heeresarchiv Potsdam im Zweiten Weltkrieg empfindliche Verluste. Große Teile des preußischen Bestandes und der Dokumente von Reichswehr und Wehrmacht gingen beim amerikanischen Luftangriff auf Potsdam verloren, während nach Westdeutschland ausgelagerte Teile, vor allem Materialien der Wehrmacht, am Ende des Krieges von amerikanischen Behörden beschlagnahmt wurden und damit später ins Freiburger Militärarchiv gelangten. Den Kern des Potsdamer Aktenmaterials bilden eine Kartensammlung von ca. 3500 Karten der beiden Weltkriege, Originale und Fotokopien vom Schriftgut der Wehrmacht, die von privater Seite an das Deutsche Militärarchiv übergeben worden waren, sowie eine Reihe von Nachlässen.

Das Berlin Document Center (BDC) in Berlin-Zehlendorf war ursprünglich vom Washingtoner State Department verwaltet worden und ging erst 1994 in die Zuständigkeit des Bundesarchivs über. Mit anderen inzwischen hinzugekommenen Abteilungen zog es 1996 in ein Gebäude in Berlin-Lichterfelde um. Im ehemaligen BDC lagern etwa 30 Millionen Akten, rund 400 Tonnen Papier. Das Parteiarchiv der NSDAP ist zu 90 Prozent vorhanden, es umfasst 10,7 Millionen alphabetisch geordnete Karteikarten. Außerdem befinden sich hier 60 Prozent der Personalakten der SS, rund 600.000 Einzelakten. Dazu kommen: eine halbe Million Akten aus dem Rasse- und Siedlungs-Hauptamt der SS; 1,5 Millionen Parteikorrespondenzen; je einige hunderttausend Personalakten der SA, des NS-Lehrerbundes, des NS-Bundes Deutscher Techniker und anderer NS-Organisationen; Angaben über etwa zweieinhalb Millionen "volksdeutsche" Einwanderer; sowie Akten der Reichskulturkammer, des Volksgerichtshofs und verschiedener Gestapo-Dienststellen. Damit ist das BDC eine der wichtigsten Anlaufstellen für private Recherchen.

Seine jüngste Abteilung übernahm das Bundesarchiv erst im Jahr 2000: die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen in Ludwigsburg. Sie war 1958 von den Justizministern und Justizsenatoren der Bundesländer gegründet worden, um zur Aufklärung von NS-Verbrechen beizutragen. Zunächst hatten sich die Ermittlungen nur auf Verbrechen gerichtet, die außerhalb des heutigen Bundesgebiets begangen wurden, vor allem in den Ostblockstaaten. Erst Mitte der sechziger Jahre gingen die Justizminister der Länder dazu über, die Zentralstelle auch mit der Ermittlung gegen Täter zu beauftragen, die ihre Verbrechen auf dem Territorium der nachmaligen Bundesrepublik begangen hatten.

Dabei kam der Zentralstelle die Aufgabe zu, Vorermittlungen zu führen, um Tatverdächtigen auf die Spur zu kommen. Kam gerichtsrelevantes Material zum Vorschein, wurden die zuständigen Staatsanwaltschaften mit der Anklageerhebung beauftragt. Auf diese Weise wirkte die Ludwigsburger Behörde maßgeblich an der Vorbereitung großer Verfahren wie etwa des Majdanek- und des Auschwitzprozesses mit. In den ersten dreißig Jahren ihres Bestehens wurden rund 5.400 Verfahren an die zuständigen Staatsanwaltschaften weitergeleitet, darunter viele Sammelfälle, die dann in 13.000 Verfahren aufgelöst wurden. Auf Grund dieser Vorermittlungen kam es aber nur zur Verurteilung von rund 800 Personen.

Der lasche Umgang der deutschen Justiz mit Naziverbrechern war immer wieder Anlass für Kritik aus dem In- und Ausland, etwa anlässlich eines internationalen Symposions anlässlich des dreißigjährigen Bestehens der Zentralstelle im September 1988, wo Historiker und Juristen aus den USA ebenso wie aus Polen und der Tschechoslowakei unter anderem die restriktiven deutschen Archivgesetze dafür verantwortlich machten, dass vielfach Mörder ungeschoren davonkamen. Auch der erste der obersten Ludwigsburger NS-Fahnder soll Ermittlungen niedergeschlagen haben: Mitte der sechziger Jahre enthüllten Journalisten aus der DDR, dass Oberstaatsanwalt Erwin Schüle, der Leiter der Zentralen Stelle, selbst Mitglied der NSDAP und der SA gewesen war. Da er die Vorwürfe nicht entkräften konnte, musste er 1966 von seinem Amt zurücktreten.

Wenn man sich die große Zahl der durchgeführten Ermittlungsverfahren vergegenwärtigt, erhält man einen Begriff davon, welch umfangreiches Material die Zeitgeschichtsforschung in Ludwigsburg erwartet. In den letzten Jahren ist es noch weiter angewachsen. 1986 überließ die UNO-Kommission für Massenverbrechen während des Zweiten Weltkriegs der Zentralstelle Karteien mit den Namen von zehntausenden Verdächtigen und Zeugen. Auch wenn die Zeit inzwischen für die Täter gearbeitet hat - drei Viertel der Fälle mussten wegen Todesfall oder anderweitiger Prozesse zu den Akten gelegt werden -, so kommt hier auf die Historiker eine neue Überlieferung zu, die noch weitgehend der Auswertung harrt. Nachdem Ermittlungen gegen Naziverbrecher inzwischen nur noch gelegentlich zu erwarten sind, wurde die Zentrale Stelle in Ludwigsburg im Jahr 2000 als neue Abteilung dem Bundesarchiv angegliedert, geht aber bei Bedarf nach wie vor ihrer ursprünglichen Aufgabe nach. Damit sind die Verfahrensakten den übrigen Archivalien gleichgestellt, ihre Nutzung regelt ebenfalls das Bundesarchivgesetz. Neuerdings ist in Ludwigsburg eine an das Historische Institut der Universität Stuttgart angegliederte wissenschaftliche Einrichtung damit beschäftigt, mit Hilfe der Bestände die Motivation von Nazitätern zu erforschen.

Archivrecht

Angesichts der Fülle des archivierten Aktenmaterials stellt sich die Frage nach seiner Zugänglichkeit. Diese wird, ebenso wie seine Aufbewahrung, vom Bundesarchivgesetz geregelt. Zur Ablieferung verpflichtet sind Verfassungsorgane, Behörden und Gerichte des Bundes, bundesunmittelbare Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts sowie die sonstigen Bundesstellen. Die Anbietungspflicht des Bundesarchivgesetzes kennt eine Reihe von Ausnahmen: So müssen Unterlagen, "deren Offenbarung gegen das Brief-, Post oder Fernmeldegeheimnis verstoßen würde", nicht angeboten werden. Ebenso haben die ablieferungspflichtigen Stellen die Möglichkeit, Unterlagen "von offensichtlich geringer Bedeutung" nicht anbieten zu müssen. Sowohl Länderparlamente wie Bundesparlament können selbst entscheiden, ob sie ihre Unterlagen übergeben oder nicht. Und endlich können nachgeordnete Bundesstellen, "deren Zuständigkeit sich nicht auf den gesamten Geltungsbereich dieses Gesetzes erstreckt", mit Zustimmung ihrer vorgesetzten Behörde ihre Unterlagen auch dem zuständigen Staatsarchiv anbieten.

Unter die Definition von "Unterlagen" im Sinne des Archivgesetzes fallen insbesondere Schriftstücke, Akte, Karteien, Karten, Pläne, Bild-, Film- und Tonmaterialien sowie sonstige Informationsträger und maschinenlesbar auf diesen gespeicherte Informationen und Programme. Als Sicherung gegen einen schleichenden Informationsverlust durch technische Innovationen enthält das Bundesgesetz die Bestimmung: "Bei maschinell lesbaren Datenträgern ist zusätzlich die Form der Übermittlung von Daten zu vereinbaren; sie hat den allgemein anerkannten Regeln der Technik zu entsprechen."

Während Staatsarchive der Länder, etwa in Baden-Württemberg, lediglich angehalten sind, das Archivgut "allgemein nutzbar" zu machen, ist das Bundesarchiv durch Gesetz verpflichtet, an der wissenschaftlichen Erschließung selbst mitzuwirken. Für die Akten von Bundesbehörden bestimmt das Bundesarchivgesetz: "Das Archivgut des Bundes ist durch das Bundesarchiv auf Dauer zu sichern, nutzbar zu machen und wissenschaftlich zu verwerten." Die Bundesregierung kann dem Bundesarchiv zusätzlich Aufgaben übertragen, "die in sachlichem Zusammenhang mit dem Archivwesen des Bundes oder der Erforschung der deutschen Geschichte stehen."

Wer ist berechtigt, diese "Unterlagen von bleibendem historischen Wert" einzusehen und zu benutzen? Das Bundesarchivgesetz gesteht jedermann die Benutzung von Archivgut aus einer mehr als 30 Jahre zurückliegenden Zeit zu, soweit dies durch Rechtsvorschrift nicht anders geregelt ist. Tatsächlich sieht das Gesetz eine Reihe von Gründen vor, die den Zugang zu den benötigten Unterlagen erschweren oder gar unmöglich machen. Es sind dies Sperrfristen, Datenschutzvorschriften und die Sicherheitsinteressen des Staates.

Üblicherweise bleiben Akten oder sonstige Unterlagen, die von Archiven übernommen werden, eine Reihe von Jahren gesperrt, bevor sie öffentlich zugänglich gemacht werden. Geheime Unterlagen des Bundesarchivs unterliegen einer Sperrfrist von 80 Jahren. Nun beziehen sich viele Akten, Personalakten etwa, auf natürliche Personen, deren Schutz sich der Gesetzgeber angelegen sein lässt. Personenbezogenes Archivgut des Bundes darf erst 30 Jahre nach dem Tod der Person von Dritten benutzt werden, während bei nicht feststellbarem Todesdatum die Schutzfrist 110 Jahre nach der Geburt endet. Diese Fristen sind allerdings nicht unveränderlich. Sie gelten dann nicht, wenn Unterlagen bereits bei der Entstehung öffentlich zugänglich bzw. zur Veröffentlichung bestimmt waren. Das Bundesarchivgesetz sieht - anders als manche Landesarchivgesetze - eine Verlängerung der Sperrfristen nicht vor, wohl aber eine Verkürzung, sofern der Betroffene oder dessen Erben einwilligen oder wenn diese Verkürzung im öffentlichen Interesse liegt.

Auf dieser Grundlage könnten Archivare natürlich jederzeit die Einsicht in empfindliche Unterlagen verweigern - jedenfalls dann, wenn keine geeigneten Maßnahmen ergriffen werden können, um schutzwürdige Belange zu schützen, wie etwa die "Vorlage anonymisierter Reproduktionen". Ferner kann die Einsicht aber auch verweigert werden, wenn die Interessen des Staates dies verlangen: "Die Benutzung ist nicht zulässig, soweit (...) Grund zu der Annahme besteht, dass das Wohl der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder gefährdet würde." Als weitere Versagungsgründe gelten die schutzwürdigen Belange Dritter, der Erhaltungszustand des Archivguts oder ein nicht vertretbarer Verwaltungsaufwand, außerdem "die Geheimhaltungspflicht nach § 203 Abs. 1 bis 3 des Strafgesetzbuches oder andere Rechtsvorschriften des Bundes über Geheimhaltung" berücksichtigt.

Die Erfahrung zeigt aber, dass Archivgut, vor allem wenn es nicht personenbezogen ist, vom Bundesarchiv in der Regel anstandslos vorgelegt wird. Das Bundesarchivgesetz berücksichtigt die Interessen der Benutzer insofern, als der zugelassene Personenkreis keinen Einschränkungen unterworfen ist. Die Rechtsvorschrift ist eindeutig: Jedermann darf die Archivalien benutzen, sei er Schüler, Student, Professor, Journalist, Verfasser einer Familienchronik, ehemaliger Wehrmachtsangehöriger, der für den Rentenantrag eine Bescheinigung der Ausfallzeiten benötigt, oder dessen Kinder auf der Suche nach Informationen über die militärische Laufbahn ihres Vaters. Die pauschale Weigerung, solchen Laien die Einsicht in öffentlich zugängliche Akten zu verweigern, stellt einen Verstoß gegen geltendes Recht dar, denn das "berechtigte Interesse" wird ihnen mit Sicherheit nicht abzusprechen sein. Und nötigenfalls besteht immer noch die Möglichkeit, anonymisierte Kopien anzufertigen.

Praktische Tipps

Die Bestände des Bundesarchivs sind nach dem Provenienzprinzip geordnet. Das heißt, dass das Schrift- und Dokumentationsgut unter Wahrung der ursprünglichen Organisations- und Registraturzusammenhänge aufbewahrt wird. Das reine Provenienzprinzip kann allerdings auch gelegentlich durchbrochen werden, wenn beispielsweise zur Zeit der Entstehung eines Archivs Sachgruppen einer Behördenregistratur durch Bestände anderer Behörden ergänzt wurden. In diesem Fall spricht man von einem Mischbestand. Die nach Maßgabe der Provenienz geordneten Bestände werden nach der historischen Chronologie zu Bestandsgruppen oder Abteilungen zusammengefasst und erhalten fortlaufende Signaturen. Bei der Suche nach Quellen sollte zuerst die genaue Herkunft - Behörde, Institution, Person, Zeit - des Materials bestimmt werden, das benötigt wird. Für das weitere Vorgehen - vom Archiv zur Abteilung, von der Abteilung zum Bestand, vom Bestand zur gesuchten Einzelakte - verfügen die meisten Archive über Hilfsmittel wie Kataloge, Findbücher, Bestandsübersichten und Archivführer, mit deren Hilfe sich die gesuchten Unterlagen auffinden lassen.

Der Suche nach Dokumenten über Soldaten des Zweiten Weltkriegs können unterschiedliche Vorinformationen zugrunde liegen: bisweilen ein Wehrpass oder ein Soldbuch, die Angaben über die Zugehörigkeit zu Einheiten, Beförderungen usw. enthalten; in anderen Fällen Feldpostbriefe, auf denen Feldpostnummern vermerkt sind. In zahlreichen Fällen aber sind selbst diese Angaben nicht vorhanden. Dennoch muss eine Recherche nicht aussichtslos sein. Die folgende Übersicht ermöglicht bei unterschiedlichen Vorinformationen den jeweils angemessenen Einstieg in die Recherche.

1. Einheit bekannt: Man ermittelt in Tessin (1973ff.) die Nummer der Einheit bzw., bei Namensverbänden, den Namen im alphabetischen Band der Reihe. Dort ist in den meisten Fällen auch die Unterstellung vermerkt. Diese lässt sich schrittweise bis auf Divisionsebene hinunter verfolgen. Hat man die Division ermittelt, der die betreffende Einheit unterstellt war, so lassen sich deren Akten im Bundesarchiv-Militärarchiv einsehen. Die Bibliographie von Held (1978ff.) listet, nach deren Nummern sortiert, Literatur zu Truppen der Wehrmacht und Waffen-SS auf.

2. Feldpostnummer bekannt: Verfügt man nur über eine oder mehrere Feldpostnummern, so lässt sich die zugehörige Einheit im Verzeichnis von Kannapin (1980ff.) ermitteln. Dabei ist zu beachten, dass dieselbe Nummer im Lauf der Kriegsjahre nacheinander an mehrere Einheiten vergeben worden sein kann. Die entsprechende zeitliche Abfolge ist im Verzeichnis vermerkt. Sobald man die Einheit(en) ermittelt hat, verfährt man weiter wie unter 1.

3. Nichts bekannt: Wenn außer den Personalien nichts bekannt ist, sollte man zunächst bei der Deutschen Dienststelle anfragen, ob dort Unterlagen vorhanden sind. Dazu braucht die Behörde den Namen und Geburtstag, möglichst auch den Wohnort, um bei Namensgleichheit die richtige Person zu identifizieren. Es empfiehlt sich, gleichzeitig bei der Zentralnachweisstelle des Bundesarchivs eine weitere Anfrage nach den Personalunterlagen vorzunehmen. Bei beiden Behörden ist es erforderlich, sich als Verwandte(r) in direkter Linie zu identifizieren (z.B. durch eine Fotokopie aus dem Familienbuch). Sollte von diesen Behörden nach 5 bis 6 Wochen noch keine Antwort eingetroffen sein, ist es empfehlenswert, telefonisch, gegebenenfalls auch schriftlich nachzuhaken. Mit den tabellarischen Informationen der Deutschen Dienststelle bzw. der Zentralnachweisstelle des Bundesarchivs lässt sich dann weiter verfahren wie unter 1.

4. Personalia von Parteimitgliedern: Zusätzlich zu den Personalunterlagen der Zentralnachweisstelle des Bundesarchivs ist für Personen, deren Zugehörigkeit zur NSDAP bekannt ist oder vermutet wird, Einsicht in die Personalunterlagen der NSDAP und ihrer Gliederungen beim Bundesarchiv, Abteilungen Reich und DDR (Bestand des ehemaligen BDC), empfehlenswert. Allerdings ist der Umgang der Behörde mit diesem Material sehr restriktiv; eine besondere Hartnäckigkeit beim Bemühen um Einsichtnahme ist deshalb von Vorteil.

Es ist ratsam, Archive nicht ohne Vorbereitung zu besuchen. Das Bundesarchiv empfiehlt, sich vorab über die in Frage kommenden Bestände zu informieren und sich gleich an die richtige Stelle zu wenden. Zur Orientierung gut geeignet ist die Website der Behörde, auch wenn ihre Verantwortlichen das Potential dieses Mediums noch nicht zu erkennen scheinen. Wegen der beschränkten Zahl der Arbeitsplätze vor allem im Militärarchiv ist es erforderlich, dass Benutzer sich rechtzeitig schriftlich anmelden und den vorgesehenen Termin mitteilen. Die Benutzung von Archivalien ist nur im Lesesaal möglich. Es besteht allerdings die Möglichkeit, Fotokopien und fotografische Reproduktionen anfertigen zu lassen.

Anhang

1. Anschriften

Deutsche Dienststelle/Wehrmachtauskunftsstelle, Eichborndamm 179, 13403 Berlin
Angaben über die Zugehörigkeit zu Einheiten usw.

Bundesarchiv, Zentralnachweisstelle, Abteigarten 6, 52076 Aachen
Bestände: Personalunterlagen von Angehörigen des Heeres, der Luftwaffe, der Waffen-SS, des Reichsarbeitsdienstes, der Organisation Todt; Wehrmachtgerichtsbarkeit, Verleihungen von Orden und Ehrenzeichen

Bundesarchiv, Abteilungen Reich und DDR, Finckensteinallee 63, 12205 Berlin, e-mail: koblenz@barch.bund.de
Bestände u.a.: Personalunterlagen der NSDAP (ehemaliges Berlin Document Center), Nachlässe, archivische Sammlungen

Bundesarchiv, Abteilung Militärarchiv, Wiesentalstraße 10, 79115 Freiburg, e-mail: koblenz@barch.bund.de
Bestände u.a.: Reichswehr, Wehrmacht, Waffen-SS, Nachlässe, archivische Sammlungen, Karten, Pläne, technische Zeichnungen

Bundesarchiv, Potsdamer Straße 1, 56075 Koblenz, e-mail: koblenz@barch.bund.de
Bestände u.a.: Persönlicher Stab Reichsführer SS, SS-Führungshauptamt, Reichssicherheitshauptamt

Bundesarchiv, Außenstelle Ludwigsburg, Schorndorfer Straße 58, 71638 Ludwigsburg, E-mail: ludwigsburg@barch.bund.de
Aufgaben: Verwaltung und Archivierung der Unterlagen der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen sowie deren Bereitstellung zur Nutzung

Weitere Informationen auf der Website des Bundesarchivs: www.bundesarchiv.de

2. Hilfsmittel

Held, Walter 1978-1995: Verbände und Truppen der deutschen Wehrmacht und Waffen SS im Zweiten Weltkrieg: eine Bibliographie der deutschen Nachkriegsliteratur. 4 Bde. Biblio Verlag, Osnabrück

Kannapin, Norbert 1980-1982: Die deutsche Feldpostübersicht 1939-1945. Vollständiges Verzeichnis der Feldpostnummern in numerischer Folge und deren Aufschlüsselung. 3 Bde. Biblio Verlag, Osnabrück

Tessin, Georg 1973-1996: Verbände und Truppen der deutschen Wehrmacht und Waffen SS im Zweiten Weltkrieg 1939 1945. 16 Bde. Biblio Verlag, Osnabrück

3. Quellen und Literatur zum Archivwesen

Boberach, Heinz 1969: Das Schriftgut der staatlichen Verwaltung, der Wehrmacht und der NSDAP in der Zeit von 1933-1945. Versuch einer Bilanz. In: Der Archivar 2, Sp. 137-152

Boll, Bernd 1990: Quellen für die badische Zeitgeschichte (1933-1949). Ein Überblick. In: Die Ortenau 70, S. 410-437

Booms, Hans 1968: Zusammenfassung des militärischen Archivgutes im Bundesarchiv. In: Der Archivar 3, Sp. 237-240

Facius, Friedrich; Booms, Hans; Boberach, Heinz 1977: Das Bundesarchiv und seine Bestände. Boppard

Franz, Eckhart G. 1974: Einführung in die Archivkunde. Darmstadt, S. 39

Gesetz über die zentrale Archivierung von Unterlagen aus dem Bereich des Kriegsfolgenrechts vom 6. Januar 1988. In: Bundesgesetzblatt (BGBl) 1988, Teil I, Nr. 2, S. 65

Gesetz über die Sicherung und Nutzung von Archivgut des Bundes (Bundesarchivgesetz - BArchG) vom 6. Januar 1988. In: BGBl 1988, Teil I, Nr. 2, S. 62-64

Henke, Josef 1984: Das Zentralarchiv der französischen Militärjustiz in Le Blanc (Indre). In: Der Archivar 4, Sp. 509-516

Janßen, Karl-Heinz; Kleine-Brockhoff, Thomas ; Sontheimer, Michael 1988: Nazis For Sale. Seit Jahren verschwinden NS-Akten aus dem Document Center. In: Die Zeit, 1. April

Kraus, Hans-Christof 2001: Täterforschung. Neues von der Zentralstelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen. In: FAZ, 8. Mai

Lichtenstein, Heiner 1987: Neue Aufgaben für die Ludwigsburger Zentralstelle. In: 1999 2, S. 177-178

Oldenhage, Klaus 1983: Akten der französischen Militärregierung (1945-1949), in Paris benutzbar. In: Der Archivar 1, Sp. 93

Rohr, Wilhelm 1966: Mikroverfilmung und Verzeichnung deutscher Akten in Alexandria, USA. In: Der Archivar 3, Sp. 251-260

Wolfe, Robert (Hg.) 1974: Captured German and Related Records. A National Archives Conference. Athens/Ohio

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