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Heft 16: Rechte in der Wende – Die linke Last mit Neonazis

1985 | Inhalt | Editorial | Leseprobe

Titelseite Heft 16
  • November 1985
  • 104 Seiten
  • EUR 7,00 / SFr 13,10
  • ISBN 3-88534-034-8

Arno Klönne

Rechtsextreme Tendenzen in der politischen Kultur der Bundesrepublik
Eine Herausforderung für politische Bildung in demokratischer Absicht

Dieser Aufsatz ist die leicht gekürzte und Überarbeitete Fassung eines Vortrags von Arno Klönne am 18.5.85 in Wewelsburg.

Die Blickrichtung, um die es mir geht, läßt sich am besten vielleicht deutlich machen, indem ich zunächst den vor mir selbst eingesetzten und üblichen Begriff "Rechtsextremismus" in Frage stelle. Extremismus, das ist nach gängiger Definition eine politische Verhaltensweise, die - gemessen an der durchschnittlichen und vorherrschenden Realität - eine äußerste Marginalität hat, die also eine Außenseiterposition darstellt.

Meine Vermutung und Befürchtung ist nun aber, daß gesellschaftliche Einstellungen, die sich gegen Grund- und Menschenrechte, gegen den demokratischen Gesellschaftsentwurf und gegen das Gleichheitsprinzip aller Menschen und Völker richten, die in diesem Sinne also rechtsextrem sind, in der Gesellschaft der Bundesrepublik heute keineswegs nur als Randerscheinungen und keineswegs nur marginal zu finden sind, sondern daß sie einen einflußreichen Teil der politischen Stammkultur dieses Landes ausmachen.

Will man eine realistische Einschätzung der gesellschaftspolitischen Konfliktlage, in der wir uns heute und auf Sicht in der Bundesrepublik befinden, dann ist in aller Kürze an die geschichtlichen Grundbedingungen der westdeutschen Demokratie zu erinnern. Das Ende des deutschen Faschismus war machtpolitisch allein dem Sieg der Alliierten zu verdanken. Es waren und blieben Minderheiten, die von innen her den Sturz des Hitler-Regimes anstrebten. Trotz aller Opfer, die der deutsche Widerstand gebracht hat, haben seine Kräfte eben nicht gereicht, die Macht des faschistischen Staates in Deutschland zu erschüttern. Die Mehrheit der Deutschen hat dem Faschismus mehr oder weniger überzeugt Gefolgschaft geleistet. Die Herausbildung eines liberalen Systems in Westdeutschland nach 1945 bzw. dann in der Bundesrepublik hatte ihre Trägerschaft sicherlich auch in demokratischen Potentialen, die das NS-System hatten überleben können, aber machtpolitisch entscheidend war doch die militärische Niederlage Hitlers, also der Eingriff von außen. Und gewiß wird für manch einen der Millionen Anhänger oder Mitläufer des faschistischen Systems das katastrophale Ende des 3. Reiches 1945 eine Erfahrung gewesen sein, die Umdenken auslöste. Aber andererseits, politische Sozialisation sitzt doch vermutlich tiefer, als daß sie durch eine militärische Niederlage einfach umgestülpt werden könnte. Daß die Mehrheit der Westdeutschen, auch der ehemaligen Anhänger und Mitläufer des Faschismus, sich dann in den 50er Jahren mit der Bundesrepublik sozusagen abfand, daß die deutsche Niederlage 1945 nicht in den Zorn der Besiegten auf die Sieger umgesetzt wurde, so wie das nach 1918 in Deutschland der Fall gewesen war, und daß an dem zunächst eher importierten Modell eines liberal-rechtsstaatlichen Parlamentarismus westeuropäischen Zuschnitts dann zunehmend weite Teile der Bevölkerung hierzulande Gefallen fanden, hing gewiß nur z.T. mit einer Bekehrung zusammen. Ausschlaggebend war ohne Zweifel, daß der neue westdeutsche Staat den Rahmen abgab für einen wirtschaftlichen Aufstieg mit seinen materiellen Folgen für die Masse der Bevölkerung, den in den ersten Jahren nach 1945 niemand erwartet hatte. Und es kamen einige Umstände der Umerziehung der Westdeutschen zu Hilfe und machten diese Umerziehung zugleich wieder fragwürdig. Das Selbstverständnis der Bundesrepublik als einer "Bastion der freiheitlichen Welt", so wurde es ja verstanden, gegenüber dem totalitären Osten machte eine Versöhnung mit dem westlich-demokratischen System auch für jenen großen Teil westdeutscher Mitbürger leicht, der dem Nationalsozialismus Gefolgschaft noch bis zum Zusammenbruch geleistet hatte. Ein wichtiges Element der bis 1945 herrschenden Ideologie schien nachträglich bestätigt, nämlich der Antikommunismus. Die Frontposition der Bundesrepublik im Ost-West-Konflikt, die ja lange Zeit hindurch gedankenprägend war, reparierte gewissenmaßen das beschädigte Selbstwertgefühl vieler ehemaliger Parteigänger Hitlers.

Hinzu kam die politische Psychologie des ökonomischen Aufstiegs der Bundesrepublik. Die Meinung, daß der enorme Wirtschaftsaufschwung Westdeutschlands einer besonderen, vor anderen Völkern auszeichnenden Tüchtigkeit der Deutschen wenigstens in Sachen Arbeitsleistung und Ökonomie zu verdanken sei, bot einen angenehmen Ersatz für das 1945 historisch zerschlagen, politisch-völkische Überlegenheitsgefühl und versöhnte wiederum mit der politischen Form, in der sich dieser wirtschaftliche Aufstieg vollzog, also der liberalen Demokratie.

Ob damit nun aber ohne weiteres eine langfristig haltbare Abwendung von den traditionell herrschenden Inhalten der politischen Kultur Deutschland verbunden war oder gar eine stabile Orientierung an dem Politikkonzept der Aufklärung, der liberalen politischen Philosophie, das muß in Zweifel gestellt werden. Die politische Hinwendung zu diesem liberalen Politikmodell war, wie eben angedeutet, historisch nicht bedingungslos.

Unter die Vergangenheit einen Schlußstrich ziehen?

Diese historischen Umstände, daß also Demokratie hierzulande eben nicht von unten her, nicht von einer Volksbewegung erzwungen wurde, sondern daß sie auf den Eingriff von außen her angewiesen war und daß sie ihre Akzeptanz fand unter den spezifischen Bedingungen wirtschaftswunderlicher Erfolge, bedeuten, so muß man wohl nüchterner Weise annehmen, daß auch über den Wechsel der Generationen hin Risiken in dieser deutschen politischen Kultur stecken und daß die eigentliche Probe auf das demokratische Exempel historisch noch nicht gemacht ist. Und weil dies so ist, bleibt es für die Gesellschaft der Bundesrepublik eine Existenzfrage der Demokratie, wie mit der Vergangenheit umgegangen wird.

Es hat seine schlechten Gründe, wenn uns empfohlen wird, unter die faschistische deutsche Vergangenheit einen Schlußstrich zu ziehen. Diese Empfehlung ist gegenwärtig in massiver Form trotz aller Beschäftigung der Medien mit der Vergangenheit zu finden. Und diese Empfehlung zielt ganz aktuell auf Politik. Um das an einem Beispiel zu zeigen, das nicht etwa aus der Neonaziszene stammt, sondern aus der Gedankenwerkstatt eines etablierten westdeutschen Wissenschaftlers:

"Es stellt eine der schwersten Gefährdungen der deutschen Identität dar, daß der Aufbau eines neuen politischen Selbstbewußtseins auf der kritiklosen Anerkennung der eigenen Schuld beruht. So wirkt sogenannter 'Antifaschismus' als kollektiver Selbsthaß identitätsstörend; und das dadurch immer latente Schuldgefühl legt sich wie ein Mehltau über alles Errungene, alles Bejahende, alles Vitale, alles Glück, alle Zukunft ... Eine schuldige Gesellschaft, eine Gesellschaft, die permanent mit ihrer Vergangenheit erpreßbar ist, wird nachhaltig geschwächt ... Die Deutschen müssen die Vergangenheitsbewältigung zu einer Sache der Wissenschaft neutralisieren. Wer Schuld predigt oder die 'Wunde Hitler' offenhält, kämpft nicht um, sondern gegen die deutsche Identität. Die Deutschen müssen erkennen, daß die Trennung von Politik und Moral auch eine Errungenschaft war ...

Die Verse 'Und es wird am deutschen Wesen einmal noch die Welt genesen' könnten zu einem neuen Imperativ der Identität umformuliert werden: Und es soll am eigenen Wesen wieder die Nation genesen."

Diese Sätze kommen, wie gesagt, nicht etwa aus irgendeiner rechtsextremen Ecke im Sinne des Verfassungsschutzes, sondern aus einer etablierten Position: Autor ist der Politikwissenschaftler Bernard Willms, Hochschullehrer an der Ruhr-Universität Bochum.

Verdrängungen oder versuchte Schlußstriche dieser Art, Verfälschungen der deutschen Vergangenheit, Halbwahrheiten, die nur zu leicht zu einer ganzen Lüge werden können, oder auch Aufforderungen, es nun genug sein zu lassen mit dieser ganzen Bearbeitung der deutschen Vergangenheit, sind es, die den massiven Boden der potentiellen Demokratiegefährdung in der Bundesrepublik bilden, die also dem Rechtsextremismus die Ausgangspositionen bereitstellen. Ich will im Folgenden auf einige Denkweisen und Argumentationsfiguren aufmerksam machen, die zumindest in ihrer Wirkung in breitem Umfange rechtsextreme Weltbilder begünstigen und mit denen sich politische Bildung in den nächsten Jahren wird auseinandersetzen müssen.

- Da gab es gleich nach 1945, und bis heute vorfindbar, die eingängige Formel, Deutschland eigentlich sei doch das Opfer Hitlers gewesen. Es gab in bestimmter Weise diese Interpretation des 3. Reiches auch bei Antifaschisten. Erich Kästner, ein Beispiel für manche ähnliche, hat am 8. Mai 1945 in seinem Tagebuch notiert, Deutschland sei "das von Hitler am längsten besetzte und gequälte Land" gewesen. Oder ein anderes Beispiel: Alfred Kantorowicz, ein Repräsentant des antifaschistischen Exils, hat damals den deutschen Faschismus als "braune Besatzungsarmee auf deutschem Boden" bezeichnet.

Diese Charakteristik der NS-deutschen Vergangenheit ist nun, was die Antifaschisten angeht, vom Motiv her gut verständlich. Deren Argumentation lief ja darauf hinaus, und das konnte damals auch kaum anders sein, dem Anspruch des Nationalsozialismus, Deutschland zu repräsentieren, ein anderes, freiheitliches Deutschland entgegenzuhalten, also die "Hitlerei", so wurde es damals gesagt, als Usurpation kenntlich zu machen. Aber das war eine Idee und das war höchstens ein Teil der Realität. Als Charakterisierung der politisch-historischen Verhältnisse Deutschlands im 3. Reich insgesamt jedenfalls war die Formel von der "braunen Besatzung" durchaus unzutreffend. Sie enthielt zugleich verführerische Anknüpfungspunkte für eine ganz anders motivierte politische Nutzung, nämlich für die nach 1945 bei Anhängern und Mitläufern des Nationalsozialismus weit verbreitete Neigung, ihre Integration in den Faschismus in Deutschland als ein von einem totalitären System her erzwungenes Verhalten hinzustellen, vielleicht auch selbst so zu verstehen und sich damit gewissermaßen zu entlasten. Heute wird die Vorstellung, Deutschland eigentlich sei Hitlers Opfer gewesen, von prominenter Seite wieder aufgegriffen; und sie kommt, so fürchte ich, volkstümlichen Bedürfnissen entgegen. Ich nehme ein Beispiel dafür: Heiner Geißler hat als Charakterisierung der nationalsozialistischen Zeit gesagt: "Unser armes Land hat am meisten darunter leiden müssen. Dieses Volk hat zweimal in diesem Jahrhundert ein schweres Schicksal hinnehmen müssen". Die Deutschen also als Opfer?

Aber wie denn? Wäre das 3. Reich denkbar gewesen ohne deutsche Täter und ohne diejenigen, die diesen Tätern Hilfe leisteten, und ohne diejenigen, die zusahen oder auch wegsahen, wenn die Täter am Werk waren?

"Moralische Substanz der Nation"

In einer etwas anderen Variante findet sich die "Vergangenheitsentlastungsformel" in der folgenden Argumentation. Ich zeige sie an einem Zitat des gegenwärtigen bayerischen Ministerpräsidenten auf; auch dieser nur als prominente Stimme für das genommen, was volkstümlich weithin zu finden ist. Strauß hat gesagt:

"Die moralische Substanz der Nation" - gemeint ist in der nationalsozialistischen Zeit - "blieb erhalten. Man schätzt, daß rund 50.000 Deutsche an den furchtbaren Gewalttaten mittelbar oder unmittelbar beteiligt waren. Selbstverständlich sind dies 50.000 zuviel, aber in einem 65-Millionen-Volk bilden sie doch eine sehr kleine Minderheit, die mit einer ungeheueren politkriminellen Energie unter Anwendung aller Methoden des Schreckens und der Propaganda das eigene Land eroberte und vergewaltigte".

Wenn ich hier als prominente Beispiele für einen fragwürdigen Umgang mit der deutschen Vergangenheit vorwiegend Politiker der gegenwärtigen Regierungskoalition zitiere (daß sich dies so sortiert, liegt nicht an mir, und es hat auch historische Gründe, daß die Äußerungen führender Sozialdemokraten fast durchweg anders ausschauen), füge ich aber hinzu: Es ist leider nicht anzunehmen, daß im Terrain der Sozialdemokratie der Bundesrepublik - und zwar unterhalb der offiziellen Äußerungen - fragwürdige Sichtweisen der Zeit des Nationalsozialismus nun keinerlei Verbreitung finden würden. Auch hier ist zu unterscheiden zwischen formellen und informellen politischen Weltbildern, und der Rechtsextremismus in der Bundesrepublik in seinen "nichtextremen" Erscheinungsformen stützt sich vornehmlich auf informelle politische Weltbilder.

Wenn es so ist, daß Fehlsichten und Verdrängungen der Gründe des historischen deutschen Faschismus nach wie vor Fundamente bilden, auf denen der offene wie auch der latente neue Rechtsextremismus in der politischen Kultur der Bundesrepublik beruhen, dann kann veranstaltete politische Bildung hier ganz gewiß nur zu einem kleinen Teil korrigierend und aufklärend wirken. Das wissen alle, die in diesem Bereich tätig sind. Es wird sich niemand die Illusion machen, schulische oder außerschulische historisch-politische Unterrichtung sei für sich genommen in der Lage, menschenfeindliche und demokratiegefährdende Einstellungen zu verhüten. Dennoch hat politische Bildung in der Auseinandersetzung um die ideologischen Kräfteverhältnisse in einer Gesellschaft ihren Stellenwert. Und insofern behandelt sie eben nicht nur Politik, sondern sie macht auch Politik, zu ihrem Teil. Fragwürdiger Umgang mit der deutschen Vergangenheit als Boden für einen neuen Rechtsextremismus, das ist für die politische Bildung nicht ein Problem von Wissenslücken, sondern von Sichtweisen, die Zugänge entweder öffnen oder auch verstellen und verschließen können.

Die Durchsetzung des Faschismus in Deutschland, die meist reichlich verkürzend auf den Begriff der Machtergreifung Hitlers gebracht wird, wird immer noch im öffentlichen Bewußtsein der Bundesrepublik vorwiegend interpretiert als Folge der Weltwirtschaftskrise, der Belastungen durch den Versailler Vertrag, der Zersplitterung des Weimarer Parteiensystems. Um ein Beispiel zu nehmen, das sozusagen von grünem Holze stammt: In einer Erklärung des Rates der evangelischen Kirche in Deutschland anläßlich des 50. Jahrestags der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler hieß es:

"Unrecht und Not, eine belastende Arbeitslosigkeit und ein ungerechter Friedensschluß waren der Boden für die Entstehung der NSDAP. Egoismus und Uneinigkeit der demokratischen Parteien brachten Hitler an die Macht"

Aber so einfach lagen die Dinge eben nicht. Die politische Systemkrise der Weimarer Republik war eben nicht allein durch Massenarbeitslosigkeit bzw. Weltwirtschaftskrise verursacht; die faschistische Massenbewegung in Deutschland verdankt ihre Antriebskräfte eben nicht allein der wirtschaftlichen Notlage. Arbeitslosigkeit führte nicht zwangsläufig zur Radikalisierung nach Rechts hin; die Wirtschaftskrise hatte nicht zwangsläufig die Option für den Faschismus zur Folge. Und auch ein vielgegliedertes Parteiensystem hatte nicht zwangsläufig den Zerfall der demokratischen Institutionen zur Folge. Wer heute glauben machen will, und das geschieht ja vielfach, die sogenannte Last des Versailler Vertrages habe zumindest bei ungünstiger wirtschaftlicher Entwicklung keinen anderen Weg übriggelassen als den ins 3. Reich, der knüpft, ob er es nun bewußt oder unbewußt tut, an ein zentrales Argumentationsmuster der extremen Rechten zu Weimarer Zeiten an und verstellt damit jede Möglichkeit, die deutsche Vergangenheit zu begreifen und aus ihr zu lernen.

Der Faschismus kam nicht traditionslos

Die Etablierung des Faschismus in Deutschland 1933 war historisch nicht möglich ohne die Anknüpfung an deutschnationale und an völkische Traditionen und ohne die Mithilfe der in dieser Tradition befindlichen gesellschaftlichen Gruppen und Machtgruppen. Der Faschismus in Deutschland hat 1933 und danach die Mehrheit der deutschen Bevölkerung gerade auch deshalb integrieren können, weil er sich als Vollendung dieser deutschen Nationalgeschichte darstellte und nicht etwa als ein Bruch mit derselben. Und insofern lassen sich auch die braunen und die schwarz-weiß-roten Stränge der Vorgeschichte des 3. Reiches nicht voneinander trennen. Ich denke, diese Frage wird zu einem wichtigen Konfliktgegenstand der historisch-politischen Auseinandersetzung und Bildung werden. In die sogenannte "nationale Revolution" der Jahre um 1933 mündeten viele Strömungen ein und mit ihr verbanden sich vielfältige Interessen und auch Ideologien, so etwa expansive Neigungen von Kapitalgruppen, aber auch Schutzwünsche argrarischer Großbesitzer, die sich beide wiederum in der Absicht trafen, einen starken Staat zu etablieren und die Arbeiterbewegung aus dem politischen Leben zu verdrängen; Bestrebungen nach Machterweiterung der durch Versailles in ihren Möglichkeiten begrenzten deutschen Militärs; Hoffnungen von Teilen des Beamtentums auf Wiederherstellung preußischer Ordnung und "nationaler" Würde, wie das so hieß; Gruppeninteressen machthungriger, jüngerer Führer aus den Wehrverbänden; lebensreformerische, oft antisemitisch geprägte Ideen von Kleinbürgern; konservativ-revolutionäre Träume von einem deutschen Sozialismus, vom deutschen Volk als kriegerischem Arbeitslager; Bestandserhaltungswünsche oder Aufstiegsinteressen alter und neuer Mittelständler, die auf einen autoritären, ständisch ordnenden Staates zielten.

Aber alle diese Bestrebungen hatten Anknüpfungspunkte in den verschiedenen Traditionen einer überkommenen deutschen konservativen Politik vor 1918. Sie hatten ihre Gemeinsamkeiten in der Berufung auf die "deutschen Ideen von 1914", die gegen die Ideen von 1789, also gegen das historische Projekt der Aufklärung, der libertären und egalitären Gesellschaft gestellt wurden. Die "nationale Revolution" 1933 war ein in sich vielgestaltiger Vorgang, aber eines war sie sicherlich nicht: Sie war nicht ein Bruch mit den in der deutschen Gesellschaft traditionell vorherrschenden politischen Ideen und Kräften. Und wenn das so ist, dann ist zu fragen: Was von diesen überkommenen Strängen politischer Philosophie, politischen Verhaltens existiert auch heute noch im gesellschaftspolitischen Bewußtsein der Bundesrepublik und gilt zu erheblichen Teil eben nicht als rechtsextrem? Für die politische Bildung wäre es äußerst negativ, wenn sie sich darauf einließe, die Erfahrung des 3. Reiches gewissenmaßen historisch zu isolieren. Es gibt viele Empfehlungen, die in diese Richtung zielen, wo etwa gesagt wird, man müsse, was das 3. Reich angeht, das "Verbrecherische", das "Bösartige" durchaus erscheinen lassen in der politischen Bildung, aber zugleich könne man ja verweisen auf (so etwa ein beliebig herausgegriffenes Zitat): "tausend Jahre deutscher Geschichte jenseits des Nationalsozialismus".

Ich glaube nicht, daß diese Betrachtungsweise weiterhelfen kann. Der Faschismus in Deutschland kann eben nicht erklärt und ein Beitrag zum Schutz gegen Wiederholungsgefahren kann nicht geleistet werden, wenn man den Blick allzusehr fixiert auf die Jahre von 1933 bis 1945. Tut man das, dann muß doch das faschistische System als mysteriöse Entgleisung erscheinen in einem sonst reibungslosen Ablauf der deutschen Geschichte. Und wenn man die Frage nach den Herkünften des Faschismus in Deutschland, also nach den Traditionen und gesellschaftlichen Strukturen, die ihm längst vor 1933 den Weg bereitet haben, außen vorläßt, dann bleibt unverständlich, wie es zu den beklagten Zuständen im 3. Reich hat kommen können. Für Nachwachsende liegt dann der Fehlschluß nahe, daß es vielleicht auch nach 1933 so schlimm nicht gewesen sein könne, wenn die deutsche Geschichte vor 1933 ein durchweg freundliches Bild bot.

Die "Volksgemeinschaft" mit Menschenzerstörung sichern

Fragwürdig ist aber auch eine isolierte Herausstellung und Betrachtung der terroristischen Seiten des 3. Reiches. Gewiß waren diese die extremste Ausformung des politischen Charakters des damaligen Staates, kennzeichnend gerade für den deutschen Faschismus. Und so sehr nun eine solche Politik als das definiert werden muß, was sie war, nämlich als Verbrechen, so wenig ist damit erreicht, wenn Aufklärung über den historischen Faschismus sich damit begnügt, dieses System oder einzelne seiner Trägergruppen für kriminell zu erklären und moralisch abzuurteilen. Für Nachwachsende, die sich mit der Erfahrung des historischen Faschismus auseinandersetzen wollen oder sollen, ist leicht erkennbar, daß die Politik des deutschen Faschismus die aktive oder passive Zustimmung, zumindest die Duldung durch eine Mehrheit der Bevölkerung zur Voraussetzung hatte. Deren Verhalten, also das Verhalten der Mehrheit, ist aber doch mit einer politischen Kriminalitätsthese nicht erklärbar. Und zu Recht fragen sich dann Nachwachsende, wieso die Deutschen denn eher zum politischen Verbrechen neigen sollten als andere Völker. Dieser Gedankengang führt nur zu leicht zu dem fatalen Feischluß, daß vielleicht die faschistische Politik selbst gar nicht so verbrecherisch gewesen sein könne, wie es die politische Bildung immer darstellt. Auch darin liegt ein Hinweis auf die Notwendigkeit, Herkünfte des Faschismus im gesellschaftlich-politischen Bewußtsein breiter Teile der deutschen Bevölkerung zu erhellen und zu fragen, wo die ganz alltäglichen politischen Verhaltensdispositionen lagen, die nach 1933 ein System stützten, dem Massenmord als Mittel der Politik galt, aber ohne daß die damalige deutsche Gesellschaft sozusagen in ihrem Durchschnitt aus Mördern bestanden hätte.

In diesem Zusammenhang ist auch folgendes mitzubedenken: Die Funktion der Menschenbedrohung und Menschenvernichtung im deutschen Faschismus lag, vom System her gedacht, nicht allein in ihrer abschreckenden Wirksamkeit gegenüber politischen Gegnern oder potentiellen politischen Gegnern; es ging auch darum, aber es ging um mehr, nämlich: Menschenzerstörung galt damals als das geeignete Mittel, um Identität der "Volksgemeinschaft", wie es hieß, zu sichern, um die "Gemeinschaftsfremden", wie man sagte, seien es nun die Juden, Zigeuner, Asozialen, Homosexuellen oder andere, herauszudrängen und auszumerzen. Und die systematische Kategorie, die solche Selektionen bestimmte, war eben nicht allein die der politischen Gegnerschaft, sondern sie war sozial-biologisch gedacht, bezogen auf den Begriff einer "Volksgemeinschaft", die mit sich selbst "ins Reine" kommen sollte. Die Rassenlehre war dabei eine scheinwissenschaftliche Stütze dieses Denkens. Menschenzerstörung hatte im 3. Reich, institutioneil betrachtet, einen ganz spezifischen Ort, sie war teilweise verschränkt mit und teilweise separiert von dem administrativ-justiziellen Apparat. So kam ein neuer Typ staatlichen Handelns zustande; einerseits bleib der Staat in vielen Situationen Rechtsstaat, positivistisch betrachtet, und andererseits war der Bevölkerung klar, daß der Staat gegebenenfalls diese rechtsstaatlich-justizförmigen Regeln eben nicht einzuhalten brauchte. Damit verschliß sich aber auch weitgehend so etwas wie Rechtsbewußtsein und Verantwortungsgefühl. Ich meine, daß dieser spezifische Ort, den Praktiken der Menschenzerstörung im Politiksystem des deutschen Faschismus hatten, auch dazu führte, daß zahllose Menschen an der Vorbereitung oder Ausführung dieser menschenzerstörenden Praktiken partiell beteiligt waren, und sei es nur im Sinne bürokratischer Handhabung der Begleiterscheinungen von Verfolgunsakten. So wurden viele in die Verantwortung dafür faktisch einbezogen, ohne daß sie aber für ihr eigenes Bewußtsein individuell verantwortlich schienen. Die Politik der Menschenzerstörung erhielt gerade damit eine breite Basis im Sinne verantwortungsloser Mitverantwortung.

Max Picard hat in einem gleich nach dem Ende des Krieges erschienen, m.E. zu Unrecht vergessenen Buch unter dem Titel "Hitler in uns selbst" die Grundzüge der spezifischen Ausformung der Politik der Menschenzerstörung im deutschen Faschismus wie folgt beschrieben:

"Die Naziverbrechen sind auskalkuliert, wie im Reagenzglas der Fabriken ausgeprobt. Es ist eine wissenschaftliche Grausamkeit. Sie sind nicht Natur und nicht Ausdruck der bösen Leidenschaft, sondern wie eine Produktion der Fabriken; und darum nehmen sie in dem ungeheueren Maße zu, wie die Produktion der Fabriken zunimmt. Darum erscheint die Grausamkeit der Nazis so nebensächlich. Sie scheint den Menschen nichts anzugehen; er kommt sich nicht verantwortlich dafür vor. Die Nazigreuel sind wie nebenbei gemacht, eben wie durch Apparate gemacht, die auch etwas anderes produzieren können. Hier wird sogar der Mord degradiert".

Völkisches Denken und Ökologie

Weder die Ansatzpunkte eines neuen Rechtsextremismus in der politischen Kultur der Bundesrepublik heute, noch die Herausbildung der Massenbasis des historischen Faschismus wären zu begreifen, wenn nicht die sozusagen idealistische Seite rechtsextremer und faschistischer Politikvorstellungen mitbedacht wird; oder anders gesagt: die Herausbildung antidemokratischen Denkens vollzog und vollzieht sich eben auch als politische Inbesitznahme, als oft schleichende ideologische Umpolung zunächst durchaus berechtigter oder verständlicher Bedürfnisse und Wünsche von Menschen. Ich will dies im Hinblick auf unser Thema nur an einem Beispiel hier etwas näher andeuten.

Die berechtigte Sorge um die Erhaltung einer natürlichen Umwelt des Menschen existiert nicht erst seit ein paar Jahrzehnten; schon um die Jahrhundertwende gab es so etwas wie eine lebensreformerische, naturschützende Bewegung. Und zu nicht unerheblichen Teilen entwickelte sich in Deutschland - aber eben nicht nur hier - dieser damalige "ökologische Diskurs" in eine Denkrichtung, die später in den ideologischen Vorraum des Faschismus oder des Nationalsozialismus führte, dies teils in einer sozialbiologistischen Variante, teils auch schon in einer völkisch-rassistischen Variante. Die Gedankenketten - jetzt nur knapp aufgezeigt -, die sich dabei historisch ergaben, über die Bedürfnisse, die zunächst völlig sinnvoll und berechtigt waren, sich ins Faschistische umbiegen ließen, sahen etwa so aus: Wenn gegenüber den Verunsicherungen und Beschädigungen der menschlichen und außermenschlichen Lebenswelten, die die technisch-industrielle Entwicklung anrichtet, die Reorientierung auf natürliche Lebensordnungen Hilfe bietet, ist es dann nicht folgerichtig, tatsächliche oder scheinbare Verhaltensregeln aus der natürlichen Umwelt des Menschen sozusagen als Muster menschlicher Ordnung und Geschichte zu akzeptieren, also etwa die "natürliche soziale Auslese", die "Aufartung", den "Kampf um den Lebensraum", die "Arterhaltung" und, wenn's Not tut, eben auch die "Arterhaltung" durch Vernichtung sogenannter "lebensschwacher Wesen"? Oder in einer etwas anderen Version: Wenn es gilt, die überkommene, sogenannte natürliche Lebenswelt des Volkes zu erhalten, bedarf es dann nicht der starken, notfalls diktatorischen Hand, die alle "liberalistischen" oder "individualistischen" Anwandlungen der Menschen bändigt, zurückgedrängt, "Gemeinschaft" wieder herstellt durch soziale Ausgrenzung der sogenannten "Gemeinschaftsfremden", die dann im sozialen Sinne als umweltbelastend definiert wurden. Und am Ende diente, so gedacht, das Konzentrationslager dem "Naturschutz", der "Reinigung", der Natur und Volk im völkischen oder rassistischen Sinne unterzogen werden sollten.

Nun ist es nicht so, als würde sich heute sozial-biologisches, neorassistisches, auch neues völkisches Denken der ökologischen Thematik fernhalten. Vielmehr haben wir gegenwärtig ein breites Spektrum ideologischer Experimente, um ökologische Gesellschaftskritik in faschismusanfälliges Denken umzubiegen. Wer die publizistischen Organe der nun auch im Sinne des Verfassungsschutzes rechtsextremen Gruppen der Bundesrepublik aufmerksam gelesen hat, der weiß, daß hier schon seit Jahren das Thema Ökologie, Erhaltung der natürlichen Umwelt usw. unter ideologischen Verwertungsinteressen mit in den Mittelpunkt gerückt worden ist. Die Tendenz geht dort dahin, eine Art "diskurspolitischer Brücke" herzustellen zwischen rechtsextremer Ideologie und den Vorstellungswelten politisch noch disponibler Teile der Ökologiebewegung.

Um ein Beispiel dafür zu geben, wie die ökologische Thematik in rechtsextreme "Naturpolitik" umgebogen wird, nehme ich ein Zitat aus einer Schrift eines führenden Vertreters der nationaldemokratischen Partei:

"Es ist offenkundig, daß zur Umwelt auch der Mensch gehört und daß sich in den verschiedenen Landschaften der Erde im Laufe der Entwicklung verschiedene Völker und Kulturen bildeten. Die natürlichen Ordnungen der Menschen gehören auch zur Umwelt, und ein Umweltschutz verdient seinen Namen nicht, wenn er die Menschen ausspart. Zur Umwelt des Einzelnen gehören entscheidend seine Mitmenschen, die Nachbarn und Mitbürger, denen er dauernd begegnet. Die in den großen westdeutschen Städten in den letzten Jahren entstandenen Ausländergettos haben die Umwelt dort entscheidend geändert, auch in ihrer Qualität für die bisherigen deutschen Bewohner. Ihr Unbehagen über den hohen Ausländeranteil als Ausländerfeindlichkeit zu verurteilen, ist schlechter demokratischer Stil. Die kulturelle Veränderung einer in langer Tradition gewachsenen Umgebung ist vergleichbar mit den meist zerstörerischen Eingriffen der Zivilisation in die Natur und verlangt einen ebenso wirksamen Schutz. Dem Landverlust durch Verbetonieren ist die Landnahme durch die Millionen Ausländer durchaus vergleichbar. Sie engt die Lebensmöglichkeiten der sowieso schon eingeengten Deutschen weiter ein und mindert ihre Lebensqualität."

Solche Gedanken kann man in vielen Varianten finden.

Ich greife ein zweites, gewissermaßen naives Exempel dafür heraus, wohin die Vorstellung führen kann, Erhaltung der natürlichen Umwelt des Menschen habe Priorität auch gegenüber den Gleichheitsrechten der Menschen. Ein junger Rechtsradikaler, von einer Jugendzeitung befragt, wie er sich denn die von ihm erwünschte Vertreibung der Türken aus der Bundesrepublik vorstelle, antwortete folgendermaßen:

"Natürlich werden sich die Türken weigern; es wird auch zu Kämpfen kommen oder zu Erschießungen oder Vergasungen, das ist doch klar. Am allerliebsten würde ich von viereinhalb Milliarden Menschen dreieinhalb Milliarden tot wissen; dann würde die Natur wieder besser auskommen. Mir macht das echt nichts aus, Menschen zu erschießen; mir würde es etwas ausmachen, Bären oder Löwen zu erschießen, weil die selten sind und unschuldig. Aber Menschen gibt's genug."

Das ist sicherlich ein extremes Beispiel. Ich meine aber, daß solche Umbiegungen von Motiven beachtet werden müssen, wenn man darüber Klarheit schaffen will, wo rechtsextreme Weltbilder ihre Anknüpfungspunkte finden können.

Gedankliche Übergänge von der Ökologie zum Rechtsextremismus sind auch in quasiwissenschaftlicher Argumentation zu finden. Im "Heidelberger Manifest" des "Schutzbundes für das deutsche Volk" liest sich diese so:

"Völker sind biologisch und kybernetisch lebende Systeme höherer Ordnung mit voneinander verschiedenen Systemeigenschaften, die genetisch und durch Tradition weitergegeben werden. Die Integration großer Massen nicht-deutscher Ausländer ist daher bei gleichzeitiger Erhaltung unseres Volkes nicht möglich und führt zu den bekannten ethnischen Katastrophen multikultureller Gesellschaften."

Hier wird völkische Biokybernetik zum Ersatz für die einstige Rassenlehre; im Namen der "Natur" (welcher?) soll der Gleichheitsanspruch aller Menschen verdrängt werden, und die "Systemtheorie" wird dafür zu Hilfe geholt.

Normativer Antifaschismus hilft nicht weiter

Rechtsextremes Denken, damals wie heute, hat seinen Kern im Konzept der sozialen "Auslese", die als Sieg des "Starken", als Untergang des "Schwachen" begriffen wird. Es wird wenig nützlich sein, solche politische Philosophie moralisch abzuurteilen, wenn nicht über ihre Herkünfte aus ganz realen gesellschaftlichen Situationen, aus zunächst "unpolitischen" Alltagsverhältnissen und Alltagserfahrungen nachgedacht und gesprochen wird - und das gilt insbesondere für ökonomisch-soziale Krisenzeiten.

Um das Gemeinte an einem banalen Beispiel deutlich zu machen, sei eine Äußerung eines Jugendlichen aus dem Berufsgrundschuljahr zitiert (also aus einer der gegenwärtigen Formen der "Zwischenlagerung" von Arbeitslosigkeit):

"Hier in der Klasse gehts darum, daß der Stärkere siegt. Es geht doch immer darum, daß der Stärkere siegt. Und darum sehen wir keine Schwierigkeiten, daß man eben Krieg macht und seine Interessen dann eben auf so'ne Weise durchsetzt ..."

So setzt sich soziale Alltagserfahrung in politische Weltbilder um.

Politische Bildung wird nicht weiterkommen, wenn sie einer bereits verfestigten rechtsextremen Gesellschaftsauffassung normativen Antifaschismus entgegenstellt. Sie muß vielmehr dort ansetzen, wo rechtsextreme Einstellungen sich herausbilden, wo sie sich verdichten; und sie darf dabei die "Produktionsbedingungen" rechtsextremen oder faschistischen Denkens in den ökonomisch-sozialen Alltagsstrukturen nicht aus dem Blickfeld ausklammern.

Nach meinem Eindruck befindet sich die Bundesrepublik gegenwärtig in einer weitreichenden, oft verdeckten Auseinandersetzung um künftige gesellschaftspolitische Leitbilder. Weder die wirtschaftliche Entwicklung mitsamt ihren sozialen Folgen noch das gesellschaftliche Bewußtsein erlauben eine "Restauration der Restauration", d.h. eine Rückkehr in die "Adenauerära". Die sich mehrenden Krisenerscheinungen wecken "Ideologiebedarf", setzen Bedürfnisse nach gesellschaftlichen Entwürfen frei. Es gibt keine Garantie der Geschichte gegen die Wiederkehr des strukturell Ähnlichen, d.h. es gibt - leider - keinen Grund für die Annahme, daß mit der von außen zugefügten Niederlage des Jahre 1945 ein faschistisches Projekt ein für allemal aus dem Arsenal der deutschen politischen Denkmöglichkeiten verschwunden sei. Es gibt derzeit viele Anzeichen für ein Wieder-Abrücken von liberal-aufklärerischen Leitvorstellungen, für nationalisierende Umdefinitionen sozialer Probleme, für eine Reaktualisierung sozialbiologischer, gegen das Gleichheitsprinzip gerichteter Ideen. Solche Tendenzen treten nicht nur in der Bundesrepublik auf, aber hier können sie auf einen besonders dichten, mitunter verborgenen Traditionszusammenhang rechnen.

Die ideologischen Vorstöße derjenigen, die den historischen Nationalsozialismus weiterpropagieren, sind dabei m.E. nicht das erstrangige Problem; weitaus gewichtiger und gefährlicher ist die breitgelagerte Tendenz, autoritäre, antiliberale, antiaufklärerische, nationalistische, völkische und rassistische Ideen, die in der politischen Gefühlswelt gerade des deutschen Bürgertums längst vor 1933 stärksten Einfluß hatten, in modernisierten Ausformungen wieder zur Geltung zu bringen. Der historische deutsche Faschismus fand hier seine ideologischen Voraussetzungen; heute geht es um die Frage, in welchem Umfange sich dieser "Vorraum" des Faschismus wiederherstellt. In der Auseinandersetzung darum hat politische Bildung ihren Stellenwert, wenn sie es riskiert, auf Konflikt zu setzen.

Konfliktfähigkeit setzt analytische Anstrengung voraus.

Arno Klönne, Jg. 1931, Dr. phil., Hochschullehrer für Soziologie; Adresse: Annette von Droste-Str. 10, 4790 Paderborn

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