Pfad: Startseite > Hefte > 2012 > Zu diesem Heft

 
Startseite Suchen Druckansicht imagemap Schrift verkleinern Schrift vergrößern

Heft 123: Einspruch! Partizipation und Rechtsansprüche in Politik, Gesellschaft und Sozialer Arbeit

2012 | Inhalt | Editorial | Abstracts

  • März 2012
  • 144 Seiten
  • EUR 15,00 / SFr
  • ISBN 3-89691-983-0
Bestellen PDF Herunterladen

Zu diesem Heft

In den letzten Jahren haben größere und medial wahrgenommene politische Protestaktionen und Kampagnen von Bürgerinnen und Bürgern wieder zugenommen, so z.B. im Kontext der Bologna-Reformen, der Anti-AKW-Bewegung, dem Großbauprojekt Stuttgart 21 oder der Hamburger Schulreform. Vielfach erfolgen diese Aktivitäten nicht nur unter Rückgriff auf neue Technologien, wie z.B. das Internet, sondern sie stehen zugleich auch oft in einem Bezug zu neuen Optionen und Verfahren der Bürgerbeteiligung, wie etwa Bürgerbegehren bzw. Volksentscheide, "runde Tische" oder Schlichtungen.

Einerseits besitzt diese Entwicklung eine emanzipatorische Dimension, da die bürgerlichen Proteste sehr deutlich den Anspruch auf Partizipation an politischen Entscheidungen gegenüber dem bestehenden "Monopol einer parteipolitischen Kaste" (Peter Weibel im Interview in der taz 29./30.1.2011) transportieren und somit auch ein Moment des Widerstands gegen eine reine "Publikumsdemokratie" (vgl. Manin 2007) beinhalten. Dabei können die Einführung und Erprobung von Verfahren der Bürgerbeteiligung grundsätzlich als ein Moment der Demokratisierung (vgl. Roth 2010) verstanden werden. Während Manche diese Entwicklung bereits als Übergang zu einer "multiplen Demokratie" (Nolte 2011) feiern, gestaltet diese sich aber keinesfalls widerspruchsfrei. Denn andererseits stehen die Proteste auch für eine grundsätzliche Krise der etablierten Demokratien, die in den letzten Jahren unter dem Begriff der "Post-Demokratie" (vgl. Crouch 2004; Rancìere 2002) diskutiert wird. Eine solche Regierungspraxis charakterisiert sich durch zweierlei: Zum einen basiert sie zwar auf dem formalen Weiterbestehen demokratischer Verfahren, ist dabei jedoch auf die Ausschaltung politischer Konflikte mit der Maßgabe der Verpflichtung zum Konsens aus (vgl. auch Mouffe 2007). Und zum zweiten weist sie eine zunehmende Kontrolle politischer Entscheidungswege durch ökonomische und soziale Eliten auf, in deren Folge gerade egalitär ausgerichtete politische Projekte ins Hintertreffen geraten (vgl. Crouch 2004).

Diese Entwicklungen spiegeln sich auch in den derzeitigen Protesten wider: Können diese einerseits neue Beteiligungsformen nutzen, um ihre eigenen Interessen zu artikulieren, so wird Bürgerbeteiligung andererseits jedoch auch gezielt eingesetzt, um die öffentliche Aktivität von Bürgerinnen und Bürgern zu befrieden und in gemäßigte bzw. erwünschte und zugleich eng umgrenzte Bahnen zu lenken, die den Lauf der "großen Politik" möglichst nicht gefährden (so z.B. im Falle der Schlichtung zu Stuttgart 21). Darüber hinaus sind es vorwiegend die integrierten und ressourcenstarken Mittelschichten, die als Akteure die neuen Formen von Bürgerbeteiligung dominieren und zumindest auf Zeit die Aufmerksamkeit von Parteien und Medien gewinnen (vgl. Rucht et al 2010; Böhnke 2011), die über ihren Protest vorwiegend "konservative" Inhalte transportieren (die Bewahrung eines Bahnhofes, des Gymnasiums, des eigenen Vorgartens). Gruppen, die hingegen nur mit sehr geringem ökonomischem, kulturellem und symbolischem Kapital ausgestattet sind, haben es in diesem Spiel nicht nur ungleich schwerer, sich Gehör zu verschaffen und - erst recht - Anerkennung ihrer Anliegen als "berechtigte" zu erreichen, so z.B. im Fall der Proteste gegen Hartz-IV oder der Entschädigungs-Forderungen ehemaliger Heimkinder. Vielmehr tritt ihnen die neue aktiv-bürgerliche Mitte, welche als potenzielle Bündnispartnerin ihre Anliegen auch stärken und unterstützen könnte, häufig als klare Gegnerin gegenüber - wie z.B. im Hamburger Volksentscheid gegen längeres gemeinsames Lernen -, die in einer Situation des gefühlten "Platzmangel[s] in der Sozialstruktur" (Castel 2000) die eigene Dominanz in den neuen Partizipationsstrukturen dazu nutzt, ihre Privilegien in einem "Klassenkampf von Oben" (Chomsky 1998) nach "unten" hin abzuschotten.

Wenngleich Praxen und Formen der Partizipation existieren, die auch von marginalisierten Bevölkerungsgruppen genutzt werden könnten, um auf Entscheidungen Einfluss zu nehmen, die die Rahmenbedingungen ihrer eigenen Lebenssituation bestimmen, so werden jedoch gerade diesen Bevölkerungsgruppen die Mittel vorenthalten, um die ihnen formal gegeben politischen Partizipationsrechte auch auszuüben (vgl. Wagner 2009). Insofern stellt sich die dringende Frage, wie vorhandene Mitsprache- und Beschwerderechte so organisiert, ausgestattet und umgebaut werden können, dass sie reale Einflussnahme eröffnen, was insbesondere die Frage nach politischer Macht und der gesellschaftlichen Verteilung ihrer Grundlagen impliziert.

Diese (Macht)Frage ist auch von tiefgreifender Bedeutung für die Soziale Arbeit: Das Verhältnis von Sozialarbeitern zu Nutzern ist durch Machtungleichgewichte gekennzeichnet. Zum einen ist Soziale Arbeit in vielen Arbeitsfeldern mit weitreichenden Eingriffen in das Leben und die Privatsphäre ihrer Nutzer verbunden. Nutzer müssen oftmals viel von sich selbst preisgeben, um in den Genuss von Hilfe zu gelangen, wohingegen Sozialarbeiter weitgehend als öffentliche Personen auftreten können. Zum zweiten sind viele der Menschen, die Soziale Arbeit nutzen, aufgrund ihrer von sozialer Ungleichheit geprägten Lebenslage mehr oder minder alternativlos auf diese Nutzung angewiesen. Da ein Ausschluss von der Nutzung mitunter existenzielle Folgen hat (z.B. in der Form von Leistungskürzungen infolge abgebrochener Integrationsmaßnahmen), kann eine solche (latente oder auch manifeste) Bedrohung zu einem potenziellen Ansatzpunkt für implizite oder aber auch explizite Disziplinierungs- und Sanktionsmittel werden. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage nach Optionen der Begrenzung professioneller Macht bzw. des Aufbaus von Gegenmacht, zumindest nach realer Einflussnahme durch die Nutzer. Dies beinhaltet zum einen Perspektiven der Institutionalisierung von Beschwerdemöglichkeiten z.B. in der Form unabhängiger Ombudsstellen. Damit verbunden ist zum zweiten die grundsätzliche Frage nach der Gestaltung von Entscheidungsprozessen in Sozialen Diensten, d.h. nach Optionen für beteiligte Akteursgruppen, ihre Interessen zu artikulieren, einzuspeisen bzw. zu vertreten und auf zu treffende Entscheidungen Einfluss zu nehmen, so z.B. über die Gewährung von Mitsprache- und Beteiligungsrechten.

An den Debatten über einen Ausbau von Beteiligungsoptionen in öffentlichen bzw. Sozialen Diensten, wie sie derzeit insbesondere mit dem Schwerpunkt auf Kinder und Jugendliche geführt werden (vgl. u.a. Sünker et al 2005; Walther 2010), ist sehr deutlich abzulesen, dass es sich um ein Themenfeld zu handeln scheint, welches für höchst unterschiedliche Akteure bzw. Interessengruppen Bedeutung entfaltet; nicht nur für "links" oder "unten", sondern auch für "oben" und "rechts". Einerseits werden seit den 1970er Jahren, im Kontext der Kritik paternalistischer und repressiver Elemente professioneller Sozialer Arbeit, die Einführung von Formen der Mitbestimmung und Selbstverwaltung von Vertretern einer kritischen Sozialen Arbeit und von Akteuren aus dem Umfeld von Selbsthilfeinitiativen oder (insbesondere in Großbritannien) von Nutzerbewegungen eingefordert (vgl. u.a. Lessing/Liebel 1974; Marzahn 1984; Barnes 1997; Beresford/Croft 2004). Beteiligung wurde und wird andererseits jedoch auch von staatlicher Seite zum Programm erhoben. Ließen sich in Skandinavien bereits zu Beginn der 1980er gesetzliche Initiativen zur Etablierung von Formen der "Klientendemokratie" finden (vgl. Wendt 2008), wurde das Thema User-Involvement in Großbritannien sowohl seitens neokonservativer wie neoliberaler Regierungen aufgegriffen und mit Bestrebungen eines Umbaus öffentlicher bzw. Soziale Dienste gemäß den Prinzipien des New Public Managements sowie kommunitaristischer Ideen gemeinschaftlicher Verantwortung verbunden (vgl. Harris 2002). Auch in Deutschland wurde und wird Partizipation von staatlicher Seite thematisiert. Spielte Beteiligung bereits in der Programmatik der Neuen Steuerung (so z.B. im Rahmen der des Modells der "Bürgerkommune") eine Rolle, so wird diese Thematik in jüngster Zeit auch im Zuge der Debatten um neue Formen des Regierens (Governance) oder Engagementpolitik (vgl. Olk et al 2010) diskutiert. Gerade in diesem Kontext treten auch zivilgesellschaftliche Think Tanks, in Deutschland insbesondere die Bertelsmann-Stiftung, in Erscheinung, die eigene Kampagnen zur Förderung von Partizipation finanzieren, gleichzeitig auf diesem Wege jedoch auch versuchen, dieses Themenfeld inhaltlich für sich zu besetzen und politischen Einfluss zu nehmen.

Ließe sich diese Bandbreite an Befürwortern einerseits damit erklären, dass es sich beim Ausbau von Partizipationsoptionen um eine klassische "Win-Win" Situation handelt, da Alle von einer Optimierung der Koproduktionsbedingungen zwischen Professionellen und Nutzern profitieren, kann andererseits, nicht zuletzt aufgrund eines sehr breiten und diffusen Spektrums der Bedeutungen und Erwartungen, die Partizipation in den derzeitigen Debatten zugeschrieben werden, deutliche Zweifel gegen diese Einschätzung erhoben werden. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass hinter der vermeintlichen Einigkeit, Partizipation liege im Interesse aller Beteiligten, eine Reihe von Widersprüchen schlummert. Diese lassen es geboten erscheinen, sich der Thematik eingehender zuzuwenden und dabei auch die Frage nach dem Nutzen von Partizipation für unterschiedliche Akteure und zugleich auch die nach Macht und Bemächtigung zu stellen, d.h. die Frage danach, wer zu welchen Konditionen formal verliehene Partizipationsoptionen nutzen kann.

Zu den Beiträgen im Einzelnen

Der Frage nach dem Potenzial und den Widersprüchen von Partizipation und Beteiligungsrechten gehen die einzelnen Beiträge des vorliegenden Heftes auf unterschiedlichen Ebenen nach:

Thomas Wagner setzt sich in seinem Beitrag unter Zugrundelegung einer sowohl demokratie- wie auch machttheoretischen Perspektive mit den Widersprüchen und Voraussetzungen (politischer) Partizipation auseinander. Leitend ist für ihn die Frage, inwiefern der aktuelle "Partizipationshype", den man derzeit u.a. auch in der Sozialen Arbeit wiederfindet, tatsächlich als ein eindeutiger Ausdruck einer allgemeinen gesellschaftlichen Demokratisierung angesehen werden kann. Demgegenüber verdeutlicht er zum einen, dass sich mit der Partizipationssemantik ein Spannungsverhältnis von Emanzipation und Herrschaft verbindet und zweitens Formen der Beteiligung stets vor dem Hintergrund vorherrschender politischer Rahmenbedingungen und Verhältnisse zu betrachten sind. Zur Interpretation der derzeitigen Entwicklung sucht Wagner Anschluss an die Post-Demokratie-These von Collin Crouch. Drittens verweist er im Rückgriff auf Bourdieusche Positionen auf das Spannungsverhältnis zwischen formaler Rechtsgleichheit und sozialstrukturell ungleich verteilter Machtmittel, in dessen Folge ein mehr an Partizipationsoptionen bei gleichzeitiger Schließung des Zugangs zu den zu ihrer Ausübung vorausgesetzten Ressourcen nicht zu mehr Demokratie führen muss, sondern vielmehr auch zur Verstärkung der Position sozial Privilegierter beitragen kann.

Der Beitrag von Tilman Lutz basiert auf einer qualitativen Studie des Autors, in der Klientenkonzepte und Hilfeverständnisse von Fachkräften im Kontext aktueller aktivierungspolitischer Steuerung erfragt wurden. Lutz zeigt nun auf, wie die Anpassungen an die bzw. Modifizierungen und Umdeutungen der Rationalität und Programmatik des aktivierenden Staates durch die Professionellen selber vorgenommen werden und wie sich in diesem Prozess ihr Denken und Handeln verändert. Mit einiger Vorsicht wagt er eine grobe Typisierung "modernen" professionellen Selbstverständnisses anhand der jeweils unterschiedlichen Interpretationen von "Klientenkonzept" und "Hilfeverständnis". Darüber hinaus reflektiert Lutz die Attraktivität des Beteiligungsparadigmas für die Profession - jenseits ihrer staatlicherseits intendierten Absicht des Forderns-Förderns und einer damit zusammenhängenden neuen Hierarchisierung der Klientel je nach deren Mitwirkungsbereitschaft und -fähigkeit: Scheint doch der Aktivierungsdiskurs oberflächlich gesehen an den "alten" progressiven Fachdiskurs über Partizipation, Empowerment, Lebenswelt- und Ressourcenorientierung anzuschließen.

In Auseinandersetzung mit dem Hamburger Kita-Gutscheinsystems analysiert Timm Kunstreich den spezifischen Zusammenhang von neoliberaler Modernisierung des Sozialen und Mitwirkung der Nachfragenden (der "Kunden"); er fragt sodann nach Konzepten sozialistische Transformation und deren Chancen. Das Dreiecksverhältnis zwischen Jugendamt, Trägern/Anbietern und Kindern/Eltern lässt sich, so Kunstreich, als Herrschaftsverhältnis lesen. Darin sind die Chancen, die jeweiligen Akteurspositionen zur Geltung zu bringen, strategisch höchst ungleich verteilt, je nach ihrer Nähe zum staatlichen Gewaltmonopol. Diese Machtasymmetrie, so zeigt Kunstreich, hat aber keineswegs eine fixe Gestalt, vielmehr passt sie sich hochflexibel den jeweils vorherrschenden Verwertungsbedingungen an. So ergibt sich, dass derzeit solche Eltern, die komfortabel ins Erwerbsleben integriert sind, von der Reform der Kinderbetreuung (in Gestalt des Kita-Gutscheinsystems) profitieren und Vorteile der Mitwirkung haben, während Andere (z.B. Migranten, Arbeitslose, prekär Beschäftigte) quasi chancenlos bleiben. Um diesen Ausschluss einer großen Gruppe von Kindern und ihren Eltern von sozialen Teilhaberechten zu beenden, sollte jedoch nicht wieder zum Konzept des "alten fordistischen Versorgungssystems" gegriffen werden; vielmehr wäre das gesamte Kräftefeld zu demokratisieren - hierzu präsentiert der Autor einen Vorschlag.

Ulrike Urban-Stahl zieht mit in ihrem Beitrag über Ombuds- und Beschwerdestellen in der deutschen Jugendhilfe ein Zwischenresümee der rasanten Entwicklung, die auf diesem Feld während der letzten zehn Jahre stattgefunden hat und welche die Autorin zu der These veranlasst, dass die Thematik der Sicherung von Nutzerrechten in der Jugendhilfe durch Ombudsstellen inzwischen "hoffähig" geworden ist. In einem ersten Schritt geht sie der Frage nach, welche Voraussetzungen innerhalb weniger Jahre eine Fachdebatte zur Sicherung von Betroffenenrechten ermöglicht haben. Vor dem Hintergrund des in der Fachdebatte oft gezogenen Zusammenhangs der Notwendigkeit von Betroffenenschutz und mangelnder öffentlicher Ressourcen leitet Urban-Stahl in einem zweiten Schritt die Notwendigkeit von Betroffenenschutz aus den Strukturen der Jugendhilfe selbst ab. Die Sicherung von Nutzerechten wird somit als eine grundsätzliche rechtsstaatliche Erfordernis angesehen, deren Begründung in der strukturellen Machtasymmetrie im Helfer-Klient-Verhältnis, der Nähe-Distanz-Problematik und in den strukturellen Einflüssen auf Entscheidungsprozessen in der Hilfeplanung sowie auf die Hilfeerbringung verortet wird. Drittens diskutiert sie aktuelle Überlegungen zur weiteren Entwicklung von Ombuds- und Beschwerdestellen, die sich in einem Spannungsverhältnis zwischen den Anforderungen einer stärkeren Integration in der Jugendhilfesystem und der Absicherung notwendiger Distanz zu diesem System bewegen.

Der Runde Tisch wurde der Legende nach von König Artus eingeführt, so dass Niemand oben oder unten zu sitzen käme. Dass mithilfe dieses Ideals gerne eine Verschleierung von Herrschaftsstrukturen betrieben wurde und wird, ist bekannt, Beispiele gibt es viele. Ein solches analysiert Manfred Kappeler in seinem Beitrag zum Runden Tisch Heimerziehung (RTH). Aus der Perspektive der ehemaligen Heimzöglinge rekapituliert Kappeler den gesamten Verlauf dieses Partizipationsverfahrens "Runder Tisch": von seiner hoffnungsvollen und erkämpften Entstehungsgeschichte durch Skandalisierung der Praxis der Heimerziehung der 50er und 60er Jahre und die öffentliche Stimme der Opfer über einen deutlich von den auf Problemreduktion und Schadensbegrenzung ausgerichteten Interessen der am Tisch sitzenden zahlenmäßig überlegenen Institutionenvertreter (aus Politik, Verwaltung und kirchlichen/sozialen Einrichtungen) dominierten Diskussions- und Verhandlungsverlauf bis zum Abschluss mit seinen kläglichen Ergebnissen, die in keinster Weise den Forderungen der ehemaligen Heimzöglinge und den Empfehlungen der Sachverständigen entsprachen. Dass der RTH letztlich kein wirklicher Runder Tisch wurde/werden konnte, ist jedoch nicht nur einer offensichtlichen Machtasymmetrie geschuldet (zahlenmäßige Überlegenheit der Institutionenvertreter und ihre vielfältigen strategischen Vorteile), sondern auch Ergebnis fehlender Solidarität, wie Kappeler eindringlich beschreibt: Weder erhielten die drei am Tisch sitzenden Vertreter der Ehemaligen hinreichende Unterstützung von anderen Ehemaligen/Leidensgenossen, noch gab es nennenswerte/öffentlichkeitswirksame Solidarisierungen aus den Einrichtungen der Sozialen Arbeit, und auch die (kritischen) Medien nahmen sich dieses Skandals nur punktuell an - sie konzentrierten sich lieber auf die Skandalisierung sexueller Übergriffe in der Odenwaldschule und anderswo.

Harald Thomé vom Wuppertaler Verein Tacheles e.V. nimmt im Gespräch mit Sven Steinacker Stellung zu den Potenzialen und Problemen von (selbstorganisierter) Gegenwehr im Kontext des ALG II und der Sozialhilfe (SGB II/XII). Zu den Themen des Gesprächs gehören insbesondere die Hintergründe und die Geschichte des Vereins Tacheles, dessen inhaltlichen Arbeitsschwerpunkte sowie Unterschiede zu "normalen" Sozialberatungsstellen. Darüber hinaus diskutieren Steinacker und Thomé die organisationellen Strukturen und die Finanzierung des Vereins, auch im kritischen Bezug zu staatlichen Förderprogrammen. Ein weiterer Schwerpunkt bildet die Auseinandersetzung mit den Erfahrungen von Tacheles hinsichtlich gängiger Probleme im Kontext der Harz IV-Administration, den teilweise rechtswidrigen Strategien der Behörden sowie Möglichkeiten zu Widerspruch und Widerstand für die Betroffenen im Umgang mit den Verwaltungen. Dabei wird auch die Frage aufgeworfen, welchen Beitrag Soziale Arbeit zur Förderung der Selbstorganisation von Betroffeneninitiativen leisten kann.

Im Forum dieser Ausgabe geht Marcus Hußmann dem Verhältnis von sozialarbeiterischen Handlungstheorien und Kompetenzentwicklung nach. Die von ihm vorgestellte und am Beispiel dargelegte Perspektive einer generativen Wirksamkeit grenzt sich ab von normativistischen und teleologischen Wirksamkeitsvorstellungen. Sie versteht sich als kontext- und fallbezogenes handlungstheoretisches Modell, orientiert sich an vorhandenen Situationspotenzialen und fordert die Professionellen zur reflexiven Auseinandersetzung mit vorgegebenen oder auch selbstgewählten Arbeitsprinzipien auf.

Literatur

Barnes, Marian 1997: Care, communities, and citizens. London, New York: Longman.

Beresford, Peter; Croft, Suzy 2004: Die Demokratisierung Sozialer Arbeit: Vom Klienten als Objekt zum Nutzer als Produzent. In: Widersprüche. Zeitschrift für sozialistische Politik im Bildungs-, Gesundheits- und Sozialbereich 24. Jg. (Heft 91), S. 17-43.

Böhnke, Petra 2011: Ungleiche Verteilung politischer Partizipation. In: APuZ (1-2/2011), S. 18-25.

Castel, Robert 2000: Die Metamorphosen der sozialen Frage. Eine Chronik der Lohnarbeit. Konstanz: UVK.

Chomsky, Noam 1998: Haben und Nichthaben. Bodenheim: Philo Verlagsges.

Crouch, Colin 2004: Post-democracy. Cambridge: Polity Press.

Harris, John 2002: Caring for Citizenship. In: British Journal of Social Work (32), S. 267-281.

Lessing, Hellmut; Liebel, Manfred (Hg.) 1974: Jugend in der Klassengesellschaft. Marxistische Jugendforschung und antikapitalistische Jugendarbeit. München: Juventa.

Manin, Bernard 2007: Kritik der repräsentativen Demokratie. Unter Mitarbeit von Tatjana Petzer. 1. Aufl. Berlin: Matthes & Seitz.

Marzahn, Christian 1984: Partizipation und Selbsthilfe. In: Hanns Eyferth, Hans-Uwe Otto und Hans Thiersch (Hg.): Handbuch zur Sozialarbeit, Sozialpädagogik. Neuwied: Luchterhand, S. 734-743.

Mouffe, Chantal 2007: Über das Politische. Wider die kosmopolitische Illusion. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.

Nolte, Paul 2011: Von der repräsentativen zur multiplen Demokratie. In: APuZ (1-2/2011), S. 5-12.

Olk, Thomas; Klein, Ansgar; Hartnuß, Birger (Hg.) 2010: Engagementpolitik. Die Entwicklung der Zivilgesellschaft als politische Aufgabe. Wiesbaden: VS.

Rancière, Jacques 2002: Das Unvernehmen. Politik und Philosophie. Orig.-Ausg., 1. Aufl. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.

Roth, Roland 2010: Engagementförderung als Demokratiepolitik: Besichtigung einer Reformbaustelle. In: Thomas Olk, Ansgar Klein und Birger Hartnuß (Hg.) 2010, S. 611-636.

Rucht, Dieter; Baumgarten, Britta; Teune, Simon 2010: Pressekonferenz 27.10.2010, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. Befragung von Demonstranten gegen Stuttgart 21 am 18.10.2010. Handout. Online verfügbar unter http://wirsindstuttgart21.de/wp-content/uploads/2010/11/Befragung-S21.pdf.

Sünker, Heinz; Swiderek, Thomas; Richter, Erika 2005: Der Beitrag partizipativer Handlungsansätze in der pädagogischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen zur Bildung und Erziehung - unter Berücksichtigung interkultureller Konzepte. Expertise zum 8. Kinder- und Jugendberichts der Landesregierung NRW. Ministerium für Schule, Jugend und Kinder des Landes Nordrhein-Westfalen.

Wagner, Thomas 2009: Citizenship, Soziale Arbeit und Soziale Klassen. Von der politischen Produktivität des Bürgers in der Sozialen Arbeit. In: Widersprüche. Zeitschrift für sozialistische Politik im Bildungs-, Gesundheits- und Sozialbereich 30. Jg. (112), S. 23-42.

Walther, Andreas 2010: Partizipation oder Nicht-Partizipation? Sozialpädagogische Selbstvergewisserung eines scheinbar eindeutigen Konzepts zwischen Demokratie, sozialer Integration und Bildung. In: Neue Praxis 40. Jg. (2), S. 115-136.

Wendt, Wolf Rainer 2008: Geschichte der sozialen Arbeit 2. Die Profession im Wandel ihrer Verhältnisse. Stuttgart: Lucius & Lucius.

2012 | Inhalt | Editorial | Abstracts