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Heft 49: Steuerzeichen - Über EDV-Mythen

1993 | Inhalt | Editorial | Leseprobe

Titelseite Heft 49
  • Dezember 1993
  • 100 Seiten
  • EUR 7,00 / SFr 13,10
  • ISBN 3-88534-095-X

Eberhard Bolay

Herr der Lage, Knecht der Dinge
Subjektivierungsgewinne durch EDV-Innovationen bei Beschäftigten in der Sozialen Arbeit

Der gängigen Vorstellung nach werden Neuerungen in Organisationen - seien sie konzeptioneller, oder wie in diesem Fall technischer Natur - 'von oben', d.h. durch die Fach- oder Verwaltungsspitzen entwickelt und durchgesetzt. In der Sozialen Arbeit läßt sich jedoch neben dieser 'vertikalen' eine 'horizontale' Innovationsweise entlang der Kollegialebene feststellen (Kuhn/Bolay 1992; Bolay/Kuhn 1993). Um dieses 'U-Boot-Verfahren' (Weltz/Ortmann 1992: 26ff) näher analysieren zu können, wurde nach dem Schneeballverfahren u.a. eine Auswahl von Personen in unterschiedlichen Institutionen befragt, die sich zumeist auf privater Basis mit den Möglichkeiten eines Personalcomputers vertraut gemacht hatten und ihre so gewonnenen Kenntnisse auch an ihren Arbeitsplätzen nutzen wollten. Trotz breit gestreuter Kontakte fanden sich im Sample keine Kolleginnen, die in diesem Sinne aktiv gewesen wären (weshalb ich bei der männlichen Sprachform bleiben werde). Ein systematischer geschlechtsspezifischer Vergleich der Untersuchungsergebnisse war deshalb nicht möglich; einige begründete Aussagen in dieser Richtung lassen sich dennoch anstellen.

Was bringt nun Sozialarbeiter und Sozialpädagogen aus verschiedenen Berufsfeldern dazu, in einem nicht-hierarchischen Verfahren an ihren Arbeitsplätzen EDV einzuführen und dafür Ideen, Geld und 'Privat'-Zeit einzusetzen, ohne materielle oder immaterielle Gratifikationen zu erwarten, sich also nicht als 'Normalarbeitnehmer' zu verhalten?

Ziel meines Beitrags ist es, dieses Verhalten anhand ausgewählter Ergebnisse verständlicher zu machen und eine plausible theoretische Fundierung dafür zu bieten, die es erlaubt, solche Vorgehensweisen nicht primär gegenstandsgebunden, also an die EDV fixiert, sondern als Teil und Ausdruck einer allgemeineren Veränderung im Verhältnis der Subjekte zur Arbeit zu begreifen. Meines Erachtens läßt sich zeigen, daß die Einführung eines technischen Arbeitsmittels in einen Sektor, dessen Charakter (oft fälschlicherweise) mit 'Beziehung' und 'Kommunikation' asoziiert wird, nicht zureichend unter der Perspektive gedeutet werden kann, daß dieser Personenkreis aktiv und willentlich einen weiteren Schritt in der Zweckrationalisierung seiner Arbeitskontexte vorantreibe. Solche Vorgehensweisen primär unter Entfremdungsgesichtspunkten zu diskutieren, halte ich für verfehlt; sie sind vielmehr angemessener zu verstehen im Lichte einer seit geraumer Zeit diskutierten Entwicklung im Verhältnis der Subjekte zu ihrer Arbeit, die Baethge (1991) mit dem treffenden, aber häßlichen Begriff der "zunehmenden normativen Subjektivierung der Arbeit" belegt hat.

Der linke - auch sozialarbeiterische (vgl. Zahn 1986) - Diskurs der 70er und 80er Jahre zum Komplex 'Technik' läßt sich mittels zwei Topoi kennzeichnen: Technik als Entfremdung und Technik als Herrschaft. Technik im Sinne eines Trägers von Entfremdungsprozessen war gewonnen am tayloristischen Bild des Fließbandes, das die Einzelnen qua technischer Struktur zu einer Gesamtmaschinerie vereinigt, entsubjektiviert, partialisiert. Technik als Herrschaft war gewonnen am Bild der Rationalisierungsschübe, durch die sukzessiv Personen 'freigesetzt', real also überflüssig gemacht wurden, sowie am staatlichen Handeln, das die Informations- und Kommunikationstechnologie zu einem engmaschigen Netz an Überwachung verwob; hier mögen die Stichworte Volkszählung, maschinenlesbarer Personalausweis und Schengener Abkommen genügen.

Selbstverständlich geht es nicht darum, diese Prozesse schönzureden, zu negieren. Allerdings blendet diese Sichtweise andere als tayloristisch-herrschaftliche Arbeitsverhältnisse aus, kann Dynamiken des Sich-wohlfühlens in und der Identifikation mit der Arbeit - ein seit alters wesentliches subjektives Kriterium gerade auch der Intelligenz - nicht zureichend erfassen, es sei denn unter der Perspektive, all das sei nichts anderes denn selbst wiederum Ausdruck eines objektiven Entfremdungszusammenhangs, dem die Subjekte blind unterlägen. Diese Denkweise, sei sie nun dogmatisch-marxistisch oder systemtheoretisch untermauert, ist blind für gegenläufige und eigensinnige Handlungsweisen der (nicht nur Arbeits-)Subjekte. Gegen diese undialektische Verengung des Blick auf kollektives und individuelles Handeln war u.a. Negts und Kluges 'Geschichte und Eigensinn' (1985) gerichtet, die es durch ihr faszinierendes Deutungsangebot auch der Linken erlaubte, Fragen von Arbeit und Bewußtsein nicht ausschließlich unter den Kategorien von Fremdbestimmung, Objektivierung und Subsumtion zu denken, sondern zumindest auch als 'Bildungsprozeß'. Daß sich mit ähnlichen einschneidenden Veränderungen in der theoretischen Sicht auf Arbeit, Bewußtsein und Subjektivität auch die akademische Soziologie herumschlägt (vgl. Thomssen 1990), zeigt nur einmal mehr die Eingebundenheit des linken in den herrschenden Diskurs.

1. Normative Subjektivierung des Arbeitshandelns oder: Sinnsuche in der Arbeit

Ich werde zunächst Baethges Theorem in seinen empirischen und theoretischen Implikationen zusammenfassen und dann ausführlicher in die Materialdarstellung und -interpretation eintreten. Darin sind Überlegungen enthalten, die diesen Prozeß der normativen Subjektivierung einorden in die Entwicklung qualitativ hochwertiger Arbeit generell, auch um nachzuweisen, daß solcherart 'postmodernes' Verhalten zur Arbeit durchaus auch funktionalen Anforderungen entspricht, aber eben nicht funktionalistisch verkürzt werden kann.

In der überarbeiteten Fassung seines Vertrags auf dem 25. Deutschen Soziologentag 1990, auf die ich mich im folgenden stütze (Baethge 1991), stellt Baethge eine Hypothese zur Diskussion, wonach es in den "hochentwickelten Arbeitsgesellschaften des Westens (...) im Zuge fortschreitender gesellschaftlicher Modernisierung zu einer zunehmenden normativen Subjektivierung des unmittelbaren Arbeitsprozesses" komme. "Diese hebt zwar die fortbestehende Fremdbestimmung der Arbeit nicht auf, bewirkt aber in zentralen Bereichen eine Aufweichung ihrer etablierten Ausdrucksformen und Regulationsmuster im Betrieb und stellt den traditionellen (...) Modus von Identitätsbildung und Vergesellschaftung in und durch Arbeit in Frage" (ebd.: 6). Es handle sich um das "Geltendmachen persönlicher Ansprüche, Vorstellungen und Forderungen in der Arbeit", die keineswegs in einer Managementstrategie aufgehe, die aus funktionalen Erfordernissen des Arbeitsprozesses heraus gezielt die Interessen einzelner Beschäftigten oder Beschäftigtengruppen aufgreift und kanalisiert. Vielmehr sei es eine generellere Entwicklung im Bewußtsein der Beschäftigten, die sich "nicht als lineare Reduktion auf den puren Instrumentalismus hin" interpretieren lasse, "sondern gerade in der neueren Zeit eine Verstärkung der berufsinhaltlichen, kommunikativen und expressiven Ansprüche erfahre" (ebd.: 7; dort auch Anmerkung 1).

In der empirischen Fundierung dieser Hypothese rekurriert Baethge (ebd.: 70 zunächst auf verschiedene industriesoziologische Untersuchungen zum Typus des modernen Facharbeiters, der Spaß, Selbstverantwortlichkeit, Kompetenzerweiterung und Expertenstatus ("einen Namen haben") in der Arbeit betont; dann auf eine breitangelegte Jugendstudie (Baethge u.a. 1988), derzufolge bei drei Vierteln der befragten männlichen und weiblichen Arbeitern und Angestellten in unterschiedlichen Berufen bis hin zu den An- und Ungelernten deutlich subjektbezogene Ansprüche an Arbeit nachzuweisen sind. Markant sei schließlich vor allem bei jüngeren Erwachsenen der Rückbezug auf persönliche Entfaltungs- und Selbstverwirklichungsinteressen in und an der Arbeit.

Das Neue an diesem Typus des "self-developer" (Maccoby), der jenseits außengesteuerter Pflichtmoral und unverbindlichem Hedonismus gegenüber der Arbeit "derartige subjektbezogene Ansprüche an Arbeit artikuliert", sei "die Breite ihrer Streuung, die Offenheit und Selbstverständlichkeit ihrer Artikulation und die Verbindlichkeit und Hartnäckigkeit, mit der sie individuell sowohl als Lebensperspektive als auch gegenüber der betrieblichen Arbeitsumwelt verfolgt" werde (Baethge 1991: 10).

Etwas knapper will ich die weiteren Argumentationschritte skizzieren. Die Ursachen dieses historisch weiter denn je verbreiteten subjektzentrierten Arbeitsverständnisses liegen dem Autor zufolge in drei bewußtseinskonstitutiven Bereichen innerhalb wie außerhalb der Arbeit: dem Strukturwandel der Beschäftigung in den modernen Produktions- und Dienstleistungsarbeiten, die zunehmend von einem hohen Wissens- und Qualifikationsstand abhängig werden, also eine langfristige vorberufliche Sozialisation erfordern; ferner im Wandel von Rationalisierungs- und Organisationskonzepten, die durch eine Zurücknahme tayloristisch-rigider Muster der Arbeitsteilung geprägt sind; schließlich in der zunehmenden Erwerbsbeteiligung von Frauen, die mit einem hohen formalen Bildungsniveau ausgestattet und aufgrund spezifischer Ansprüche an Selbstbestätigung und Unabhängigkeitserfahrungen neue regulative Standards im Verhältnis von Erwerbsarbeit und Nichterwerbsarbeit einfordern (ebd.: 13f). (2)

Theoretisch und empirisch relevant werde diese Entwicklung in zweierlei Hinsicht: die Frage nach der Vergesellschaftung durch Arbeit stelle sich neu als prekäres Verhältnis individueller, auf die subjektiv aufgeladenen Arbeitsvollzüge basierender Identitätsbildung bei problematischer werdender politischsolidarischer Integration der Einzelinteressen (ebd.: 14f) und schließlich in den Fragen nach Entfremdung, Ideologie und Heteronomie, System und Lebenswelt, die neu zu stellen und zu bearbeiten seien (ebd.: 17f).

Auch wenn Tendenzen zu einer generelleren normativen Subjektivierung der Arbeit historisch bei hochqualifizierten Beschäftigtengruppen möglicherweise schon immer latenter Bestandteil der Berufs- und Arbeitsorientierungen waren, also auch mit einer gewissen Evidenz im sozialarbeiterischen Bereich, so lassen sich doch mittels dieses Theorems die nachfolgend skizzierten Ergebnisse aus unserer Untersuchung besser einordnen. Sie verlieren den Anschein, isoliert einzelne Akte einiger Technikbesessener zu sein, werden vielmehr kenntlich als besondere Spielart eines allgemeineren Trends.

2. 'Ich will das jetzt und es macht mir Spaß!'

Die Einführung von EDV bzw. der PC-Einsatz durch einzelne Mitarbeiter ohne Vorgaben der hierachisch übergeordneten Ebene scheint kein singuläres Ereignis zu sein (vgl. Lenk 1987; Nack 1988; Allerbeck/Hoag 1989, 38f; Müker/Scheitz 1991). Solche Innovationen "sind auf den ersten Blick planloser, weniger übersichtlich, eher kurzfristig ausgerichtet und stehen nicht im Kontext eines linearen Gesamtkonzeptes. Die Wirkungen (...) sind jedoch durchaus enorm, ganz zu schweigen vom Einflußzuwachs und der Steigerung der Arbeitszufriedenheit auf Seiten der handelnden Professionellen" (Hinte 1991: 4). Offenbar besitzt diese Innovationsform einen beachtlichen Stellenwert, auch wenn sie in der gängigen Fachliteratur noch wenig Resonanz gefunden hat und bislang nur in geringem Maße theoretisch durchdrungen wurde. (3)

In der innovationstheoretischen Betrachtung fokussierten wir weder primär die externen (vgl. Mayntz 1985) noch die internen (vgl. Brinckmann 1989) Bedingungen, sondern die handelnden Subjekte, die "Akteure", um funktionalistischen Verkürzungen zu entgehen (vgl. R. Schmidt 1990; Müller/Schienstock 1978). Das zentrale Ergebnis der ersten Materialsichtung bestand darin, daß die Ursachen für die innovativen Handlungen nicht im Arbeitsbereich allein verortet werden können, sondern daß vielfältige Lebensbereiche betroffen sind, die sich gegenseitig beeinflussen. Insbesondere kommt dem privaten Umfeld der Akteure eine entscheidende Bedeutung zu. Um diese Interessensdispositionen zu verknüpfen mit den strukturellen Bedingungen, unter denen sie agierten, d.h. mit ihren organisationalen Umwelten, bedienten wir uns des Konzepts der "innerbetrieblichen Handlungskonstellation", das Weltz und Lullies (1984) entwickelt haben. In ihm werden neben den formalen Kompetenzzuweisungen und den realen Einflußmöglichkeiten der Positionsinhaber vor allem ihre Interessen als Personen fokussiert.

2.1 Innovativ handeln als individueller Standard

Die Mehrzahl der Befragten (mittleren Alters und ohne einschlägige EDV-Vorkenntnisse) war bereits mehrere Jahre bei ihrem Anstellungsträger und dort am selben Arbeitsplatz tätig. Der überwiegende Teil kannte sein Tätigkeitsfeld, die dort gestellten Anforderungen und Aufgaben, sowie das Umfeld, d.h. die Kolleginnen und Kollegen, den Anstellungsträger und die Kooperationsbeziehungen genau. Die EDV-Implementation erfolgte in ein vertrautes Milieu durch einen dort bereits bekannten und anerkannten Mitarbeiter (vgl. Kühn/ Bolay 1992).

Die Auseinandersetzung mit EDV stellte für sie nur einen Ausschnitt ihres beruflichen Interesses dar; sie verwiesen auf ihr generelles Interesse an konzeptionellen Weiterentwicklungen und Fragestellungen, das durch entsprechende Beispiele belegt wurde. Mehrere nannten fachspezifische, konzeptionelle Neuerungen, an denen sie maßgeblich beteiligt waren oder machten auf Planungen von neuen Aktivitäten aufmerksam, die über den konkreten Arbeitsauftrag hinausgingen. Allgemein gesprochen ließ sich ein Handlungsverständnis feststellen, in dem Wert auf hohe Professionalität, d.h. auf ein breites und fundiertes fachliches Wissen, auf Flexibilität und Vielseitigkeit gelegt wird. Es ist u.a. daran orientiert, neue fachliche Impulse aufzunehmen und in die Arbeit zu integrieren. In diesem Sinne ist auch die Auseinandersetzung mit EDV zu verstehen, deren Adaption lediglich einen Ausschnitt im Kontext des fachbezogenen Selbstverständnisses darstellte.

2.2 Interesse an Autonomie und Selbststeuerung

Den Einsatz von EDV wünschten sie sich einerseits aus vergleichsweise 'traditionellen' Gründen der Arbeitsentlastung, der Anpassung an neue gesellschaftliche Standards und aus Gründen ihres Qualifikationserhalts. Auffälligerweise waren solche Interessensdispositionen an eine Überlegung gekoppelt, die als das zentrale arbeitsplatzbezogene Charakteristikum bei allen Befragten herausgearbeitet werden konnte: Da sie angesichts des allgemeinen gesellschaftlichen Modernisierungsschubs mittels IuK-Techniken von einer Zwangsläufigkeit der EDV-Einsatzes auch in der Sozialen Arbeit ausgingen - daher das 'Hinterherhinken' der eigenen Zunft als Modernisierungsrückstand interpretierten, das über kurz oder lang zu entsprechenden Vorgaben der hierachisch höher gestellten Ebene führen würde - wollten sie als Personen, denen zentral an der Autonomie und Eigensteuerung ihrer Arbeitsverfahren liegt, diesen Zugriff unterlaufen. Und zwar indem sie als klassische Gestaltungsoptimisten, die sich die notwendigen Kenntnisse selbst aneigneten, vorpreschten, um so Strukturen zu etablieren, die ihnen auch bei einer generellen Nutzung von EDV Handlungsspielräume und fachliche Definitionsmacht belassen sollten. Im Hinblick auf die Arbeitsplatzautonomie ließen sich zwei 'strategische' Gesichtspunkte unterscheiden: die fachpolitische und die individuelle, arbeitsplatzspezifische Ebene. Die Eigeninitiative sollte einer eventuellen Fremdeinführung durch übergeordnete Stellen vorbeugen und die selbstformulierten fachlichen Aspekte der Nutzung gegen Interessen der Hierarchien absichern: "Denn ich fürcht den Tag, an dem wir von oben runter ein Programm aufgesetzt bekommen. Denn die ganzen Programme, die bis jetzt (...) eingeführt sind, da hast du dich dem System anzupassen."

Nicht überrumpelt zu werden, war ein wichtiges Motiv, sich für den selbstbestimmten Einsatz von EDV an der Dienststelle starkzumachen. Selbstredend ist damit zugleich ein 'innerbetrieblicher Territorialgewinn' (Schindler 1991: 9) für die Mitarbeiter verbunden, die nun über neue technische Möglichkeit verfügen können, einen qualifikatorischen und wissensmäßigen Vorsprung gegenüber Kolleginnen und Leitungsebene realisieren konnten und Entscheidungslinien für eine zukünftige Einsatzweise für die Institutionen setzten.

Die Ebene der konkreten, arbeitsplatzspezifischen Nutzung weist auf die Autonomie der internen Arbeitsgestaltung hin. Bisherige individuelle Arbeitsstile und Besonderheiten sollten auch bei der EDV-Einführung gewahrt werden. Die Befragten sahen dies nur dann gewährleistet, wenn sie sich selbst um die Einsatzform und -gestaltung der EDV kümmern und deren kreativen Gehalt nutzen konnten: "Das fängt bei der Arbeitsweise an und das ist das schlimmste was man mit EDV machen kann, daß meine individuelle Arbeitsweise in keiner Weise mehr Berücksichtigung findet und ich vor allem nicht mehr bestimmen kann, welche Inhalte wer, wann, wie verarbeitet. Wenn ich das selber hier gestalte, kann ich dem was entgegenhalten."

All dies deutet auf ein handlungsleitendes kognitives Konzept hin, in dem die Ablehnung standardisierter und routinisierter Arbeitstrukturen, der Wunsch nach Dispositions- und Interpretationsspielräumen, kurz: weitgehende Autonomiewünsche eingelagert sind. Dies korrespondiert durchaus mit dem Typus des 'neuen' Mitarbeiters, der vielseitig qualifiziert und hochmotiviert in breiten Handlungsspielräumen selbstverantwortlich arbeitet (v.Bandemer u.a. 1991: 401). (4)

2.3 Modernitätsteilhabe und 'männliche' Distinktion

Um den Anschluß an eine Technologie zu erreichen, die sowohl im Berufsleben als auch im Privatbereich als zukünftig relevant eingeschätzt wird, nahmen sie nun erhebliche Anstrengungen auf sich. Solche Aktivitäten sind gerade bei dieser mittleren Altersgruppe in relativ hoch qualifizierten Berufen eine generellere Erscheinung (Möller 1990: 159).

'Nicht abgehängt' zu werden, 'vornedran zu sein, d.h. Entwicklungen im gesellschaftlichen wie auch im beruflichen Bereich im Blick zu haben, war ein wichtiger motivationaler Motor für die Auseinandersetzung mit aktuellen Themen. Zugleich vermittelt die Beschäftigung mit EDV die Partizipation an einer gesellschaftlichen Entwicklung, die auch vom Prestige her hoch besetzt ist. Der "soziale Distinktionswert" (Böhm/Wehner 1988: 43) dieser Technologie als Vorsprung und exklusives Wissen, als Teilhabe an 'Modernität' sollte nicht unterschätzt werden.

Technik als Prestigeobjekt und als Aufstiegsmedium anzusehen, ist vor allem in männlichen Lebenswelten ein dominantes Deutungsmuster. Zwar wird in einer Untersuchung zu Technikbildern (Huber 1989) allgemein eine starke Abwehrhaltung und pessimistische Einschätzung gegenüber Technik in den Sozialberufen festgestellt; differenziert man aber nach Geschlecht, so relativiert sich dieses Ergebnis. Ein großer Anteil derjenigen Männer, die soziale Berufe ausüben, neigen ebenfalls - wie ihre Geschlechtsgenossen, die naturwissenschaftliche und technikbestimmte Berufe ergriffen haben - zu einem eutopen Technikbild. Frauen favorisieren dagegen überwiegend ein dystopes Technikbild (ebd.: 123). Im eutopen Bild wird eine insgesamt positive Wirkung der Technik in den Vordergrund gestellt, "Technik als Produktivkraft, als Leistungsvermögen (...). Technik potenziert menschliche Macht, erweitert das menschliche Potential (...)" (ebd.: 67). Während bei dieser Vorstellung Technik Handlungsmöglichkeiten in einem positiven und offensiven Sinne verstärkt, erweitert, vergrößert, beschleunigt, rational und rationell entfaltet, wird im dystopen Bild der Gegenpol formuliert: die Bedrohungspotentiale, die Destruktionskräfte und die Unsozialität der Technik (ebd.: 67ff).

Gesellschaftliche bzw. sozialisatorisch vermittelte geschlechtsspezifische Verhaltens- und Wahrnehmungsmuster, die sich am eutopen Bild orientieren, prägen auch die Haltungen und Einschätzungen der Innovatoren. Das heißt keineswegs, daß der Umgang mit Computern per se männliche Attribuierungen enthielte, sondern daß sein universelles Nutzungspotential differenzierte Aneignungs- und Identifikationschancen eröffnet, das auch zu einer "Inszenierung von Männlichkeit" (Eckert u.a. 1991: 53) und zur Stabilisierung männlicher Identitätsentwürfe (Noller u.a. 1988) genutzt werden kann.

Als Zwischenergebnis läßt sich festhalten, daß das Innovationsansinnen und dessen Umsetzung im Sinne des Theorems der "normativen Subjektivierung der Arbeit" interpretiert werden kann. Unter der Maßgabe persönlichfachlicher Interessensdispositionen wird der institutionell gegebene Verfügungsspielraum so ausgenützt und erweitert, daß die Autonomie- und Gestaltungsmöglichkeiten in der Arbeit zukunftsgerichtet gesichert werden. Dem Charakter nach ist dieses Vorgehen völlig verschieden von einer anderen, bekannteren Form der 'Selbstrationalisierung', dem betrieblichen Vorschlagswesen. Dabei übereignen die Ideengeberlnnen ihre Idee spezialisierten Stäben, die sie je nach Maßgabe des gesamtbetrieblichen Interesses integrieren oder verwerfen; ihre eigene Idee tritt ihnen dann Struktur- oder dinggeworden entgegen, außerhalb ihrer Verfügung stehend.

2.4 Kommunikation und Geselligkeit

Während bislang primär die arbeitsplatzbezogenen Argumente entfaltet wurden, stehen nun solche im Vordergrund, die klassischerweise dem 'Raum des Privaten' zugeordnet werden. Computertechnik wurde von den Akteuren nicht nur im beruflich-qualifikatorischen Bereich angesiedelt, sondern als wesentliche Komponente auch in Alltag und Freizeit. Neben die individuelle Interessensdisposition und die Herausforderung, bestimmte dienstliche Aufgaben mittels EDV zu lösen, trat ein dritter wichtiger Aspekt: die sozialen Kontakte und Beziehungen. Für wenige der Befragten war EDV zu Beginn ein "Egotrip", vielmehr waren Personen aus dem sozialen Nahraum involviert, die gewissermaßen als Katalysatoren wirkten, den Einsatz von EDV auch aktiv in Angriff zu nehmen.

Neben direkt einbezogenen oder eingreifenden Schlüsselpersonen, die auch den Prozeß der EDV-Aneignung - zumindest während des Einstiegs - begleiteten, konnten durchgängig eine Reihe weiterer Kontakte festgestellt werden, die gewissermaßen den "Resonanzboden" für weiterführende Aktivitäten darstellten. "Computer" wurde als Gesprächsthema im Bekanntenkreis enttabuisiert, Kontakte mit anderen EDV-Nutzern halfen Vorbehalte abbauen, Tips wurden ausgetauscht und Unterstützung gewährt. Das Einsickern von EDV gerade auf der privaten Ebene (über Freunde, Idole, Sympathieträger) übte eine verstärkende Wirkung aus und beförderte die Weiterbeschäftigung mit dem Medium: "...der Diskussionsstand (hat) sich verändert, so daß du Leute triffst, die Umschulungen machen auf EDV, weil sie im Lehrerberuf oder im Sozialarbeiterberuf die Schnauze voll haben oder nicht zurechtkommen, egal was es ist. Solche Leute triffst du, die du vorher als kompetent in ihrer Arbeit kennengelernt hast. Wenn der natürlich dann positiv über die EDV was erzählt, und sagt, 'halt einmal, das ist nicht so, mit deinen Befürchtungen, die sind zum Teil nicht gerechtfertigt', dann überlegst du dir das schon noch mal."

Diese kommunikative Vernetzung wurde während des Innovationsprozesses, aber auch dann noch in der Phase der Regelnutzung des PC, systematisch genutzt und weiter ausgebaut zu regelrechten "informellen Hilfenetzen". Aufgrund der Zusammensetzung dieser Hilfenetze (vorwiegend Personen des Freundes- und Bekanntenkreises) wurde der Hilfe kein direkter arbeitsähnlicher Charakter zugeschrieben, obwohl ein wesentlicher Anteil des dort Verhandelten auf dienstliche Belange bezogen blieb. Die Vermischung von dienstlicher Notwendigkeit, privater Vorleistung und dem Spaß- und Freizeitcharakter wurde durch die Netze offenbar weiter befördert. Beratung, Tips und Hilfestellungen wurden als gegenseitige Freundschaftsdienste bewertet, Treffen und gemeinsamer Austausch nahmen Hobbycharakter an, Bedürfnisse nach sozialen Beziehungen konnten befriedigt werden: Daß die EDV-Gruppe über den Arbeitsbereich hinausgeht, "das ist eigentlich ganz schön, weil das geht nicht nur über den Informationsaustausch, den Erfahrungsaustausch, sondern weil das privat auch ganz nett ist."

Es läßt sich also belegen, daß sich in hohem Maße berufliche Belange mit persönlichen Dispositionen und sozialen Beziehungsstrukturen treffen. Die Aufgabenstellung zur EDV-Verwendung wurde aus dem beruflichen Bereich bezogen, den Antrieb und die Katalysatorwirkung lieferten Personen aus dem sozialen Nahraum. "Innovationen werden demnach wesentlich von subjektiven Momenten, wie den Interessen und Vorstellungen individueller wie kollektiver Handlungs- und Entscheidungsträger, der Art innerpsychischer Verarbeitungsprozesse, den Handlungsstrategien sowie den Realitätskonzepten und -entwürfen der Akteure, geprägt" (Schumacher-Wolf 1988: 34). (5)

2.5 Arbeitszeit und Arbeitsort 'im Fluß'

Im bislang Ausgeführten, in dem primär die dispositiven, motivationalen und kommunikativen Bestandteile verhandelt wurden, konnte bereits verdeutlicht werden, daß sich die 'normative' Subjektivierung der Arbeit bei der zur Frage stehenden Personengruppe nicht mehr zureichend verstehen läßt, wenn 'Arbeit' mit Arbeitsplatz/Dienststelle gleichgesetzt wird. Wir haben es in gewisser Weise mit einer wechselseitigen Entgrenzung und Vermischung der Sphären von 'Arbeit' und 'Privatem' zu tun, die sich auch als Diffusion von Arbeitszeit und Arbeitsort niederschlägt.

Der hohe zeitliche Aufwand in der Aneignung der notwendigen Kenntnisse von EDV, der ausschließlich in der Freizeit erbracht wurde, führte bei der Untersuchungsgruppe zu einem 'Verschwimmen' zwischen Arbeitszeit und privater Zeit (Freizeit). Aber auch in der Folgezeit der EDV-Nutzung in der Institution wurden Ort und Zeit (dauerhaft?) in ein neues Verhältnis gebracht.

Die Mehrzahl der Befragten verfügte zunächst über einen privaten PC zu Hause, bevor sie einen Dienst-PC anschaffen konnten; daraus könnte man schließen, daß der Standort des PC diesen Freizeiteinsatz verursacht hat. Interessanterweise berichteten aber auch die Personen, die den privat oder dienstlich angeschafften PC von Anfang an am Arbeitsplatz stehen hatten, von der Notwendigkeit, dafür Sorge zu tragen, daß auch zu Hause Möglichkeiten zum weiteren Üben und Arbeiten bestanden: "Privat habe ich natürlich viel autodidaktisch aufgearbeitet, da kommt man auch nicht drum rum. Und das war dann auch der Punkt, da habe ich eingesehen, es geht nur, wenn ich daheim auch privat einen PC besitze, weil innerhalb der Bürozeit am Computer herumzuprobieren, ob was geht und wie was geht, dazu war einfach nicht die Zeit da, und das mache ich auch heute noch daheim."

Das Begründungsspektrum auf die Frage, warum sie diesen privaten Einsatz von Material, Zeit und Räumlichkeiten vornahmen, ohne materielle Gegenleistungen zu verlangen, ist facettenreich.

Ein besonders gewichtiger Aspekt für den hohen privaten Einsatz ist in ihrer differenzierten Motivationslage zu suchen. Sie verbanden immer über die dienstlichen Belange hinaus ein privates Interesse oder sogar ein konkretes Ziel mit EDV, ihre Beschäftigung erschöpfte sich also nicht in der Zentrierung auf dienstliche Erfordernisse und Belange. "Das sehe ich auch unter dem Gesichtspunkt, da vermischt sich ein bißchen was, da vermischt sich auch mein privates Interesse, meine privaten Qualifizierungsinteressen und -bedürfnisse."

So wiesen denn viele der Befragten auf den hobbyähnlichen Charakter der Beschäftigung mit EDV hin. "Also, das kann ich praktisch nicht quantifizieren, das ist ein intensives Hobby, abends meistens. (...) Wenn einer Klavier lernt und jeden Tag zwei Stunden üben muß oder so, dann ist das etwa der gleiche Rahmen."

Die Definition als Hobby lenkt den Blick weg von den betrieblichen Belangen. Mühe, Anstrengung und Zeitaufwand werden zwar wahrgenommen, aber nicht aufgerechnet. Seinem 'Hobby' widmet man sich ohne unmittelbaren materiellen Amortisationsaspekt, es soll erzwungene, unbefriedigende Tätigkeiten durch eine freiwillige, von Lust und Spaß geprägte Tätigkeit ausgleichen - 'beim Hobby schaut man nicht auf die Minute'.

Zugleich aber bewerteten sie ihren Einsatz für EDV sinnvoll, um ihre Arbeit gut undeffektivgestalten zu können. An erster Stelle standenalso die Interessen an ihrem 'persönlichen' Arbeitsplatz und der Gestaltung der eigenen Arbeit. Um dieses Ziel für sich zu erreichen, verstießen einige teilweise gegen Regeln der Institution. Da sie nun diejenigen waren, die unbedingt EDV am Arbeitsplatz einsetzen wollten, folgerten sie mit Selbstverständlichkeit daraus, daß sie dafür auch Vorleistungen privat zu erbringen hätten. Sie sahen sich offenbar vor der Entscheidung, einen 'Vorschuß' zu erbringen, in der Hoffnung, mit der Innovation erfolgreich zu sein und dann eventuell später entsprechend honoriert zu werden oder auf EDV vorerst verzichten zu müssen.

Nach Abschluß des Innovationsprozesses wurden zwar routinisierte unmittelbare dienstliche Anwendungen größtenteils an den Arbeitsplatz rückverlagert (z.B. Textverarbeitung, Tabellenkalkulation), alle weiterführenden Aktivitäten verblieben jedoch weiterhin im Privaten, in der Freizeit und zu Hause. In erster Linie sind dafür divergente Zeitstrukturen und 'Zeitgefühle' in den Sektoren der 'Arbeit' und des 'Privaten' verantwortlich.

Einschränkungen auf bestimmte Zeiten wurden - vor allem beim Lösen komplexer Probleme und beim Programmieren - als hinderlich und störend empfunden. Durch Störungen am Arbeitsplatz werde ein konzentriertes Arbeiten mit und an EDV erschwert. Die für komplexe EDV-Aneignungen und -Nutzungen erforderlichen langen Zeitrhythmen waren an ihren Arbeitsplätzen in der Regel nicht gegeben. Gerade Tätigkeiten in der Sozialen Arbeit sind gekennzeichnet durch häufige Kontakte. Eine hohe Kommunikationsdichte, Sprechzeiten für Klientinnen, Außenkontakte mit Kooperationspartnerinnen etc. lassen eine strenge, eigene Einteilung des Tagesrhythmus nicht zu; darüber hinaus ist die Tätigkeitsstruktur vielfältig, der Tag somit stark segmentiert. Folglich verlagerten die Befragten Arbeiten nach Hause.

Zuhause könne man 'in Ruhe arbeiten', 'noch was schnell fertig machen', sensible Daten wolle man aus datenschutzrechtliche Überlegungen nur auf dem eigenen PC abspeichern. Gerade die Möglichkeit, Tätigkeiten unter gleichen oder besseren Voraussetzungen als am Arbeitsplatz noch am Abend oder am Wochenende zu erledigen, wurde als vorteilhaft empfunden. Offensichtlich werden durch den PC mehr Dienstgeschäfte zu Hause verrichtet, als dies vor dessen Einführung der Fall war. "Und dann auch dienstliche Texte, das ist einer der Effekte, daß auch mehr dienstliche Arbeit mitgenommen wird. Das ist geschickt, und da kann ich noch korrigieren; da möchte ich vielleicht was fertigmachen am Samstag, daheim in aller Ruhe; das spielt schon eine Rolle, mehr und mehr. (...) Das ist nicht unbedingt ein Gestöhne. Sondern ich merke auch am Beispiel Briefeschreiben, wie ich prompter und lieber Briefe schreibe, weil dieser Spaßeffekt dauernd wirkt. Immer noch wirkt."

Diese Diffusion des Arbeitsortes und das Verschwimmen von Arbeitszeit und Privatzeit wurde von keinem der Befragten als unangenehm empfunden, sondern teilweise bewußt angestrebt. Eine geschlechterdifferenzierende Analyse dieser Prozesse wäre aufschlußreich gewesen, war aber aufgrund der Samplezusammensetzung nicht möglich. Ebensowenig belegbar war im Untersuchungskontext der Zusammenhang mit spezifischen Lebensformen (etwa Single) und dem tradierten Muster der innerfamiliären Arbeitsteilung.

Festzuhalten ist also, daß sich nach der EDV-Einführung in den vorliegenden Fällen betriebliche Belange weiterhin in die Freizeit und in die 'Wohnstube' der Befragten verlängern. Förderlich ist hierzu in erster Linie die Arbeitshaltung und Einstellung der Innovatoren; gearbeitet wird mit hoher Eigenmotivation und Selbstbestimmung. PC-Nutzungsmöglichkeiten des privaten und beruflichen Segments ähneln sich in den vorliegenden Fällen überraschend häufig. Sie ermöglichen es, betriebliche Nutzungserfordernisse, die intellektuell häufig durchaus anspruchsvoll sind, privat zu erledigen. Dies kommt unmittelbar dem Trend und dem Anspruch nach flexibler Eigenbestimmung des Verhältnisses von Arbeitszeit und Freizeit entgegen.

Auch hier verweisen die empirischen Ergebnisse auf eine allgemeinere Entwicklung hin: Nach der historisch langanhaltenden Phase des Kampfs um den 'Normalarbeitstag' zeichnet sich zwischenzeitlich - aus verschiedenen Gründen, die hier nicht diskutiert werden sollen - dessen Aufweichen ab. In der Wirtschaft und im Dienstleistungssektor, und dort "im Bereich höher qualifizierter Tätigkeiten, insbesondere im Angestelltenbereich" tritt ein Typus von Mitarbeiter auf, der nach Selbstverwirklichung strebt; er betrachtet "seine Arbeit als 'Herausforderung' und legt daher auf die Trennung zwischen Arbeitszeit und privater Zeit keinen Wert" (Deutschmann 1990: 93).

Die auffällige Verlagerung von dienstlichen Tätigkeiten in die private Sphäre kann aus diesen Gründen nicht allein aus der Technik und deren Anwendungserfordernissen erklärt werden. Ein zusätzlicher Aspekt deutet sich an: Der Einsatz des PC ermöglicht den nutzenden Personen flexible Arbeits- und Organisationsformen, die sie selber wünschen und anstreben; EDV wirkt lediglich verstärkend. Der Zeitraum, der arbeitend zu Hause verbracht wird, wird als Freiraum interpretiert, der sich mit EDV-Nutzungen aufrechterhalten oder erweitern läßt. Ein weiteres Indiz für diese Interpretation besteht darin, daß in keinem Fall, trotz deutlich formulierter persönlicher Belastungen, eine 'Arbeitnehmerhaltung' im Hinblick auf Überstunden-Entgelt, Freizeitausgleich u.a. eingenommen sowie keine Unzufriedenheit mit dieser Entwicklung formuliert wurde.

In der Zuspitzung der hier präsentierten Empirie und deren Interpretation ließe sich zweierlei mutmaßen: Die in der Wertewandeldebatte aufgestellte These von den postmaterialistischen Orientierungen jenseits der Erwerbssphäre wäre insofern zu modifizieren, als diese erneut auch in die Sphäre der Arbeit zurückdrängen und zum 'Kampf um subjektiv befriedigenden Sinn' führen. Zugleich müßte das Theorem von der "zunehmenden normativen Subjektivierung der Arbeit" insofern erweitert werden, als das zugrunde liegende Verständnis von Arbeit ebenfalls 'modernisiert' würde, nämlich die Arbeitssphäre bei weitem überschreitend, 'Arbeit' und 'Leben' umgreifend.

3. Die Modernisierung des Verhältnisses von 'Arbeit' und 'Leben' als 'Teufelspakt'?

Die Interpretationsmöglichkeiten dieser Entwicklung oszillieren jedenfalls in einer Weise, die krasser kaum vorzustellen ist: Die einen warnen vor einem 'Teufelspakt' und sehen die Gefahr, daß "Arbeit (...) so herausfordernd, so abwechslungsreich und spannend werden (kann), daß es den Arbeitskräften mehr und mehr unmöglich wird, zwischen Arbeit und Leben ein ausgewogenes Gleichgewicht zu finden. Die Arbeit drängt sich massiv in den sonstigen Lebensalltag hinein" (Bandemer u.a. 1991: 402), Zweckrationalität würde ihren kolonisierenden Zugriff erweitern. Andererseits könnte die Rede von der 'Kolonisierung der Lebenswelt' möglicherweise den Blick verstellen "für antiimperialistische Subversion, die sich in der Kolonie längst formiert hat. Allein die Entstehung des subjektzentrierten Arbeitsverständnisses als Breitenphänomen rechtfertigt Zweifel an der implizierten Einlinigkeit des Wirkungszusammenhangs. Die kolonialisierte Lebenswelt scheint sich zu rächen und führt über die Ansprüche der Individuen ihre nicht befriedigten expressiven Bedürfnisse ins Zentrum des Systems zweckrationalen Handelns, in das Erwerbsarbeitssystem, ein und zwingt dieses zur Revision seiner Steuerungsprinzipien und zur Modifikation seiner Organisation" (Baethge 1991: 18).

Es geht also wieder einmal an den Kern der Sache - an das Verhältnis der Subjekte zu ihrer Arbeit als Teil ihres Lebens und ihrer Vergesellschaftung.

* Die empirischen Ergebnisse und deren Interpretation, auf die ich mich in diesem Artikel beziehe, sind Resultate eines mehrjährigen gemeinsamen Forschungs- und Arbeitsprozesses mit Dr. Annemarie Kühn.

Literatur

ALLERBECK/ HOAG, W.J., 1989: 'Utopia is Around the Corner'. Computerdiffusion in den USA als soziale Bewegung; in: Zeitschrift für Soziologie, Jg. 18, Heft l, 35-53

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Anmerkungen

1. Vgl. auch die Diskussion um 'systemische Rationalisierung' in Bergstermann/Brandherm-Böhmer 1990; Rock u.a. 1990.

2. Vgl. die Diskussion um die 'Zeitpioniere' (Hörning u.a.. 1990).

3. IuK-Technologien werden erst zögernd in der soziologischen Organisationsforschung auch im Hinblick auf ihre Chancen zu einem 'neuen Wandel' unter den Stichworten 'Kontingenz', 'Unsicherheit' (niemand weiß, wo es lang geht) und 'Selbststeuerung' gesehen (D. Schmidt 1989: 252). Die Chancen der dezentralen IuK-Technik liegen vor allem 'zunehmend häufig in der gezielten Öffnung der bestehenden formalen Organisationsstrukturen für quasi-naturwüchsige 'selbstorganisationselle' Gestaltung von Arbeitsplatzkonfigurationen und von Kooperationsbeziehungen' (ebd.: 242).

4. Um einer subjektivistischen Leseart dieser Passage vorzubeugen, sei lediglich angemerkt, daß solche Haltungen zur Arbeit auf Dauer an Organisations- und Arbeitsplatzstrukturen gebunden sind und sie in diesem Sinne auch wiederum formen, in denen ein hohes Maß an Selbstregulierung der Tätigkeiten und innovative Problemwahrnehmungen konstitutive Voraussetzungen sind. Den Nachweis für dieses komplexe Zusammenspiel unterlasse ich aus Platzgründen (vgl. Bolay/Kuhn 1993: 35ff).

5. Vermutlich besteht zwischen dem hier verhandelten Typus des 'innovativen Professionellen' und dem Typus des 'generell engagierten Menschen', wie er aus Kontexten der sozialen Bewegung bekannt ist, eine Homologie; dem konnte in der Untersuchung aber nicht systematisch nachgegangen werden.

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