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Heft 63: Management des Kriminellen - Soziale Kontrolle als unternehmerische Dienstleistung

1997 | Inhalt | Editorial | Leseprobe

Titelseite Heft 63
  • März 1997
  • 104 Seiten
  • EUR 11,00 / SFr 19,80
  • ISBN 3-89370-260-1

Zu diesem Heft

Das Kriminelle managen - kann das funktionieren? Zunächst denkt man vielleicht an die Mitglieder der organisierten Kriminalität, die - glaubt man dem massenmedial aufbereiteten Bild - mit allen technischen Raffinessen ausgestattet, hochmotiviert, korruptions- und gewaltbereit und ohne jede Skrupel illegale Superprofite einstreichen. Aber diese Seite des Profits aus Kriminalität ist nicht gemeint. Vielmehr geht es in diesem Schwerpunktheft der "Widersprüche" um jene, die es zunehmend verstehen, aus der Bekämpfung der Kriminalität Gewinn zu schöpfen. Dieser Profit ist möglich geworden, weil die Sicherheitsbedürfnisse von Menschen und Institutionen enorm gewachsen sind, und weil Industrie- und Dienstleistungsunternehmen sich dieser Bedürfnisse angenommen haben, ihnen entsprechen und sie weiterentwickeln. Dabei ist der Staat selbst dazu übergegangen, Teile seiner Kontroll- und Bestrafungstätigkeiten privaten Anbietern zu übertragen.

Bisher erschien es uns selbstverständlich, daß eine Straftat von staatlichen Polizisten ermittelt, von staatlichen Anwälten angeklagt, das Maß der Strafe von staatlichen Richtern bestimmt und die Strafe selbst schließlich in staatlichen Strafanstalten von staatlichen Justizvollzugsbeamten vollstreckt wird. Auch der bekannteste Teil der Vollzugsnachsorge ist uns vor allem als staatliche Bewährungshilfe geläufig. Aber nachdem schon seit langem Angestellte privater Sicherheitsdienste durch den öffentlichen Raum patrouillieren und private Hostessen Strafzettel an Falschparker verteilen, und vor allem, seitdem sich um das Gefängnis selbst eine unüberschaubare Zahl von Non- und For-Profit Agenturen angesiedelt haben, ist die Eindeutigkeit der staatlich organisierten Strafverfolgungs- und Strafvollstreckungspraxis ins Wanken geraten. Sogar das Gefängnis selbst steht auf dem Prüfstand. Vor allem aus Kosten- und Finanzierungsgründen wird darüber nachgedacht, ob und welche Teile der ehemals monolithisch anmutenden Justizmaschinerie in geschickten privaten Unternehmerhänden besser aufgehoben sind als in den ungelenken Fingern staatlicher Bürokratien.

Bei aller Rede von Privatisierung geht es aber nicht um Entstaatlichung, um die Rückgabe von gesellschaftlichen oder individuellen Konflikten in die Hände der Konfliktparteien, sondern in erste Linie um den Erhalt bestehender und die Schaffung neuer Justizkapazitäten unter finanziell günstigen Bedingungen für beide Seiten des Vertrages: für den Staat und seine privaten Diener.

Dieser Kontrakt allerdings verändert die Qualität des Kriminellen erheblich, denn das vermeintlich unerwünschte Verhalten erscheint den Managern des Kriminellen kaum noch als zu kritisierendes, zu beseitigendes Verhalten, sondern als die notwendige Voraussetzung ihrer profitablen Unternehmung. Der Staat steht in der Pflicht, diese Voraussetzung zu schaffen und die Zulieferung sicherzustellen. Insofern behält er - und das ist sein Ertrag - die moralisch-normative Hoheit und seine Legitimität: die Zügel hält er weiterhin fest in der Hand. Kriminalität wird in ihrer so gedachten Qualität - also einerseits ein zu kontrollierendes, andererseits ein nützliches Verhalten - zu einer Ware, die sowohl legitimatorischen als auch ökonomischen Profit abwirft.

So wird davon ausgegangen, daß sich erstens schon passende Feinde finden lassen, die entsprechend etikettiert und ausgeschlossen werden können, daß zweitens Abweichung mit rationalen Mitteln beherrscht werden kann, und daß sich drittens, als Resultat dieser beiden Prämissen, die über den ersten Mechanismus erzeugte irrationale Furcht mit rationalen Mitteln beherrschen läßt. Auf einen solchen managerialen Nützlichkeits- und Kontrolldiskurs beziehen sich alle AutorInnen.

In diesem Heft sind AutorInnen aus vier Ländern vereinigt. In der Gesamtschau ihrer Beiträge verdeutlicht sich die transnationale Einheitlichkeit dieses Diskurses: nationale Sonderwege in der Bekämpfung der Kriminalität scheint es immer weniger zu geben; die Unterwerfung unter das Diktat des Managerialen wird in den Ländern der westlichen Hemisphäre generell immer bestimmender.

Somit wird in diesem Schwerpunktheft der "Widersprüche" die überwiegend auf die Jugendhilfe bezogene Dienstleistungsdiskussion der Hefte 61 (Zum Einzug des Qualitätsmanagements in die Soziale Arbeit) und 59 (Klienten, Kunden, Könige, oder: Wem dient die Dienstleistung) erneut aufgegriffen und die in Heft 55 begonnene Diskussion (Sicher ist Sicher - Vom Modell Deutschland zur Deutschland AG) weitergeführt.

Zu den Beiträgen im einzelnen

Wohin führt die Zukunft der Gefängnisse? Werden wieder mehr Menschen eingesperrt, werden wir in Zukunft sogar "Gulags" haben, um einen großen Teil der Bevölkerung dauerhaft von bürgerlichen Lebensläufen auszugrenzen? Vieles spricht besonders unter dem Gesichtspunkt dafür, daß Kriminalität, dieses ideelle Ungut, als profitträchtige Ressource erkannt worden ist, die es, gleich anderen Rohstoffen, optimal auszuquetschen gilt. Einerseits. Andererseits sehen wir uns epochalen Veränderungen der technischen Kontrollmedien gegenüber. Diese scheinen räumliche Festsetzungen überflüssig zu machen, überflüssig auch deshalb, weil die Politik des Konsenses und der Bedürfnislenkung - vielleicht - die Methoden selektiver Brutalität obsolet werden läßt. Diese beiden disparaten Entwicklungen diskutiert Sebastian Scheerer in seinem Essay.

Maeve McMahon beschreibt in ihrem Beitrag die wachsende kommerzielle Durchdringung von formeller sozialer Kontrolle und privater Sicherheitsvorsorge. Ihre Analyse beruht auf der Annahme, daß die Privatisierung der sich so entwickelnden Kontrollsysteme den Profit aus ihnen impliziert. Daher lautet ihre zentrale Frage: Profit - auf wessen Kosten? Ihre Antwort: Eindeutig auf Kosten der Armen und der ethnischen Minderheiten, die in der Risikogesellschaft immer weiter ausgegrenzt werden, während die profitorientierten Unternehmen allein die Begünstigten sind. Daher liege die große Herausforderung für den kritischen Diskurs darin, den die Privatisierung befördernden, rationalen, utilitaristischen und managerialen Diskurs standhaft zu trotzen.

Cindy Davis und Linda Hancock beschreiben ein Privatisierungsprogramm des Bundeslandes Victoria in Australien "zur Verbesserung der Verwaltung", in dessen ideologischem Rahmen die Auslagerung von Teilen des Strafvollzugs an private Unternehmer sowie das Kostendeckungsprinzip durch Gebühren der nun zu "Kunden" gewordenen Gefangenen dieser Verwaltung vollzogen werden. Die beiden Autorinnen, Forscherinnen an der Deakin University in Geelong, legen eine kritische Analyse der Auswirkungen dieses neuen Steuerungsmodells vor und kommen zu dem (nur auf den ersten Blick) unerwarteten Schluß, daß diese ökonomische Rationalität verheißende moderne Verwaltungsreform zwangsläufig zusätzliche Kosten verursacht.

Michael Voß hat jene privaten Sicherheitsdienste thematisiert, die in privaten bzw. öffentlich zugänglichen Bereichen ihrer Arbeit verrichten und damit polizeiäquivalente Funktionen besetzten. Diese kommerzielle Sicherheitsdienstleistung unterwerfe, so Voß, den öffentlichen Raum zunehmend dem Diktat privater Partikularinteressen, wobei die von den Auftraggebern vorgegebenen und von den Sicherheitsdienern angewendeten Normen vor allem an der Funktionstüchtigkeit des jeweils zu schützenden ökonomischen Subsystems orientiert seien. Und in diesen Subsystemen gehe es vor allem darum, den Bürger einer profitablen Verwertung zuzuführen - "sei es im Bereich der Produktion, des Konsums, des Wohnens oder der Freizeitgestaltung." Wenn Sicherheit, so Voß weiter, auf diese Weise zum Marktgut werde, dann führe dies keineswegs zu neuen Ufern der Entstaatlichung oder gar zur Rückführung sozialer Konflikte in die Hände der Betroffenen. Vielmehr spiegle sich der ungleiche Konsum von Sicherheitsgütern und Sicherheitsdienstleistungen lediglich die soziale Ungleichheit wider.

Thomas Feltes thematisiert zunächst den Widerspruch zwischen einer historisch optimalen Sicherheitslage der Bürger (nie lebten wir so sicher wie heute) und einer ebenso einmaligen, anwachsenden (mutmaßlichen) Kriminalitätsfurcht, die allerdings durch Umfrageergebnisse nicht verifiziert werden kann. Denn bei diesen Surveys ist entscheidend, ob Kriminalität als Antwortmöglichkeit prominent hervorgehoben wird; ist das nicht der Fall, werden ganz andere Probleme, etwa Arbeitslosigkeit, als viel gravierender eingestuft. Daher, so Feltes, sei dem Furchtproblem auch nicht durch eine personelle Aufstockung der Polizei oder durch eine härtere Strafpolitik beizukommen. Eine Lösung sieht er eher in der wissenschaftlich fundierten Aus- und Weiterbildung der Polizei, zu deren Curriculum Selbstreflexion, Selbstkritik und Supervision gehören sollen, sowie in der Institutionalisierung einer kritischen, hochinformierten Polizeiwissenschaft, wie sie in anderen Ländern bereits existiere.

Arno Pilgram analysiert die Privatisierung von Justizdienstleistungen aus der Perspektive der österreichischen Bewährungshilfe. Im Gegensatz zu ihrer deutschen Schwester war diese schon immer nicht-staatlich organisiert, sondern in privater Trägerschaft, und im Gegensatz zu Michael Voß sieht Pilgram vor allem die potentiell positiven Aspekte der privaten Organisierung. Denn obzwar in der österreichischen Bewährungshilfe heute die "Sozialmanager das Sagen" hätten, so würden diese doch von den übrigen Mitgliedern der Trägervereine so wirkungsvoll kontrolliert, daß gerade der private Status der österreichischen Straffälligenhilfe eine Konstellation bewirke, die jene Spielräume begünstige, in denen Werthaltungen kultivierbar seien, die das strafrechtliche Prinzip der Übelszufügung radikal in Frage stellten und damit eine Entkriminalisierungs-, Entpoenalisierungs- und Dekarzerationspolitik im Auge behielten.

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