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Heft 103: Selbstverantwortete Gesundheit - selbstverantwortete Krankheit

2007 | Inhalt | Editorial | Abstracts

Titelseite Heft 103
  • März 2007
  • 136 Seiten
  • EUR 11,00 / SFr 19,80
  • ISBN 3-89370-426-2
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Michael Buestrich
Gesundheit in der entsicherten Arbeits(losen)gesellschaft

"Die Deutschen fehlen so selten wegen Krankheit am Arbeitsplatz wie nie zuvor und sind damit die gesündesten Europäer" meldet die Süddeutsche Zeitung am 19.04.2006 und beruft sich dabei auf die Zahlen des jährlichen BKK Gesundheitsreports, der einen "neuen historischen Tiefstand seit Beginn der BKK Statistik (1976)" (BKK Bundesverband 2005, S. 8) konstatiert. Die Lohn(nebenkosten) zahlenden Unternehmen deuten diese Entwicklung ex-post als empirische Bestätigung ihres Verdachts, dass "auf Kosten des solidarischen Gesundheitssystems" - gemeint sind damit die Unternehmen selbst - immer schon zu viel "Blau gemacht" wurde. Dagegen lehnen Gesundheitsforscher die nahe liegende Schlussfolgerung ab, aus diesem "Rekord im Durchhalten" (Schiegl 2006, S. 22) einen Indikator dafür zu machen, dass die Arbeitsbevölkerung tatsächlich insgesamt auch weniger krank bzw. gesünder ist. Im Gegenteil, denn viele können sich krankheitsbedingte Ausfälle vor dem Hintergrund der aktuellen Arbeitsmarktlage offenbar nicht (mehr) leisten und arbeiten auch in einer körperlichen Verfassung, mit der sie früher eher einen Arzt aufgesucht hätten.

Christian Schultz
Psychotherapie für Erwerbslose - Hilfe oder Illusion?

Die Zusammenhänge zwischen Erwerbslosigkeit und schlechter psychischer Befindlichkeit bei den Betroffenen sind seit längerer Zeit belegt und finden seit Neuerem auch Eingang in die Gesundheitsreporte der Krankenkassen. Ist also Psychotherapie für Erwerbslose die adäquate Antwort auf dieses Problem? Der Artikel zeigt zunächst die Hürden auf, die beim Zugang zu dieser Versorgungsleistung überwunden werden müssen, um dann zu begründen, inwiefern auch die strukturellen Merkmale von Psychotherapie diese nicht zu einem geeigneten Unterstützungsangebot machen. Zum Abschluss wird auf die gewandelte Funktionalität von Psychotherapie im Rahmen der postfordistischen gesellschaftlichen Restrukturierung eingegangen.

Eckhard Rohrmann
Institutioneller Einschluss ist keine Antwort auf sozialen Ausschluss
Wider die murale Entsorgung sozialer Probleme in Deutschland. Kritische Anmerkungen zum 1. Heimbericht der Bundesregierung

Obwohl der Grundsatz "ambulant vor stationär" bereits 1984 als explizite Rechtsnorm ins Sozialhilferecht und später auch in andere einschlägigen Rechtsvorschriften aufgenommen wurde, reagiert das deutsche Sozialwesen bis heute auf das Risiko gesellschaftlichen Ausschlusses durch soziale Probleme, wie Behinderung, Alter, Pflegebedürftigkeit etc., in den weitaus meisten Fällen nicht durch Hilfen, die geeignet sind, sozialen Ausschluss zu vermeiden oder zu überwinden, sondern durch institutionellen Einschluss in stationären Einrichtungen mit der Konsequenz der institutionellen Verfestigung und Verstetigung des Ausschlusses. Um in diesen Einrichtungen wenigstens gewisse Mindeststandards bundeseinheitlich abzusichern, verabschiedete der Bundesgesetzgeber 1974 das Heimgesetz. Seit 2002 schreibt dieses Gesetz außerdem vor, dass das zuständige Fachministerium den gesetzgebenden Organen alle vier Jahre einen Heimbericht vorlegt, den ersten im Jahr 2004. Dieser liegt nun seit dem 23. Oktober 2006 mit zweijähriger Verspätung der Öffentlichkeit vor.

Charlotte Jurk
Was macht Depression zur "Volkskrankheit"?
Über die Karriere einer Diagnose

Kürzlich haben steigende Zahlen auf dem Gebiet der psychischen Krankheiten, insbesondere der Depression für öffentliches Aufsehen gesorgt. Nicht nur einige Krankenkassen begannen nach Belegen für die Verschlechterung der psychischen Gesundheit zu suchen, die Rentenversicherungen, wie auch die Gesundheitsberichterstattung des Bundes belegten einen dramatischen Anstieg der Diagnose Depression' in diesem Land. In mehreren Städten wurden von Medizinern "Kompetenznetzwerke" zum Thema Depression gegründet, Patienteninitiativen arbeiten seither Hand in Hand mit Psychotherapeutenpraxen an einer "Enttabuisierung" des Themas. Inzwischen hat sich die erste Aufregung gelegt, die Depression ist aus den Schlagzeilen verschwunden, nicht ohne sie inzwischen zur "Volkskrankheit" erklärt zu haben. Der Tatbestand wurde in der breiten Öffentlichkeit nicht in Frage gestellt, scheint die Feststellung der Diagnose doch mit der Alltagserfahrung zusammenzustimmen, nach der immer mehr Menschen im eigenen Lebensumfeld niedergeschlagen, einsam und perspektivlos sind. Der Griff zum Psychopharmakon, der Gang zum Therapeuten sind zum überlebensnotwendigen Normalfall geworden. Die Medikalisierung sämtlicher Seelenzustände ist im Gange und hat mit der Propagierung der Depression als "Volkskrankheit" einen entscheidenden Etappensieg errungen. Was diesen Sieg eher zu einer Gefahr, denn zu einem Segen macht - dieser Frage soll im Folgenden nachgegangen werden.

Henning Schmidt-Semisch, Jan Wehrheim
Exkludierende Toleranz oder:
Der halbierte Erfolg der "akzeptierenden Drogenarbeit"

Der Umgang mit illegalisierten Drogen wurde im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts im wesentlichen durch zwei drogenpolitische Ansätze bestimmt: Hatte man bis in die 80er Jahre hinein in DrogenkonsumentInnen vor allem Kriminelle gesehen, die Gesetze übertreten hatten und daher bestraft werden mussten, so trat seit Mitte der 80er und vor allem in den 90er Jahren zunehmend das Bild von DrogenkonsumentInnen als Suchtkranken in der Vordergrund, Menschen also, die behandelt und geheilt werden sollten. Dieser bis heute jedoch nicht umfassend vollzogene Wechsel stand in engem Zusammenhang mit der Erstarkung der akzeptierenden Drogenarbeit, die sich insbesondere für die Interessen der DrogengebraucherInnen stark machen, ihre Selbsthilfe stärken und langfristig eine Liberalisierung der Drogenpolitik erreichen wollte. Aber obgleich die akzeptierende Drogenarbeit mittlerweile als etablierte Form der Drogenhilfe bezeichnet werden muss, darf diese Etablierung allenfalls als halbierter Erfolg gewertet werden.

Heino Stöver
Substitutionsbehandlung für OpiatkonsumentInnen:
Der lange Weg zum Erfolg!

Nach einer langen und kontroversen Debatte wurde die Substitutionsbehandlung für Opiatabhängige (damals v.a. mit Methadon) erstmalig 1987 systematisch in Deutschland eingeführt (Newman 1988; Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen). Zwanzig Jahre später beläuft sich die Zahl der Substituierten auf ca. 65.000, bei einer Gesamtzahl von geschätzten 120-150.000 OpiatkonsumentInnen (Bätzing 2006). Rückblickend lässt sich diese enorme Steigerung in der Zahl der Substitutionsbehandlungen und eine weitgehende Akzeptanz dieser Behandlungsform in Deutschland u.a. durch den Erfolg erklären, die die Akzeptanz sowohl unter Politikern, Fachleuten, Ärzte erhöht haben. Für all diejenigen, welche die Anfänge, d.h. die Glaubenskriege' und Auseinandersetzungen um Methadon erlebt haben, scheint die gegenwärtige Zahl der Substitutionsbehandlungen durchaus ein Erfolg zu sein. Doch selbst angesichts der relativ hohen Zahl der mit dieser Behandlung erreichten OpiatkonsumentInnen ist ihr Potential längst nicht ausgeschöpft - sowohl in qualitativer wie in quantitativer Hinsicht. Noch immer gibt es eine erhebliche Behandlungslücke zwischen denjenigen, die eine Substitutionsbehandlung erhalten wollen, und der Anzahl der Plätze. Woran liegt das? Sperrt sich das Behandlungssystem noch immer gegen Substitution? Gibt es zu wenige Ärzte? Und wenn ja, warum? Lässt sich kein Geld damit verdienen? Gibt es zu viele rechtliche Unsicherheiten für die Ärzte? Haftet der Suchtmedizin noch immer das Stigma der Schmuddelmedizin' an? Im Folgenden sollen einige ausgewählte Aspekte der Substitutionsbehandlung vorgestellt werden, die verdeutlichen, warum diese erfolgreiche Behandlungsform noch immer gebremst wird, und warum wir noch meilenweit von einer normalen Behandlung' von opiatabhängigen Menschen entfernt sind.

Klaus-Uwe Gerhardt
Garantiertes Mindesteinkommen
eine Forderung für alle(s)?

Im Folgenden wird für die soziale Weiterentwicklung der "Grundsicherung für Arbeitsuchende" (Hartz IV) zu einem garantierten Mindesteinkommen argumentiert. Ich beginne mit der Diagnose der Arbeitsmarktkrise. Es folgt die Würdigung der Hartz-Initiative, welche Lohnsubventionen neu strukturiert und den Niedriglohnsektor ausdehnt. In einem dritten Schwerpunkt sind die vorläufigen Ergebnisse der Arbeitsmarkt- und Sozialreformen darzustellen. Zahlen sich die harten sozialen Einschnitte letztendlich für das Gemeinwohl aus? Erwerbsarbeit behält ihre Prägekraft für individuelle Lebensentwürfe. Daher sind Brücken zwischen dem Erwerbsleben in allen Lebensphasen offen zu halten. Viertens geht es um die Frage, ob und inwieweit sich aus Hartz IV ein garantiertes Mindesteinkommen mit sozialem Antlitz entwickeln ließe. Dazu braucht es neue Perspektiven und konkrete Umsetzungsschritte.

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