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Heft 136: Schulden - Leben auf Raten

2015 | Inhalt | Editorial | Abstracts | Leseprobe

Titelseite Heft 136
  • Juni 2015
  • 144 Seiten
  • EUR 15,00 / SFr
  • ISBN 3-89691-996-0
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Elmar Altvater
Alexis Tsipras hat Recht
Nicht nur Griechenlands Schulden sind unbezahlbar

Der Beitrag stellt die Relevanz von Schulden im und für den Kapitalismus heraus. Er beschreibt ihre ökonomische Funktion als Kehrseite der Vermögen und analysiert die Veränderungen der Regulation der Finanzmärkte in der jüngeren Geschichte des globalen Kapitalismus. In seiner Bezugnahme auf Griechenland zeigt sich, wie über Schulden auf staatliche Politiken Einfluss ausgeübt wird: Europäische Politik wird so sichtbar als Wirtschaftspolitik, nicht etwa als Sozialpolitik. Auch wenn die Normalität des Schuldenzyklus mit seiner Katastrophe einer Schuldenkrise ein gutes Argument für die Überwindung des Kapitalismus ist, steht politisch die zivile Regulation von Schulden an. Es ist besser, die Bilanz der Geldvermögensbesitzer zu verkürzen, statt Demokratie und sozialen Zusammenhalt einer Gesellschaft zu untergraben. Leseprobe

Franz Segbers
Die Legitimation ökonomischer Schulden als moralische Schuld
Ein bekanntes Drehbuch: Verschuldung und Reformzwang

In der politischen Auseinandersetzung um Schulden, Verschuldung und Überschuldung wird gegenüber Schuldnern, seien es Staaten oder Personen, auch auf Moral als Macht-und Herrschaftsinstrument zurückgegriffen. Die Frage der "Schuld an den Schulden" bildet den Ausgangspunkt des sozialethischen Blicks auf den Konflikt um Schulden. Hierbei wird die Tradition des rigiden, bis zur Versklavung gehenden, Umgangs mit Verschuldeten herausgearbeitet. Unter der Dominanz einer neoliberalen Schuldenökonomie werden Bürgerinnen und Bürger als verschuldete Menschen nicht nur für Staatsverschuldung haftbar gemacht. Gegenüber dieser neuen Schuldknechtschaft wird dafür plädiert, die Verantwortung für die Schulden an die zurückzugeben, die davon profitieren. Der Umgang mit Schulden ist nicht als alternativlos. Die Forderung nach einem Schuldenerlass kann als Kampf der sozialen Akteur_innen um die von ihnen erarbeiteten gesellschaftlichen Ressourcen verstanden werden.

Robert Foltin
Schulden und ökonomische Moral
Zu David Graeber: Schulden. Die ersten 5000 Jahre

Robert Foltin stellt in seinem Beitrag die grundlegenden Thesen von David Graebers viel beachtetem Werk "Schulden. Die ersten 5000 Jahre" vor. Einen besonderen Fokus legt Foltin auf Graebers Ausarbeitungen zu den moralischen Grundlagen von wirtschaftlichen Beziehungen. Differenziert zeigt der Autor dabei die Unterschiede zu marxistischen Argumentationen und Kritiken auf. In der Bezugnahme auf die aktuelle Krise des Kapitalismus diskutiert Foltin weiter die Frage nach den Möglichkeiten von emanzipatorischen Gesellschaftsveränderungen durch soziale Kämpfe in Graebers Werk und darüber hinaus.

Hans Ebli
Wie es der Sozialen Arbeit gelang, die exklusive Zuständigkeit für die Bearbeitung von kreditspezifischen, finanziell schwierigen Situationen zu erhalten...

Das Arbeitsfeld Schuldnerberatung bildete sich vor den Hintergrund steigender und sich verfestigender Arbeitslosenzahlen in den 1980er Jahren heraus. Viele Verbraucher_innen konnten ihre Verpflichtungen aus Konsumentenkrediten nicht mehr bedienen; aus Verschuldung wurde zunehmend "Überschuldung". Die öffentliche Wahrnehmung dieses Phänomens als soziales Problem wurde in den folgenden Jahren begleitet durch konkurrierende Problemdeutungen unterschiedlicher Akteursgruppen. In diesen Aushandlungsprozessen konnte sich die Soziale Arbeit mit ihrem Deutungsmuster "Überschuldung" und dem spezifischen Bearbeitungsvorschlag "Schuldnerberatung" durchsetzen.

Kerstin Herzog
Schulden und die Grenzen des Betreibens eines "eigenen Lebens"

Wie bearbeiten soziale Akteur_innen ihre Schulden-Situationen im Alltag? Diese Frage ist in der aktuellen kapitalistischen Produktionsweise von besonderen Interesse, da sie zu einer Finanzialisierung des Alltags von Individuen und Haushalten führt. In der dem Text zugrunde liegenden Forschung werden vier zentrale Umgangsweisen erkannt: "Sich Beschieden und klug wirtschaften", "Arbeit ausüben, die Geld einbringt", Monetäre und soziale Dienstleistungen nutzen" und "Legitimation von Redlichkeit". Vor diesem Hintergrund fragt der Text, ob Schuldnerberatung aus Sicht der sozialen Akteur_innen ein hilfreiches Angebot in solch schwierigen Situationen ist und welche Arbeit sie investieren müssen, um sich Schuldnerberatung nutzbar zu machen. Die Betrachtung der Arbeitsweisen der Alltagsakteur_innen in schwierigen finanziellen Umständen führt zur politischen Frage nach einer Wohlfahrtsstaatlichkeit, die eine erweiterte Reproduktion aus deren Perspektive ermöglicht.

Andreas Rein
Das Recht auf ein Girokonto
(Fehl-) Entwicklungen und Perspektiven

Die Frage nach hilfreichen Unterstützungsangeboten in schwierigen finanziellen Situationen wird in dem Text aus juristischer Perspektive gestellt. Der Zugang zum bargeldlosen Zahlungsverkehr für Menschen in finanziellen Schwierigkeiten ist politisch stark umstritten. Das Recht auf ein Girokonto "für jedermann" scheiterte bisher immer an der Macht der Banken,sich dazu nicht verpflichten zu lassen. Interessanterweise hinkt die deutsche Rechtsprechung beim "Recht auf ein Girokonto" den europäischen Richtlinien hinterher. Als ein Fazit des Textes steht die Einschätzung, dass durch die Implementierung des europäischen Standards zwar bereits einiges gewonnen, das Thema der Kontolosigkeit jedoch nicht automatisch beendet wäre.

Stephan Nagel
Im Schuldturm
Wohnungslosigkeit und Überschuldung

Trotz gesetzlicher Regelungen zur Vermeidung von Mietschulden sind diese nach wie vor eine wesentliche Ursache für Wohnungslosigkeit. Möglichkeiten der sozialstaatlichen Intervention gibt es auch bei Strom- und Energieschulden. Auch diese sind eine wesentliche Bedrohung für die Sicherung der Wohnung und die gesamte Lebenssituation. Negative Etikettierungen als finanziell riskante Individuen oder Haushalte stellen sich als schwer überwindbare Barrieren auf dem Wohnungsmarkt dar. Öffentliche Unterbringung von Wohnungslosen wird zum modernen Schuldturm und verweist auf Fehler der sozialpolitischen Regulation und die Ignoranz gegenüber Handlungsmöglichkeiten sozialer Arbeit.

Bill Hughes
Zivilisierung und ontologische Invalidierung von Menschen mit Behinderung
Teil II

Im Folgenden werde ich - mit Bezug auf Norbert Elias - aufzeigen, dass die Behandlung von Menschen mit Behinderung in der Moderne ein barbarischer Nebenkriegsschauplatz auf dem langen Marsch des "Zivilisationsprozesses" (Elias 2000) ist. Der "personality structure" Ableismus (Kumar Campbell 2012) der Moderne transformiert die eigene ontologische Unsicherheit in Aversion gegen Behinderung und in deren Entsorgung. Diese negierende Antwort auf biologische und geistige Differenzen in der Moderne wird vom Streben nach der Norm des bereinigten menschlichen Verhaltens und Erscheinungsbildes (Elias 2000) sowie der in den Zivilisationsprozess eingebetteten Tendenz getragen, die physische bzw. intellektuelle Unterschiedlichkeit zu belächeln und zu verachten. Die gesellschaftlichen und sozialpolitischen Antworten auf Behinderung in der Moderne können und dürfen nicht von der emotionalen Aversion gegenüber Einschränkungen getrennt werden, die die Hegemonie des Nicht-Behinderten kennzeichnen. Mit Elias Konzepten der Psychogenese und Soziogenese werde ich erläutern, wie sich die Geschichte von Behinderung in der Moderne in Richtung einer sozialen und ontologischen Invalidierung des Lebens von Menschen mit Behinderung entwickelt hat.

Simeon Arciprete
Die Handlungsfähigkeit der Adressat*innen
Überlegungen zum Begriff des Subjekts im Dialog zwischen Sozialer Arbeit und Kritischer Psychologie

Der Beitrag thematisiert Implikationen für Soziale Arbeit, die sich aus der Verschränkung eines kritischen Adressat*innenbegriffs und des kritisch-psychologischen Konzepts der Handlungsfähigkeit ergeben. Ausgangspunkt ist die historisch-gesellschaftliche Kategorie des Subjekts, dessen philosophischen Implikationen, wie sie auch in der Sozialen Arbeit (etwa im Begriff der Bildung) und im Adressat*innenbegriff (in der Dialektik von handlungsfähigen Subjekten und sozialinstitutioneller Formierung) aufgehoben sind. Diese Relation bildet den gedanklichen Hintergrund, vor dem das Konzept der Handlungsfähigkeit nach Klaus Holzkamp, vorgestellt und strukturiert nach Theorie, Praxis, Politik des Sozialen sowie Partizipation diskutiert wird.

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