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Heft 49: Steuerzeichen - Über EDV-Mythen

1993 | Inhalt | Editorial | Leseprobe

Titelseite Heft 49
  • Dezember 1993
  • 100 Seiten
  • EUR 7,00 / SFr 13,10
  • ISBN 3-88534-095-X

Zu diesem Heft

Ein Heftschwerpunkt zu Fragen der gesellschaftlichen Folgen der Informations- und Kommunikationstechnologien, ihrer Einflüsse auf Bereiche der Sozialen Arbeit und die Aneignungsweisen der damit konfrontierten Subjekte wäre in den WIDERSPRÜCHEN noch vor einigen Jahren entweder nicht denkbar gewesen - oder aber mit dem Gestus des Grundsätzlichen als "Kritik der informalisierten Gesellschaft" behandelt worden. Wahrscheinlich hätten die Artikel zwei Argumentationsstränge verfolgt:

Der erste Strang hätte Rationalisierungspotentiale dieser neuen Techniken (also die "Freisetzung" in den "kollektiven Freizeitpark Deutschland") thematisiert, auf die mangelnde Beherrschbarkeit großtechnologischer Entwicklungslinien verwiesen und die Möglichkeiten wie Realitäten zentralistischer Herrschafts- und Kontrollmaschinerien, die die Gesellschaftsmitglieder einer undemokratischen staatlichen und supranationalen Herrschaftssicherung unterwerfen (Stichworte: Atomstaat, maschinenlesbarer Personalausweis, Rasterfahndung, Volkszählung, Schengener Abkommen), kritisiert.

Der zweite Argumentationsstrang, die Individuen betreffend, hätte die These der Zurichtung und Unterwerfung des kreativen und assoziativen menschlichen Denkens unter die "binäre" Logik" des Computers, die Metamorphose der Menschen zu Maschinen-Menschen, verfolgt.

Selbstredend bleiben diese Kritiklinien bestehen und sind angesichts des inzwischen herrschenden Pragmatismus im Umgang mit den Formen und Folgen dieser neuen Technologien weiter zu verfolgen. Die alltägliche Präsenz dieser Technik, die sich nicht zuletzt darin zeigt, daß eine Vielzahl von Kritikerinnen und Kritikern ihre Kritik zwischenzeitlich selbst am PC niederschreibt, verleitet schnell dazu, sich nur noch dokumentarisch ihren zwischenzeitlich ausdifferenzierten Verwendungsmöglichkeiten zuzuwenden. Der Mythos der Omnipräsenz und Omnipotenz dieser Technik wäre dann schlicht ersetzt durch den Mythos des Faktischen.

Gerade dies wollen wir mit diesem Heft vermeiden und dennoch an den beiden skizzierten Argumentationssträngen anknüpfen. Dies geschieht jedoch auf einem veränderten Kenntnisstand, verbleibt nicht mehr so sehr im Spekulativen, wie Vieles der einschlägigen Diskussion aus dem letzten Jahrzehnt; zwischenzeitlich liegen erfahrungsgesättigte Reflexionen und auch sehr detaillierte Forschungsergebnisse zum Thema vor, mit denen sich auseinanderzusetzen allemal lohnt. Dies mag zwar bescheiden sein gerade auch angesichts des Mangels an neueren theoretischen Deutungen, die die vielfältig aufgefächerten Einzelergebnisse zusammenzufassen vermögen - ist aber ein unabdingbar notwendiger Schritt.

Fragestellungen nach der Herrschaftsförmigkeit von Computernutzungen in Arbeitsfeldern der Sozialen Arbeit konkretisierten sich polarisierend noch bis gegen Ende des letzten Jahrzehnts an zwei sehr divergenten Softwarekonzeptionen, die beide den Komplex der Sozialhilfe(sach)bearbeitung anzielten: PRO-SOZ und SOLDI (in ihren Kürzeln für nicht wenige die schöne neue Welt der durchtechnisierten Sozialarbeit indizierend).

Ersteres, die "Programmierte Sozialhilfe", hatte eine modernisierte Form der technischen Stützung bzw. Automatisierung der Sozialhilfesachbearbeitung zum Ziel und war in der Bremer Spielart zugleich ein Projekt zur "Humanisierung der Arbeitswelt", in dem Verbesserungen der Arbeitsbedingungen des Personals eine wesentliche Rolle spielen sollten. Heinz-Dieter Kantel geht in seinem Beitrag am Beispiel der Geschichte und der Problemstellungen der computerisierten Sozialhilfegewährung dem Mythos der Technisierung der kommunalen Sozialarbeit nach: trotz massiver finanzieller Investitionen haben sich die Hoffnungen der Verwaltungsbürokratien auf ein einfaches, effizientes, dabei bürgernahes und dennoch leicht zu kontrollierendes Verfahren nicht realisiert. Aus der Binnenperspektive dieses Prozesses thematisieren Birgit Berger und Fred Hoppe-Kiaup die vielfältigen Anstrengungen von Beschäftigtengruppen und ihren Vertretungsorganen, im Verlauf der Technisierung fachliche und arbeitsplatzspezifische Handlungsmöglichkeiten und Entscheidungsspielräume nicht nur zu verteidigen, sondern auch zu erweitern und dauerhaft zu sichern.

Ganz anders gelagert waren von Beginn an die Interessen, die mit der Entwicklung des zweiten Programms verbunden waren: als "Soziale Leistungen im Dialog" sollte es einerseits Ratsuchenden schneller Informationen über ihre Hilfeansprüche vermitteln, andererseits solchen Professionellengruppen, die nicht auf Sozialhilferecht spezialisiert sind, Beratungsunterstützung liefern. Was aus dem "Mythos SOLDI" als adressatenorientiertem (und durchaus bürokratiekritischem) Programm zwischenzeitlich wurde, dokumentiert Berndt Kirchlechner - einer der Urheber dieses Programms - in seinem Beitrag.

Die weiteren Beiträge schließen wesentlich enger als die vorhergehenden an den zweiten Diskussionsstrang an, also an Fragen nach den Auswirkungen der Konfrontation mit und der Nutzung von Computern auf die involvierten Subjekte. Sofern nicht dem Lager der stets den technischen Fortschritt euphorisch Bejubelnden zugehörig, waren Argumentationen zu diesen Fragestellungen lange Zeit stark moralisierend und kulturkritisch eingefärbt. Viele der inzwischen vorliegenden Untersuchungen belegen aber auch hier, wie vielfältig und differenziert sich subjektive Aneignungs- und Verarbeitungsformen der Computertechnik entwickelt haben?

Aus der Sicht des (hegemonialen) bildungsbürgerlichen Kulturverständnisses waren es gerade Jugendliche und junge Erwachsene, die, wenig skrupulös sich die neuen technischen Möglichkeiten aneignend, rasch als "kommunikationslose, stumme Idioten" identifiziert und als Träger der kulturellen Nivellierung, wenn nicht gar Auflösung kritisiert wurden. Diesem Mythos gehen Waldemar Vogelgesang und Thomas A. Wetzstein nach und belegen an der Ausdifferenzierung kommunikativ orientierter Computer(teil)kulturen gegenläufige Tendenzen.

Welch zentralen Einfluß auf die Aneignungsweisen und -erfahrungen die subjektiven wie die strukturell gegebenen Interessendispositionen haben, die zur Auseinandersetzung mit Computern führen, thematisieren die weiteren Beiträge. Brigitte Scherer analysiert Prozesse der Selbstwert-Thematisierung bei Sachbearbeiterinnen in kommunalen Verwaltungen, die durch die Einführung von PC als neuen Arbeitsgeräten induziert wurden, in den Dimensionen von "Verunsicherung", "Ausschluß" und "Abwertung". Im Gegensatz dazu stehen positive und persönlich befriedigende Erfahrungen in der Computeraneignung bei männlichen Beschäftigten in der Sozialen Arbeit, die aus fachlichen und persönlichen Interessen heraus EDV an ihren Arbeitsplätzen einführten. Die darin kenntlich werdenden "Subjektivierungsgewinne" analysiert und bewertet Eberhard Bolay im abschließenden Beitrag des Themenschwerpunktes.

Aus arbeitstechnischen Gründen konnte in diesem Heft ein Artikel von Johannes Schnepel-Boomgaarden zur "biographischen Entwicklung" einer ehemaligen Anti-Kabel-Gruppe, deren Mitglieder in der Mehrzahl zwischenzeitlich beruflich aktiv weitere Technisierungen vorantreiben, nicht erscheinen. - Dieser Beitrag wird in einem der folgenden Hefte nachgereicht.

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