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Heft 27: Bildung lebenslänglich

1988 | Inhalt | Editorial | Leseprobe

Titelseite Heft 27
  • Juni 1988
  • 92 Seiten
  • EUR 7,00 / SFr 13,10
  • ISBN 3-88534-045-3

Zu diesem Heft

Berufliche Bildung? Betriebliche Bildung? Das ist weitgehend terra incognita auf den Landkarten linker Bildungspolitik. Zumindest das aber schien klar zu sein: Im Reich der Notwendigkeit regiert das Kapital, hat man sich wenig zu erhoffen in Sachen Selbstverwirklichung, Emanzipation, selbstbestimmten Lernens, die andernorts als essentials gelten.

Nachdem das Proletariat als Klasse und revolutionärer Hoffnungsträger end- und letztgültig verabschiedet scheint, somit "der Betrieb" als Fokus ausgedient hat, die "politische Ökonomie des Ausbildungssektors" im Sande verlaufen ist, hatte das Thema "Berufliche Bildung" schlechte Konjunktur, wurde einigen Unbelehrbaren überlassen. Introspektion, "alternatives", "ökologisches" Lernen, "innere Schulreform", Pädagogik anstelle von Politik dominierten die links-alternative Bildungsdiskussion. Erste Spekulationen über ein "Ende der Arbeitsteilung" indessen haben den Sektor der Aus- und Weiterbildung dem Vergessen entzogen.

Und in der Tat ist das berufliche, und insbesondere das betriebliche Aus- und Weiterbildungswesen derzeit der einzige Bildungsbereich, der expandiert. Dort findet ein "Bildungsboom" statt, der - wenn überhaupt - nur mit dem der späten 60er/frühen 70er Jahre zu vergleichen ist.

Und natürlich sind es wieder einmal die materiellen Bedingungen von Produktion und Arbeitsorganisation, die diesen Prozeß vorantreiben und die arbeitenden Subjekte scheinbar haltlos mitschleifen. Vorangetrieben durch den "lawinenartig" um sich greifenden Einsatz neuer Technologien (NC, CNC, CAD, CAM etc.), EDV und Bürokommunikationsmittel (Textverarbeitung, Datenbanken, desktop-publishing etc.) entsteht in den Unternehmen ein enormer Bedarf an Arbeitskräften, die die entsprechenden Qualifikationen zur Arbeit an und mit diesen neuen Techniken und Kommunikationsmitteln haben. So ist es zunächst für die Unternehmen notwendig, im Rahmen von "Anpassungsqualifizierung" die benötigten Qualifikationen mittels betrieblicher oder überbetrieblicher Weiterbildungsmaßnahmen zu vermitteln. Auf der anderen Seite werden die Ausbildungsordnungen für die berufliche Erstausbildung reformiert, resp. den technologischen Veränderungen angepaßt. Fast unbemerkt von der bildungspolitisch interessierten Öffentlichkeit sind im Rahmen betriebsinterner sog. "Abiturientenprogramme" eine Vielzahl neuer - im Mittelfeld zwischen traditioneller Ausbildung und Fachhochschulabschluß - "Assistenzberufe" (z.B. "Informationstechnische/r Assistentln", "Wirtschaftsassistentin") geschaffen worden, deren Ausbildung zwar staatlich anerkannt ist, aber aufgrund der betriebsspezifischen Zentrierung eine hohe Verwertbarkeit und Betriebsbindung gewährleistet.

Der Politik des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft - dessen Haus- und Hofpostille neuerdings von den allseits bekannten blauen und gelben Farben geziert wird und der es sich nicht nehmen läßt, bis zu fünf Mal pro Ausgabe sein smartes Konterfei dem Leser entgegenprangen zu lassen - nun geht es darum, die Rahmenbedingungen für die ungehinderte Reproduktion des Kapitals auf nationaler und internationaler Ebene sicherzustellen. In einer Art nationalem Schulterschluß wird eine "Konzertierte Aktion Weiterbildung" in Gang gebracht, um "in unsrem Land, das praktisch über keine Rohstoffe verfügt" und sich "im immer schärfer werdenden internationalen Wettbewerb" durchsetzen muß, "den 'großen Konsens' aller gesellschaftlichen Gruppen, mehr Kräfte und Mittel in Bild und Wissenschaft zu investieren" herzustellen, und so die Weiterbildung zur "vierten Säule des Bildungswesens" (Möllemann) zu machen. Die SPD kann da nicht abseits stehen und fordert gleichfalls einen neuen "bildungspolitischen Konsens", zu dem eine Enquetekommission "Zukünftige Bildungspolitik - Bildung 2000" beitragen soll.

Die Kehrseite dieser High - Tech - Weltmarkt - Zukunftsinvestitions - Weiterbildungs - politik ist die sog. "Qualifizierungsoffensive", in deren Kontext berufliche Qualifizierung als Allheilmittel gegen Arbeitsplatzverlust, bzw. zur Erhöhung der Chancen im Kampf um einen Arbeitsplatz anempfohlen wird. Diese Politik hat in erster Linie das Ziel, eine an die Normen abstrakter Lohnarbeit angepaßte Reservearmee zur Verfügung zu halten, die - je nach Verlauf der Konjunktur - als flexibles Potential ein- und ausgegliedert werden kann. Die Maßnahmen im Rahmen der Qualifizierungsoffensive sind so eher eine Erziehung zur Arbeit als wirkliche Qualifizierung, haben daher eher einen arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Charakter zur Verdeckung der Arbeitslosigkeit und zur Legitimation der arbeitsmarktpolitischen Untätigkeit der Bundesregierung. Die Spaltung der Gesellschaft wird auch im Weiterbildungsbereich vorangetrieben: "Konzertierte Aktion Weiterbildung" für die produktiven korporatistischen Kerne, "Qualifizierungsoffensive" für die flexiblen Ränder und Reservearmeen.

Die Ausgemusterten und Randständigen, diejenigen, die überhaupt erst nicht in die Lohnarbeit hineinkommen, werden in Maßnahmekarrieren umgeleitet oder von der traditioneller Erwachsenenbildung in VHS und anderswo in Bewegung gehalten, resp. verwahrt. Der Zynismus einer solchen Politik wird schlaglichtartig deutlich in den Repressions-Obsessionen von Unionpolitikern á la Hellwig und Späth, die "angesichts des Technologieschubs" bei Strafe des Entzugs von Arbeitslosengeld, -hilfe und Sozialhilfe einen Zwang zur Weiterbildung etablieren wollen (vgl. hierzu unsere Dokumentation S. 52).

Auf der anderen Seite ist es erklärte Politik der Bundesregierung, im Bereich der beruflichen und betrieblichen Weiterbildung die Gesetze des Marktes ungehindert zur Entfaltung kommen zu lassen, damit "dem einzelnen" und dem "Bedarf des Beschäftigungssystems" flexibel begegnet werden kann.

Das neokonservative Projekt des Umbaus des Bildungsbereiches - das freilich schon mit dem Kongreß "Mut zur Erziehung" 1978 begann - ist der Versuch, in einer Zangenbewegung von neuen Technologien auf der einen, und dem konservativen Umbau des Sozialstaats mit "Eigeninitiative", "Marktorientierung" und "Selbstverantwortlichkeit" auf der anderen Seite die Bildungslandschaft neu zu schneiden: High-Tech-Orientierung plus Gestaltungsfreiheit der Wirtschaft im Rahmen betrieblicher Weiterbildung für die Kerngruppen, "Qualifizierungsoffensive" als bildungsideologische Verhüllung der real weiter sinkenden Chancen ihres spezifischen Klientels der "schwächer qualifizierten Zielgruppen".

Gleichzeitig wird das Verhältnis von Produktion und Reproduktion umgebaut: Aus- und Weiterbildung wird härter als je zuvor an die Produktion angekoppelt, je spezieller, desto effektiver. Der Staat hält sich da selbstredend raus. Die vollständige Überordnung der Reproduktion des Produktionswissens an die Kapitalseite ist der Kern des konservativen Umbaus.

Damit wird gleichzeitig auch das Verhältnis von allgemeiner und beruflicher Bildung neu definiert: Während die Bedeutung der beruflichen Aus- und Weiterbildung zunimmt, wird die des allgemeinbildenden Schulwesens zurechtgestutzt. "Allgemeinbildung" (nicht "allgemeine Bildung"!) wird reduziert auf ein additives "Orientierungswissen" und "übergreifende Schlüsselqualifikationen". Allgemeinbildung, um damit "Halt in Geschichte und kultureller Tradition zu finden und sich an übergeordneten Werten zu orientieren", um "aus der Flut wachsender Informationen auszuwählen, veraltetetes Wissen immer wieder zu ersetzen und selbständig zu erwerben", um mit "kultureller Bildung" der "Normierung von Sinneswahrnehmungen" durch die neuen Medien und Technologien "entgegenzuwirken", und schließlich um als Staatsbürger "Verantwortung in wesentlichen politischen, ökonomischen und technischen Entscheidungsprozessen zu erkennen und zu übernehmen" (Wilms).

Also: Allgemeinbildung als prospektive Zurichtung der Verhaltensseite des Arbeitsvermögens schon in der Schule, als ideologischer Deckel und kulturelles Kompensat für entfremdete Arbeit an entfremdeten Technologien, als Formierung des aktiven Marktsubjekts und des loyalen Staatsbürgers.

In diesem konservativen Konzept besitzt Bildung keine eigene Potenz, die in irgendeiner Weise auch die Emanzipation des Subjekts noch mitdächte. Als "Allgemeinbildung" ist sie unter die Anforderungen der Kapitalverwertung subsumiert.

Unter dem steigenden Druck der Weltmarktkonkurrenz geht es nun den Unternehmen darum, neue Möglichkeiten und Ressourcen der Rationalisierung zu erschließen. Nachdem die tayloristische Arbeitsorganisation im Rahmen des Einsatzes neuer Technologien unter der Ägide der Leitformel "Flexibilität" zurückgenommen, resp. umgebaut und neu integriert wird, werden die intellektuellen, sozialen und kreativen Seiten des Arbeitsvermögens zu der Quelle der Rationalisierung. O-Ton Niggemann vom "Rationalisierungskuratorium der deutschen Wirtschaft": "Durch intensive Fort- und Weiterbildung muß das Qualifikationsniveau den wachsenden Anforderungen angepaßt werden. Qualifizierung ist eines der wichtigsten Rationalisierungsinstrumente."

Steht im Rahmen einer solchen Qualifizierungspolitik auf der einen Seite die "Anpassungsqualifizierung" - in erster Linie die Vermittlung von Wissen, Kenntnissen und Fertigkeiten im herkömmlichen Sinn - auf der Tagesordnung, so rückt die Verhaltensseite der Qualifikation der Arbeitskraft als Rationalisierungsquelle mehr und mehr in den Mittelpunkt der Qualifizierungsbemühungen der Industrie. Zum ersten Mal geht es nun um die systematische - und nicht nur beiläufige - Formierung der Verhaltensseite. Die Formulierung von "Schlüsselqualifikationen" o.ä. und ihre Einbeziehung in Weiterbildungskonzeptionen und Ausbildungsordnungen stellen hierbei einen wichtigen Punkt und eine qualitativ neue Stufe in der Formierung des Arbeitsvermögens dar, die über die der klassischen Arbeits- und Sekundärtugenden hinausgeht.

In der Folge der Umsetzung dieser Qualifizierungstrategien in die Aus- und Weiterbildungskonzeptionen wird eine Pädagogisierung der betrieblichen Bildung notwendig, insofern als systematisch Methoden und Didaktiken eingesetzt werden (müssen), insbesondere dann, wenn es um gezielte Sozialisationsprozesse in der Formierung des Arbeitsvermögens im Hinblick auf die angestrebten übergreifenden Qualifikationen geht, die nicht mehr allein mit den Mitteln der traditionellen Beistellehre und dem Schema Vormachen-Nachmachen vermittelt werden können, sondern ausgefeilte komplexe Lernarrangements, Projektlernen, Lern- und Kooperationstrainings in der Aus- und Weiterbildung der Unternehmen notwendig machen.

Der Bedeutungszuwachs der Verhaltensseite der Arbeitskraft für die Rationalisierungsstrategien im Rahmen von Schlüsselqualifikationen erfordert eine besondere pädagogische Aufbereitung und Strukturierung von Lernprozessen. Pädagogik als intermediäre Instanz zwischen lernendem/arbeitendem Subjekt und den unternehmerischen Interessen der Profitmaximierung muß hier zwischen den subjektiven Bedürfnissen und Interessen der Arbeitskraft und den quasi-objektiven Interessen des Unternehmens vermitteln. Sie muß an die inneren Bedürfnisse nach Vergegenständlichung, Zusammenarbeit, Vervollkommnung etc. anknüpfen, um daraus in bezug auf die Produktionserfordernisse und unter dem Druck des Arbeitsmarktes Schlüsselqualifikationen wie Kreativität, Kooperationsfähigkeit, Lernbereitschaft etc. zu formieren. Dabei muß Pädagogik im Dienste der Unternehmen zumindest eine partielle Interessenidentität zwischen dem Arbeitsvermögen und Kapital zuwege bringen, damit die notwendigen Lerninhalte und Verhaltensweisen dauerhaft vermittelt werden.

In den betrieblichen Aus- und Weiterbildungskonzeptionen mehren sich die Vorstellungen, die sich auf die "Ganzheitlichkeit" des Lernens beziehen. Diese dient in diesem Zusammenhang "gleichsam als ein Schmiermittel. . . eines zukünftigen Akkumulationszyklus" (Rolf Schwendter), als Mittel, neue humane Ressourcen zu erschließen und der Verwertung in Produktion und Büro zuzuführen. Derlei Konzepte, Vorstellungen, Methoden scheinen auf zynische Art und Weise - d.h. als eine von allem humanen, emanzipatorischen Potential betreite - das einzulösen, was einmal als Forderung linker Politik im Bereich (beruflicher) Bildung essentiell war: Die Verbindung von Kopf und Hand, Polytechnik, Projektarbeit, Soziales Lernen, Allseitigkeil...

Für linke Politik und eine aufgeklärte Berufspraxis in der beruflichen/betrieblichen Aus- und Weiterbildungsarbeit stellt sich die bildungstheoretische Frage nach der Rolle von Pädagogik und betrieblicher "Bildungs"arbeit, besser Qualifizierungsarbeit. Kann Pädagogik letztlich aller emanzipatorischen, auf die Entfaltung der Subjekte zielenden Gehalte beraubt und nur noch rein instrumentell eingesetzt werden - wenn beispielsweise eine der wesentlichen didaktischen Forderungen der pädagogischen Linken in den 70ern, das Projektlernen, heute als eine zweckdienliche Vermittlungsform im Rahmen betrieblicher Ausbildung empfohlen wird? Oder wächst auch unter der instrumentellen Verwendung nicht notwendigerweise auch überschüssiges, den instrumentellen Charakter transzendierendes, "radikales Bewußtsein"? Wie kann dann - beispielsweise - verhindert werden, daß das aufgrund der technischen Entwicklung notwendige kooperative Handeln im Lern- und Arbeitsprozeß in Solidarität umschlägt? Sind hier nicht systematische Strategien der Loyalitätserzeugung, der Firmen- und Markenideologien, sogenannte Strategien der "corporate identity" wiederum so mächtig, das möglicherweise gewonnene Bewußtsein einzubinden und zu paralysieren? Wo sind Gegenstrategien anzusiedeln, welche Rolle spielen die Arbeitnehmervertretungen und Gewerkschaften auf betrieblicher Ebene? Gibt es hier Möglichkeiten, sich dem Sog der Ideologie, "Wissen ist Macht" einerseits und dem betrieblichen Korporatismus zu entziehen? Wie können hier Ansprüche an Formen und Inhalte der betrieblichen Qualifizierungsmaßnahmen formuliert und durchgesetzt werden?

In früheren Heften hat die Redaktion versucht, eine Auseinandersetzung um bildungstheoretische Perspektiven zu führen (insb. in Heft 11: "Schule ist Schule" und Heft 15: "Mut zur Bildung") sowie die Entwicklung im Bereich der beruflichen Aus- und Weiterbildung zur Sprache zu bringen (insb. Heft 10: "Qualifikation" und Heft 22: "Angestellte").

An diese Thematik anknüpfend verlängert sich die Frage nach Rolle und Funktion beruflicher Aus- und Weiterbildung in die nach deren qualitativer Verortung. Kann hier überhaupt noch noch "Bildung" die Rede sein? Geht es nicht ausschließlich um "Qualifizierung, Training" und "Sozialisation"? Andererseits: Wie wird das Verhältnis von Reproduktion und Produktion umgeschichtet? Welche Konsequenzen hat die direkte Subsumierung von Qualifizierungs- und Bildungsprozessen unter die Imperative der Kapitalverwertung für die Subjekte und den Stellenwert vergesellschafteter Reproduktionsleistungen (die Berufsschule z.B.)?

Eine analytische Annäherung an die Widersprüchlichkeit der notwendigen Pädagogisierung beruflicher Aus- und Weiterbildung wie auch die der "Verwahrung durch Bildung" in den Maßnahmen der Qualifizierungsoffensive im Hinblick auf eine Perspektive der allseitigen Entwicklung des lebendigen Arbeitsvermögens ist der Ausgangspunkt dieses Heftes. Dabei geht es uns darum, die Dialektik von Bildungsprozessen im "Reich der Notwendigkeit" nicht vorschnell theoretisch stillzustellen, sondern offenzuhalten.

Die "Widersprüche gegenwärtiger Weiterbildung" versuchen Johannes Strohmeier und Gisela Wölbert zu klären. Nach einer Analyse des Verhältnisses von Weiterbildungsideologie und -realität demonstrieren sie unter bildungstheoretischem Blickwinkel, welche Entwicklung die von linken Pädagogen und Erziehungswissenschaftlern propagierte Synthese von beruflicher und allgemeiner Bildung genommen hat. Sie zeigen, wie hinter den sozialpsychologischen Leitbildern der Selbständigkeit, Flexibilität etc. "vermittelte Gewaltverhältnisse" zum Vorschein kommen, die die Teilnehmer von Bildungsmaßnahmen in "unheilvolle Koalitionen" mit diesen Maßnahmen zwingt.

Die Weiterbildungsoffensive ist für Karlheinz A. Geißler der Anlaß, die Spaltung des Weiterbildungssektors näher zu untersuchen. Er zeigt, wie sich das Verhältnis von öffentlichen und betrieblichen Weiterbildungsaktivitäten zugunsten letzterer verändert und wie durch die bildungspolitische Enthaltsamkeit der Bundesregierung im Zusammenhang mit der Einführung der Marktwirtschaft bei Bildungsabschlüssen eine systematische Entwertung der Bildungsabschlüsse mit der Konsequenz der Verbilligung der Arbeitskraft und eines "lebenslänglichen Titelkampfes" der betroffenen Subjekte erzeugt wird.

Die Entwicklung der beruflichen Erstausbildung anläßlich der weitgehend richtungsweisenden Neuordnung der industriellen Metall- und Elektroberufe wird von Gerd-E. Famulla und Udo Witthaus dargestellt und analysiert. Sie machen deutlich, wie im Kontext des Neuordnungsverfahrens im Spannungsfeld von technologischer Entwicklung und Handlungsautonomie der Subjekte eine - letztlich der korporatistischen Zusammenarbeit von Arbeitgebern und Gewerkschaften geschuldeten - auf die ökonomischtechnologische Dimension reduzierte Sicht von beruflicher Praxis sich durchsetzen konnte, die den Anspruch an Selbstverwirklichung auch in der Berufsarbeit systematisch ausblendet. In den zwar nicht obligatorisch vorgeschriebenen, dennoch aber notwendigen Veränderungen in den Vermittlungsmethoden sehen sie Ansatzpunkte für selbständige Lernprozesse, was abschließend über die Diskussion berufspädagogischer Positionen zur Formulierung der Dimensionen einer "kritischen Berufspraxis" führt.

Offenbach, im Juni 1988

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