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Heft 111: Staatsbedürftigkeit der Klassengesellschaft - politische Sorge um die "Mitte"

2009 | Inhalt | Editorial | Abstracts

Titelseite Heft 111
  • März 2009
  • 134 Seiten
  • EUR 14,00 / SFr 21,90
  • ISBN 3-937461-62-5
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Berthold Vogel
Minusvisionen in der Mittelklasse
Soziale Verwundbarkeit und prekärer Wohlstand als Leitbegriffe neuer sozialer Ungleichheiten

Die Lage und die Zukunft der Mittelklasse kehren auf die Bühne der Zeitdiagnostik und in die Arena politischer Verteilungskonflikte zurück. Erworbene soziale und berufliche Positionen verlieren an Stabilität und Gewissheit. Die mittleren Lagen der Gesellschaft, die Facharbeiter, Techniker und Ingenieure in der industriellen Fertigung bzw. in industrienahen Dienstleistungen, aber auch die Fachangestellten in der Wohlfahrtspflege und der öffentlichen Verwaltung sehen sich mit neuen sozialen, beruflichen und wirtschaftlichen Gefährdungen konfrontiert. Dieser Problematik versucht die gesellschaftswissenschaftliche Debatte gerecht zu werden, wenn sie seit einiger Zeit von sozialer Verwundbarkeit und Prekarität spricht. In diesen beiden Formeln kristallisieren sich neue Prozesse sozialer und wirtschaftlicher Ungleichheit. Die Veränderungen der Arbeitswelt kommen in den Blick, aber auch wichtige Umbauten der wohlfahrtsstaatlichen Architektur. Nervositäten und Ängste, den sozialen, materiellen oder beruflichen Halt zu verlieren, werden sichtbar. Doch wie, wo und wodurch und mit welchen Folgen für das Gesamtgefüge der Gesellschaft ist die Mittelklasse bedroht? Drei Fragen sind zu stellen: Wie steht es um die Mitte der Gesellschaft? Wer ist in der Mitte der Gesellschaft gefährdet? Welche Gestalt nimmt die soziale Mitte an?

Stephan Lessenicht
Das Elend der Mittelschichten
Die "Mitte" als Chiffre gesellschaftlicher Transformation

Seit einiger Zeit ist in Deutschland die politische Sorge um die Mittelschichten - oder kurz: "die Mitte" - allgegenwärtig. Auf den Listen bedrohter Sozialarten, mit denen in der politisch-medialen Öffentlichkeit hantiert wird, rangiert sie mittlerweile ganz weit oben. Ob es nun Debatten um Beschäftigungsunsicherheiten sind, die, ausgehend von den "Rändern" der Gesellschaft, zunehmend auch in deren Zentrum überzugreifen begännen; um die Belastungen durch Sozialversicherungsbeiträge, die über der (politisch definierten) "Belastbarkeitsgrenze" nicht nur der Arbeitgeber, sondern auch des durchschnittlichen Arbeitnehmerhaushalts lägen; oder um die "kalte Progression", die die ohnehin mäßigen Lohnsteigerungen für Facharbeiter und mittlere Dienstklassen sogleich steuerpolitisch aufzufressen drohe: Stets ist es die gesellschaftliche "Mitte", die als erstes Opfer politischer Reformen und wirtschaftlicher Umbrüche angerufen, deren soziales Schicksal als Melkkuh und Zahlesel der Nation beklagt wird.

Thomas Wagner
Gibt es eine "neue" Unterschicht?
Ein Beitrag gegen Entsolidarisierung

Seit einiger Zeit scheint ein lange gültiges gesellschaftspolitisches Tabu gebrochen worden zu sein, in Deutschland ist wieder von "Klassenunterschieden" die Rede. Versicherten in den 80er und 90er Jahren namhafte Soziologen wie Ulrich Beck noch glaubhaft, dass durch die gesellschaftlichen Entwicklungen der vorangegangenen Jahrzehnte es zu einer Auflösung traditioneller Herkunftsmilieus und einer zunehmenden Individualisierung gekommen sei, welche in eine "Gesellschaft jenseits von Klasse und Stand" (vgl. Beck 1983) geführt habe, erfahren Begriffe wie "Schicht" und "Klasse" in den letzten Jahren eine neue und zugleich ungeahnte Konjunktur (vgl. Redaktion Widersprüche 2005: 3f). Ein bedeutsames, dieses neue "Klassenbewusstsein" auszeichnende Merkmal ist, dass Klasse in erster Linie mit der Vorsilbe "Unter" versehen wird: Es ist die Rede von "neuen Unterschichten" (vgl. Nolte 2004). Dieser Beitrag stellt eine stark überarbeitete Version eines gleichnamigen Vortrags dar, welcher am 10.11.2007 an der Evangelischen Fachhochschule Ludwigshafen im Rahmen der "langen Nacht der Wissenschaften" gehalten wurde.

Gabriele Winker
Fragile Familienkonstruktionen in der gesellschaftlichen Mitte
Zum Wandel der Reproduktionsarbeit und den politischen Konsequenzen

Die Einkommensmittelschicht schrumpft, die Zahl der an der Armutsgrenze Lebenden steigt. Damit verliert auch das Modell des Familienernährers seine Bedeutung. Im neoliberal verfassten Kapitalismus sind alle dazu aufgerufen, ihre Arbeitskraft zu verkaufen und für die eigene Reproduktion genauso eigenverantwortlich zu sorgen wie für die Erziehung der Kinder und die Unterstützung bedürftiger Familienangehöriger. Das Reproduktionshandeln aller Einzelnen verändert sich in dieser Situation. Es lassen sich ökonomisierte, prekäre und subsistenzorientierte Familienmodellen unterscheiden, in denen die anfallende Reproduktionsarbeit in unterschiedlicher Weise realisiert wird. Für alle diese Familienkonstrukte besteht insbesondere für die Arbeitssituation von Frauen unterschiedlicher, aber dringender politischer Handlungsbedarf.

Christine Resch
Von der Staatsbedürftigkeit des Kapitals

In einem ersten Abschnitt wird vorschlagen, sich die Veränderungen der kapitalistischen Produktionsweise in ihren Grundcharakteristiken zu vergegenwärtigen. Eine Analyse von Gesellschaftsgeschichte als Produktionsweise umfasst mehr als ökonomische Veränderungen. Auch aus einer materialistischen Perspektive sind damit Veränderungen politischer (und kultureller) Art verbunden. In einem zweiten Teil soll exemplarisch an der Sozialversicherung eine Kritik des fordistischen Wohlfahrtsstaats formuliert werden. Das Versicherungsmodell beruhte von vornherein auf einer falschen Grundlogik und forciert eine komplizierte Verwaltung - und ist nur verstehbar, wenn man die Aufgaben als Disziplinierungsmaschinerie einbezieht. Für den Neoliberalismus soll dann gezeigt werden, dass die staatsfeindliche Redeweise tatsächlich einen Bürokratisierungsschub bedeutete. Daher wird vorgeschlagen, "Verstaatlichungen" zu kritisieren und sie nicht als Anknüpfungspunkt für eine andere Politik zu (miss-)verstehen. Verstaatlichungen und Privatisierungen sind gegenwärtig Infrastrukturpolitik für das Kapital.

Manfred Kappeler
Der Kampf ehemaliger Heimkinder um die Anerkennung des an ihnen begangenen Unrechts

Wäre es nicht besser von "Initiative" als von "Kampf" zu reden? Es fällt mir schwer, nach der Kampf-Rhetorik der Erziehung- und Klassenkampfzeit der siebziger Jahre wieder von "Kampf" zu sprechen, wenn es um Auseinandersetzungen in der Sozialen Arbeit heute geht. Aber die jetzt circa fünfzig- bis achtzigjährigen Frauen und Männer, die als Kinder und Jugendliche in der Heimerziehung der vierziger bis siebziger Jahre leben mussten, kämpfen nun bereits seit 2004 in organisierter Form - einzelne schon seit vielen Jahren - um die Anerkennung ihrer Forderungen. Dieser Kampf wird ihnen aufgezwungen und geht für viele der Ehemaligen an den Rand ihrer Kräfte oder darüber hinaus. Hier von "Konflikten" oder "Auseinandersetzungen" zu reden, wäre eine Verharmlosung des Geschehens, die von Verantwortlichen der Organisationen ehemaliger TäterInnen und von PolitikerInnen mit Eifer und Ausdauer betrieben wird (Diakonisches Werk Deutschland, Caritas-Verband Deutschland, Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter, Katholische Ordensgemeinschaften, Katholische Bischofskonferenz - der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland schweigt bisher - und Jungendministerkonferenz). Der Artikel liefert eine Chronologie des Kampfes.

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