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Heft 125: Sag mir Wie? Methodisches handeln zwischen Heilsversprechen und klugem Takt

2012 | Inhalt | Editorial | Abstracts

Titel Heft 125
  • September 2012
  • 132 Seiten
  • EUR 15,00 / SFr
  • ISBN 3-89691-985-4
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001 Zu diesem Heft

"Sag mir, wie ich's machen soll!" So ähnlich könnte man manche Erwartungen von Studierenden an ein Studium Sozialer Arbeit auf den Punkt bringen. Vielfach wird der Studienerfolg am methodischen Können und an Techniken und Verfahrensweisen gemessen, die gelernt, geübt und theoretisch untermauert werden. Denn Professionalität und methodisches Können stehen insbesondere im klinischen Professionsverständnis in engem Zusammenhang. An der Ausübung des methodischen Arsenals wird die je eigene Professionalität beobachtbar. Das Methodenwissen macht den radikalen Unterschied aus zum Klientel, an dem diese Methoden exekutiert werden - selbstverständlich nur dann, wenn der Klient zustimmt. Aber welche Alternative zur Zustimmung bleibt ihm schon, wenn er nicht ganz auf Unterstützung verzichten will! Insofern das im Studium erworbene methodische Arsenal im praktischen Kontext doch mehr oder weniger unbefriedigend bleibt, hat der Fortbildungsmarkt noch so einige Methodenwaren anzubieten. Das sind oft langjährige Fortbildungen, die in theoretische Modelle einführen, die, sobald man sich auf den jeweiligen Denkweg einlässt, einiges zu bieten haben, um eine bestimmte Weltsicht in praktische Durchschlagskraft zu überführen. Sie bieten neben dieser Weltsicht Selbsterfahrung, Identifikation mit einem Könner und Handlungssicherheit in der Praxis und damit praktischen Erfolg.

Eine der radikalsten Formen von Kritik an diesem Denk- und Handlungsmodell der methodisch geschulten Modellierung von Handlungssituationen geht auf Siegfried Bernfeld zurück (Bernfeld 1973). Er greift zur Veranschaulichung seiner Kritik auf die griechische Mythologie zurück und führt uns in die Schatten der griechischen Unterwelt: "Der griechische Tartarus", so Bernfeld, "scheint eine rein pädagogische Angelegenheit zu sein, eine sonderbare Versammlung von Pädagogen, von Repräsentanten erzieherischer Bemühungen" (ebd.: 114). Professionell geschultes Handeln hat es hier mit der Unterwelt zu tun, es ist Resultat einer Verurteilung. Es fragt sich jedoch, wer hier zu was verurteilt wird. Verurteilt der Professionelle sich selbst zum Leben in der methodischen Unterwelt oder verurteilt er Adressaten zu Opfern seiner Methode? Augenscheinlich hat Bernfeld beide Aspekte im Blick. Methodisches Handeln ist durch eine subtile, aber sehr unterschiedlich gelagerte Form von Vergeblichkeit bedroht, die beide Akteursgruppen gleichzeitig betrifft, die Anwender von Methoden wie deren Opfer.

Die erste These von Bernfeld behauptet, dass Methoden gar nicht halten, was sie versprechen (ebd.: 9). Zur Veranschaulichung rekurriert er auf die Verurteilung des Tantalos:

"Nah umgeben von erfrischendem Wasser und köstlichsten Idealfrüchten, er braucht nur zuzugreifen und könnte den Durst und Hunger einer Ewigkeit stillen, so scheint es, aber grausame Erfahrung, die ihm stündlich seit Jahrhunderten wird und ihn doch nie belehren kann: Wasser und Früchte weichen zurück vor seiner Bemühung, bis in unendliche Fernen. O Symbolum idealistischer Pädagogik! So nah erscheint die Verwirklichung, ein Sprung nur über etliche Formalstufen, eine einzige geschickte Handbewegung - und ist doch so unendlich fern. Zwar auch hier muss ein Zaubertrick beleidigter Gottheit im Spiele sein. Aber wir fragen nicht danach, denn wie immer es zugehe, den Tantalos trifft die Strafe mit Recht, hat er doch einen heiteren, lieblichen Knaben geopfert, zerstückt, den Göttern zum Fraß angeboten; abscheuliche pädagogische Untat, so häufig geübt" (ebd.: 114).

Bestimmte pädagogische Methoden werden hier zur Misshandlung mit Todesfolge stilisiert. Adressaten werden in dieser Geschichte auf dem Altar der Methode geopfert, die im wahrsten Sinne des Wortes am Adressaten exekutiert wird. Da hilft auch der Hinweis auf die Zustimmung des Adressaten nicht, denn wie soll er beurteilen können, was mit ihm geschieht? Er hat ja nicht Soziale Arbeit studiert. Es ist der Professionelle, der die praktische Situation bestimmt, und der sich von seiner professionell gelernten Zielsetzung in seinem beruflichen Handeln leiten lässt. Doch eben dieses professionelle Handeln gelingt in diesem Falle gar nicht. Das theoretisch gesetzte, ja sehnsüchtig erstrebte und hoch attraktive Ziel entschwindet, sobald sich der Profi an seine Verwirklichung wagt. Das Ziel im Blick sieht der Weg in kürzester Zeit erreichbar aus; doch der Blick trügt, das Ziel rückt mit jedem Versuch seiner Verwirklichung in eine desto unerreichbarere Ferne. Kräfte, die bei Inblicknahme des Ziels unsichtbar waren, wirken der Realisierung des Ziels entgegen.

Idealistisch motivierte Methoden scheitern und erschöpfen den Praktiker, weil die Kräftefelder der Praxis unterschätzt werden. Empowerment beispielsweise erscheint vom theoretischen Standpunkt aus als attraktives und sinnvolles Konzept mit vernünftigen Zielsetzungen: Wer wollte nicht marginalisierte, problembeladene Adressaten in ihrer "Selbstbemächtigung" bzw. "eigenverantwortlichem Lebensmanagement" (Herringer) stärken? Doch von diesem hehren Ziel aus übersieht man sehr leicht die in jeder Praxis wirksamen Gegenkräfte, die dieses Ziel zum Scheitern verurteilen und damit dem Methodenanwender selbst die Handlungsmächtigkeit rauben.

Die zweite Sorte von professionellen sozialpädagogischen Methoden wird nach Bernfeld von den Danaiden symbolisiert. Während Tantalos das Missverhältnis zwischen Anspruch und Wirklichkeit in der Methodenanwendung symbolisiert, thematisiert Bernfeld anhand der Danaiden einen Widerspruch zwischen methodischem Können und professionellem Anspruch insgesamt:

"Des Tantalos Kolleginnen, die Danaiden, so anmutig diese fünfzig jungen Damen auch sein mögen, ihr Schicksal ist uninteressant, sie leiden unter keinen geheimen Tücken, sondern unter eigener Dummheit. Wer könnte Sympathie haben für den Versuch, ein Fass ohne Boden mit Wasser zu füllen? Das Mittel ist von vornherein unzulänglich. Sie sollten es aufgeben, und nicht nach experimentell-didaktischen Untersuchungen die Größe und Form der Fingerhüte, gleichfalls ohne Boden, erproben, mit denen sie schöpfen" (Bernfeld 1973: 114f.).

Diese Methode scheint zwar nicht ausweglos. "Wir sind realistisch, wir handeln im Kleinen, da können wir noch was bewirken", rufen ihre Freunde. Und: "Wir streben nicht nach hohen Idealen, wir handeln im Hier und Jetzt." Doch diese Methoden verhindern, was Professionalität eigentlich verspricht, denn die Konzentration auf Einzelheiten in der Größe von Fingerhüten und das dauernde Augenmerk darauf, was man in der Hand hat, lässt vollständig den Blick verlieren für die Bodenlosigkeit dessen, was man da tut. Diese Methoden nehmen Einzelheiten in den Blick, an denen sie in der Regel scheitern, aber sie geben den Eindruck, dass strukturiert und professionell gehandelt wird. Die Evidenzbasierung erfährt hier ebenso ihre Niederlage wie die Strukturhilfen des Casemanagements. Bernfelds Urteil ist hier scharf: Wer sich an solche Methoden klammert, verfällt der Dummheit.

Im Zentrum seiner Argumentation sieht Bernfeld jedoch Sisyphos, dem er sogar attestiert, dass er mit seiner Handlungslogik tatsächlich Erfolg hat:

"Aber Sisyphos, er verdient wahrhaftig unser Interesse, unser Bedauern, unsere Sympathie. [...] seine Schuld: die maßlose Überheblichkeit, ist nicht unverzeihlich. Und wahrhaftig, sein Stein könnte doch einmal auf der Höhe liegen bleiben, und es wäre nicht das erste Mal, dass lange bestrafte, verhöhnte Überhebung triumphierte und dann als Tat gepriesen würde, anstatt als Untat geächtet zu sein. Vielleicht will er gar nicht unser Bedauern, vielleicht freut's ihn, dass er immer von neuem beginnen kann, vielleicht ist sein Tun eine Art Sport, und er selbst gibt den Anstoß zum Bergab-Rollen. Wenn es so ist, wollen wir ihn den Göttern nicht verraten. Und fragen demnach nach der Maschinerie, derer das boshafte Geschick auf Geheiß beleidigter Götter sich bedient. Wie geht das zu, dass Pestalozzi der Vater der Volksschule wurde? Welche Circe hat diesen grundgütigen Feuerkopf in einen Schulmeister verwandelt? Wer hat Humboldts reines Kind gegen den Wechselbalg Gymnasium vertauscht? [...] Ich sollte meinen, das wäre pädagogische Art mit Babys umzugehen, denen man Puppen gibt mit wirklichen Kindernamen, wenn sie wirkliche Kinder zu haben wünschen. Es ist die Art mit Pädagogen umzugehen. Sie lassen sich's gefallen. Sie wollen nichts anderes. Denn es tut weniger weh. Die Ziele und die Mittel der Erziehung sind das Spielzeug, das Lieblingsspielzeug der Pädagogen, warum sollen die Erwachsenen ihnen verwehren, nach Herzenslust sich daran zu vergnügen? Verhindert muss nur werden, dass sie Schaden anrichten" (ebd.: 115f.).

Tantalos ist verliebt in seine hohen pädagogischen Ziele, die er methodisch zu erreichen erhofft, die Danaiden sind unreflektiert methodenstolz bei praktischer Dummheit, aber was ist mit Sisyphos? Er ist zwar ein Methodenkönner. Bernfeld korrigiert hier sogar den Mythos. Sisyphos gelingt es tatsächlich, den Fels der pädagogischen Mittel auf den Berg der professionellen Ziele zu wälzen. Seine Methode gelingt, sie hat nur ein Problem: sie ist unnütze Spielerei. Das Puppentheater der seminaristischen Übungsveranstaltung ist ihr eigentlicher Kontext, nicht die berufliche Praxis.

Dass methodisches Können fast unweigerlich eine bestimmte Form von Überheblichkeit - eine Form professionellen Stolzes - erzeugt, ist für Bernfeld gar nicht entscheidend. Aber diesem Sisyphos-Methodiker fehlt die Einsicht in die Grenzen der Erziehung bzw. sozialberuflichen Praxis. Diese Grenzen angenommen, verfällt die Methode. Denn die Praxis ist konflikthaft, sie ist nach Bernfeld geprägt von Konflikten des Unbewussten, insbesondere vom Ödipus-Konflikt, der sich in aller Regel nur bedingt aufklären geschweige denn methodisch bewältigen lässt, sowie von den sozialen Konflikten, in die alles professionelle Handeln immer schon eingebettet ist.

Ohne Frage gibt es eine Fülle an Methoden für die Praxis, die in der Praxis auch tatsächlich funktionieren. Der Methodenanwender kann eine Verhaltensänderung provozieren. Doch die grundlegenden treibenden Kräfte der Praxis werden nicht angetastet. Methodisches Handeln wird hier zum Puppentheater, zur interessanten Spielerei, bei der der Methodenspieler sich der Illusion hingeben kann, etwas zu bewirken. Doch ist dieses Handeln nach Bernfeld dennoch mehr als einfache Spielerei. Indem es die Dynamik von Praxis nicht antastet, verfestigt es sie; es verwandelt Adressaten in eine bürgerliche Schafherde (ebd.: 111).

Mit diesem letzten Gedanken geht Bernfeld über das methodische Handeln hinaus. Der Vorwurf der Konservativität trifft vielfältige, auch engagierte Formen beruflichen Handelns:

"Edler, junger Mann, Sie haben recht, gehen Sie dorthin, wo Kinder sind, die an Liebe darben, geben Sie ihnen, nehmen Sie die richtige (glauben Sie mir, die versagende) Liebe und wirklich, Sie vermehren die Chancen für die Entwicklung der Menschheit. Aber vergessen Sie nicht, falls es Sie drängt zu theoretisieren, dass Sie notwendigerweise ein Einzelner sind, dass man Ihnen gewisslich das Handwerk legen wird, sowie Sie sich vervielfachen sollten, falls nicht vorher der kämpfende Sozialismus zu Ihrer Deckung und Sicherung eine neue Machtposition erkämpft haben sollte. Und dann seien Sie so lieb und blähen Sie sich nicht als Retter, Sie armer Statist, es steht Ihnen schlecht, und den Kindern, die Sie lieben, könnte es beifallen, Ihnen gleichzutun, und dann haben Sie Ihren eigenen Zweck zerstört" (ebd.: 131).

Er weiß Bescheid um seine Begrenzungen, doch bleibt er Statist. Sein engagiertes Handeln hat im Einzelfall Erfolg, doch dieser Erfolg kann nicht darüber hinweg täuschen, dass die sozialen Gegenkräfte verhindern werden, dass er aus der praktizierten Alternativität alternative Strukturen entwickeln kann. Und das will er vielleicht auch gar nicht, dieser reflektierte Überwinder des Tantalus, der Danaiden und selbst des Sisyphus: das Können steigt ihm zu Kopf, und es erfüllt ihn, dass seine Adressaten die gleiche Kompetenz erwerben wie er: "Sag mir, wie ich's machen soll!"

Kritische Soziale Arbeit impliziert notwendigerweise eine Methodenkritik, die die Irrelevanz bis hin zur Gefährlichkeit von praktischen Methoden benennt. Doch sie bleibt nicht bei der kritischen Analyse stehen, sondern wendet den Blick auf alternative Handlungslogiken. Bernfeld experimentierte im Kinderheim Baumgarten mit einer alternativen Form von Praxis, die die grundlegenden Dynamiken von Praxis aktiv und konstruktiv gestaltete (vgl. Bernfeld 1971). Dabei wird deutlich, dass das berufliche Handeln nicht von seinem politischen Kontext gelöst werden kann. Wenn Handeln Erfolg haben soll, muss es in politische Kontexte und Alternativen eingebettet sein. Doch Bernfeld geht noch einen Schritt weiter. Nicht im wichtigtuerischen praktischen Können eines ausgewiesenen Professionellen liegt die Wirksamkeit von Handeln begründet, sondern allein in einem gestalteten konkreten Milieu, in dem sich Handeln ereignet. Wie sich berufliches Handeln in einem durch soziale Strukturen und ein konkretes soziales Setting geprägten Milieu vollzieht, so ist auch das Handeln von Adressaten wesentlich durch die lebensweltliche Situativität bzw. Transversalität (Kunstreich) geprägt. Ein kompetenter Umgang mit Situationen jedoch stellt spezifische Anforderungen an die beruflich Tätigen und erfordert eine alternative Handlungskompetenz. Das vorliegende WIDERSPRÜCHE-Heft verfolgt beide Stränge, es verbindet die Kritik aktueller Methodenmodelle mit der Suche nach einer alternativen Handlungskompetenz. Eben taktvolles Handeln.

Zu den einzelnen Beiträgen

Hiltrud von Spiegel resumiert ihre jahrzehntelange Auseinandersetzung mit dem Thema Methoden der Sozialen Arbeit und durchwebt diese mit biografischen Momenten. In ihrer Kritik der radikalen Methodenkritik der 1970er Jahre kann sie der Frage: "Sag mir, wie?" durchaus etwas abgewinnen, ohne dabei die Technologiekritik mit ihrer einfachen Ziel-Mittel-Relation aus dem Auge zu verlieren. Methodisches Handeln geht nicht im Abspulen eines wissenschaftlich begründeten Programms auf, es wird nicht zu einem methodischen Spezialistentum, sondern geht vielmehr bewusst eklektisch vor und entwickelt aus einem Werkzeugkasten bewährter Handlungsroutinen praktische Handlungsanweisungen. Methoden werden erst dann dem Feld Sozialer Arbeit gerecht, wenn sie auf der einen Seiten die Einzigartigkeit von Adressaten achten und sich darauf konzentrieren, die Bedingungen des Handelns zu verändern statt diese selbst zu dressieren. Auf der anderen Seite müssen Methoden auch die Einzigartigkeit des Methodenanwenders respektieren, der erst vor dem Hintergrund seiner Persönlichkeit und seiner Überzeugungen aus den methodischen Ideen zu ihm selbst passende Handlungsroutinen entwickelt.

Joachim Weber kritisiert die Engführung von Methoden auf technisches Können, weil es dann keinen typologischen Unterschied mehr gibt, ob nach einer Anleitung von IKEA ein Schrank zusammengebaut, eine militärische Waffe konstruiert oder angewandt oder eine Praxissituation Sozialer Arbeit bearbeitet wird. Dieses Verständnis geht in der bloßen Verwirklichung wissenschaftlichen Wissens auf, erfüllt es lediglich und kann ihm nichts hinzufügen. Diese technologische Rationalität erlöst die einzelne Fachkraft - jedenfalls dem Anspruch nach - aus dem Gefühl des Ausgeliefertseins an schwierige, womöglich nicht zu beherrschende Situationen. Doch das ist trügerisch, denn die Angst vor dem Nichtverfügbaren verstärkt sich in dem Maße, wie jemand über schwierige Situationen zu verfügen meint, weil stets ein unkontrollierbarer, desto dunklerer Rest bleibt, der nun umso mehr ängstigt. Und weil diese instrumentelle Vernunft im Zwischenmenschlichen unweigerlich zur möglichst totalen Beherrschung von Praxis tendiert, ist ein alternatives Verständnis von Vernunft unverzichtbar. Daher setzt Weber diesem Social Engineering einen Entwurf von Klugheit als zwischenmenschlicher Praxis entgegen. Diese Klugheit lotet den jeweils nächsten möglichen Schritte überlegend aus und setzt ihn dann entschlossen um. Anders kann es nicht gehen, denn immer steht die Praxis der Sozialen Arbeit in einer Dynamik von Wirkkräften, die im Moment ihrer Wirkung sich oftmals der Beherrschbarkeit entziehen. Daher schlägt Weber den Weg des klugen Taktes vor.

Taktvolles kluges Handeln trifft den Zeittakt der Gegebenheiten unwillkürlich. Es geht um das richtige Wort zur richtigen Zeit. Um dieses Wort zu gewinnen, bedarf es vor allem der Achtsamkeit auf die kaum wahrnehmbaren Anfänge dieser Wirkmächte. Sozialpädagogisches Können versteht der Autor daher als die Fähigkeit, auf dem Weg des klugen Taktes solche zunächst nicht sichtbaren Wirkkräfte zu entdecken und dann unter Zurückstellung der eigenen Wirkmacht zur Entfaltung zu bringen.

Richard Utz thematisiert das Negativ der geistigen Kompetenz, die Dummheit, ohne diese als simples Fehlen von Intelligenz abzuqualifizieren. Dazu nutzt er verstreute Traditionen des okzidentalen Nachdenkens über das Phänomen der Dummheit bzw. Torheit, um seine These über den Sinn der Dummheit zu verdeutlichen. Wie die Klugheit so ist auch die Dummheit eng verbunden mit der spezifischen Qualität menschlicher Praxis, der Kontingenz und der damit verbundenen Einzigartigkeit. Sobald wir praktisch werden, machen wir Dummheiten. Wir scheitern immer wieder an der Praxis, weil wir gar nicht alle Aspekte berücksichtigen können, die für einen Ausschluss von Risiko notwendig wären. Doch die eigentliche Dummheit besteht nicht im Fehlermachen, im Scheitern, im Irrtum. Dummheit ist vielmehr durch eine spezifische Ignoranz gekennzeichnet, die (1) sich weigert, dieses Scheitern in das Handeln mit einzukalkulieren und damit von der Vorläufigkeit des eigenen Handelns absieht, (2) die es versäumt, Lehren aus dem Scheitern zu ziehen und somit ständig die gleichen Fehler machen muss oder aber (3) sich peinlich verhält, weil sie davon absieht, das eigene Handeln der kontingenten Praxis gegenüber passend zu machen und stattdessen ihr Ding durchzieht. Das Versprechen, dass es bestimmte Methoden gäbe, die mir die Praxis so strukturieren könnten, dass ihre Anwendung Praxis gelingen lässt, wäre eine solche dumme Anmaßung. Wer sich verabsolutiert und folglich vergisst, dass die eigene Denkwelt wie der eigene Handlungsimpuls nur eine Facette im praktischen Kontext ist, erliegt seiner Dummheit.

Christian Kolbe stellt die Frage nach guter Praxis im SGB II. Diese Frage ist eng damit verknüpft, wie die darin enthaltenen zentralen und teilweise widersprüchlichen formalen und inhaltlichen Ziele angemessen umgesetzt werden. Eine zentrale Rolle nimmt dabei die im Gesetz vorgesehene Figur des persönlichen Ansprechpartners ein. Sie soll dafür Sorge tragen, dass die Aktivierung der Leistungsempfänger in einer pädagogischen face to face Situation realisiert werden kann. Die persönliche Hilfe soll den entscheidenden Beitrag zur Arbeitsmarktintegration leisten, die Beratung selbst wird zum Kern der Leistung. Doch entwickelt diese Form der persönlichen Leistung unbeabsichtigte Nebenfolgen, weil die Handlungsautonomie der Street-Level-Bürokraten (Lipsky) und die Eigendynamiken der Institution nicht standardisiert und damit vorhersehbar gemacht werden können. Die Professionellen in den Behörden bleiben in machtvollen und unkontrollierten Position, deren Interaktionsarbeit schwerlich auf der Grundlage transparenter und gerechter Regeln justiert werden kann. Und das wäre auch nicht hilfreich. Hilfreich wäre dagegen ein vom Autor identifizierter Diskurs, in dem Ko-Produktion als zwingende Grundlage gesetzt wird, weil sich ein Wissen darüber durchsetzt, dass die Kompetenz der Persönlichen Ansprechpartner darin liegen muss, in komplexen Situationen kreativ und quer zu eindimensionalen Suchstrategien gemeinsam mit ihren Klienten zu denken. Doch ist eine derartige Reflexive Professionalisierung nicht zu erkennen. Vielmehr werden die Professionellen zwischen den Codes der Standardisierung über Regeljustierung einerseits und den sozialpädagogischen Codes andererseits zerrieben - auf Kosten ihrer Klienten. Sie geraten in die Normenfalle.

Timm Kunstreich schließlich operiert mit einer Gegenüberstellung von Verbindlichkeit mit technologischer und administrativer Logik im Gegensatz zu einer Verlässlichkeit aus Perspektive der Nutzer und deren Lebenswelt mit den Wirkfaktoren Potenzialität, Kooperation und Vertrauen. Die Herausforderung der Praxis besteht in dem "Kunststück", die institutionelle Logik der Verbindlichkeit mit der adressatenorientierten Logik der Verlässlichkeit zu verbinden.

Burkhard Müller hinterfragt in seinem Forum-Beitrag das medizinisch-technologische Handlungsmodell der Diagnostik und setzt es in Bezug zur sozialpädagogischen Verständigung. Anhand dreier Fallgeschichten kann er zeigen, dass Diagnostik insbesondere dann eine Rolle spielt, wenn Verständigung nicht gelingt. Die Diagnose markiert den Übergang vom Verstehen bzw. Verstehen wollen zum kausalen Erklären, das gleichzeitig die Ursache einseitig im Klienten und seinem Umfeld sucht, statt die eigenen Verständnisbarrieren mit zu thematisieren. Unter der Perspektive der Verständigung verwandeln sich dagegen die Fragen an den Fall in eine nicht-klinische Richtung: Was ist zwischen den Akteuren los, dass Verständigung nicht gelingt? Wie können Sozialpädagogen den Adressat_innen das Gefühl geben, gehört zu werden? Wer hat mit einem bestimmten Phänomen welches Problem?

Die Redaktion

Literatur

Bernfeld, Siegfried 1973: Sisyphos oder die Grenzen der Erziehung. Frankfurt: Suhrkamp [1. Aufl. 1925]

Bernfeld, Siegfried 1971: Kinderheim Baumgarten. Bericht über einen ernsthaften Versuch mit neuer Erziehung. In: ders.: Antiautoritäre Erziehung und Psychoanalyse. Ausgewählte Schriften Band 1. Frankfurt: März Verlag 4.Auflage, S.84-191

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