Pfad: Startseite > Hefte > 2008 > Heft 110: Ganztagsschule - Hoffnung. Ernüc...

 
Startseite Suchen Druckansicht imagemap Schrift verkleinern Schrift vergrößern

Heft 110: Ganztagsschule - Hoffnung. Ernüchterung. Kritik

2008 | Inhalt | Editorial | Abstracts

Titelseite Heft 110
  • Dezember 2008
  • 124 Seiten
  • EUR 12,00 / SFr 21,90
  • ISBN 3-89370-449-1
PDF Herunterladen

Joachim Schroeder
Ganztagsschulen und die 'Bruchkanten' der Gesellschaft

Die forcierte Ausweitung der Ganztagsschulen in Deutschland beruht u.a. auf der Behauptung, mit einer solchen Form der Schulorganisation könne pädagogisch 'gerechter' als bislang auf die Heterogenität der Schülerschaft reagiert und insbesondere einer Marginalisierung benachteiligter Kinder und Jugendlicher entgegen gewirkt werden. Mit der Einführung von Ganztagsschulen ist das Versprechen verknüpft, dadurch 'Schulen für alle' zu schaffen, die, ausgestattet mit mehr Zeit und mehr Ressourcen, in der Lage seien, die Ausgrenzung von Schülerinnen und Schülern zu verhindern. Aus kultur- und raumsoziologischen Perspektiven erweisen sich solche Verheißungen jedoch als naiv und trügerisch, denn auch Ganztagsschulen werden eher von den Wirkkräften gesellschaftlicher Spaltung erfasst, als dass es ihnen gelänge, sich diesen zu entziehen. Gleichwohl lassen sich Vorschläge unterbreiten, wie auch Kinder und Jugendliche in riskanten Lebenslagen schulisch wirksam gefördert werden können.

Karin S. Amos
Was kann man aus den aktuellen Debatten um Ganztagsschulen für das Verständnis des Verhältnisses zwischen Staat und Schule lernen?
Und was bedeutet dies für die Konzeption gesellschaftlicher Mitgliedschaft?

Die öffentliche Schule spielt eine wesentliche Rolle bei der (staatlichen) Gestaltung gesellschaftlicher Mitgliedschaftsverhältnisse, das historisch auf die Formel gebracht werden kann, im Erzieher-Zögling-Verhältnis werde das Staat-Bürger-Verhältnis präfiguriert. Wie immer man die aktuellen gesellschaftlichen Veränderungen auch beschreiben mag, so ist in jedem Falle evident, dass die Absichten, den Ganztagsschulbereich auszubauen und damit die öffentliche Schule zu stärken, auch Folgen für die Frage der Gestaltung der gesellschaftlichen Mitgliedschaft haben.

Fritz-Ulrich Kolbe, Sabine Reh
Der Erfolg der Ganztagsschule
reformpädagogische Ideen, pädagogische Praktiken der Individualisierung und politische Konstellationen

Auf der Grundlage empirischer Rekonstruktionen der pädagogischen Diskurse über die Ganztagsschule und der pädagogischen Praktiken in den Angeboten der Ganztagsschulen wird die gegenwärtige schulpolitische Entwicklung eingeschätzt. Historisch betrachtet ist die Ganztagsschule in Deutschland eine Schule, die reformpädagogische Vorstellungen von einem anderen, einem "kindgerechten" und "lebensnahen" Lernen in Selbsttätigkeit und Selbständigkeit auf Seiten der schulischen Akteure mobilisiert und die tatsächlich auch Raum und Zeit gibt für Praktiken einer gleichzeitigen Individualisierung und Informalisierung von pädagogischen Angeboten. Schultheoretisch ambivalent kann man diese Veränderungen als "Grenzverschiebung" des Schulischen und sozialisationstheoretisch ambivalent als historischen Schritt in der Entwicklung und Differenzierung der Formen, in denen Subjekte als selbständige, sich "selbst regulierende" und "sich selbst managende" gebildet werden, interpretieren.

Heike Deckert-Peaceman
Mehr Zeit in der Schule
Aktuelle Reformbaustellen der Grundschule in ihrer Auswirkung auf Institution und Kindheit

Der Beitrag diskutiert die aktuellen Ganztagsschulmodelle bezogen auf den Primarbereich. Dabei fragt er nach der Auswirkung der Veränderungen auf Institution und Kindheit im Kontext einer zweiten Reform "Übergang vom Elementar- zum Primarbereich". Herausgearbeitet werden ähnliche Muster und hinsichtlich ihrer Relevanz für das Selbstverständnis der Grundschule, das als Mythos erkannt wird, erörtert. Ferner wird nach dem impliziten Kindheitsverständnis gefragt. Abschließend werden schultheoretische und bildungspolitische Konsequenzen formuliert.

Gabriele Nordt, Charlotte Röhner
Hausaufgaben in der offenen Ganztagsgrundschule
Ein Beitrag zur Förderung des schulischen Lernens und der Schulqualität?

Mit der Einführung von Ganztagsschulen sollen - als Folge der negativen Leistungsbilanz aus PISA - die Schulleistungen gesteigert und Risikoschüler/innen gefördert werden. Die Hausaufgabenfrage nimmt in der Ganztagsschuldebatte eine herausgehobene Stellung ein, da mit ihr hohe Erwartungen an die schulische Lern- und Leistungsförderung verbunden sind. In dem Beitrag wird anhand von Daten aus der wissenschaftlichen Begleitforschung zur offenen Ganztagsschule im Primarbereich (OGS) in NRW untersucht werden, ob die im Primarbereich favorisierte Form der offenen Ganztagsschule ihren Anspruch nach Lernförderung im Bereich der Hausaufgabenbetreuung pädagogisch einlösen kann. Sowohl die Pädagogen- als auch die Kinderbefragung bilden einen Modus der Hausaufgabenbetreuung ab, der durch die Aufgabenerledigung in einem reglementierten Zeit- und Ordnungsrahmen erfolgt und den Kindern wenig Spiel- und Handlungsräume für selbstreguliertes wie selbstbestimmtes Lernen eröffnet. In der Hausaufgabenbetreuung der OGS werden Merkmale der Hausaufgabenpraxis der Halbtagsschule tradiert, ohne sie einer kritischen Reflexion zu unterziehen und die Praxis an den erziehungswissenschaftlichen Befunden zur Theorie und Empirie von Hausaufgaben auszurichten. Insofern leistet die gegenwärtige Hausaufgabenpraxis keinen Beitrag zur Verbesserung der Lernkultur.

Uwe Hirschfeld
Ganztagsstaat
Politik der Ganztagsschulentwicklung im Kontext gesellschaftlicher Umbrüche

Obwohl die Förderung der Ganztagsschule durch die Politik forciert wird, konzentriert sich die Diskussion zumeist auf deren pädagogischen Wert. Allenfalls verbindet man damit noch die Vorstellung einer effektiveren Ausschöpfung von "Bildungsreserven". Der Artikel diskutiert dagegen die Politik der Ganztagsschulentwicklung als Moment einer sich abzeichnenden postfordistischen Regulationsweise: Damit wird auf veränderte Anforderungen der Produktion ebenso reagiert, wie auf die des Subjekts, das sich in "neoliberalen" Verhältnissen orientieren und selbst "managen" muss. Ganztagsangebote üben das lebenslange und lebensbreite, d.h. auch die non-formalen und informellen Bildungsbereiche und -modi umfassende Lernen ein. Einen Wert für kritische Pädagogik (und Politik) gewinnen sie, wenn diese Angebote, wie die Schule überhaupt, als Ort bewusster gesellschaftlicher Auseinandersetzung begriffen werden.

Peter Bartelheimer
Für eine sozialpolitische Reformagenda Mindestsicherung
Zur Geschäftsordnung im Streit um Grundeinkommen und Grundsicherung

Peter Bartelheimer schlägt vor, um eine verbesserte bedarfsorientierte Grundsicherung oder ein bedingungsloses Grundeinkommen nur so grundsätzlich zu streiten, wie sozialpolitisch notwendig. Da bei wachsender Ungleichheit der Erwerbsmuster und der Lebensweisen Sozialpolitik die Interessen verschiedener Bevölkerungsgruppen nicht mehr zusammenzubinden vermag, muss eine "Reformstrategie Mindestsicherung" den Vorrang einer sozialpolitischen Armutsbekämpfung für das untere Fünftel der Einkommensverteilung durchsetzen. Der sozialpolitische Innovationsbedarf besteht darin, prekäre und von Ausgrenzung bedrohte Erwerbslagen ohne Rückgriff auf das Erbe der Fürsorge zu sichern, also die modernsten Interventionsformen des Sozialstaats auf die Gewährleistung des Existenzminimums zu erstrecken. Dabei geht es dem Autor um vier Punkte: Das Prinzip der Bedarfsdeckung wieder politikfähig zu machen, den sozialen Rechtsanspruch auf Mindestsicherung zu stärken, den Sicherungsauftrag institutionell besser zu verankern und die Aufgabenteilung mit der Arbeitsmarktpolitik neu zu regeln.

2008 | Inhalt | Editorial | Abstracts