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Heft 156: Zur alltäglichen Arbeit an den Grenzen von Zugehörigkeit

2020 | Inhalt | Editorial | Abstracts | Leseprobe

Titelseite Heft 156
  • Juni 2020
  • 130 Seiten
  • EUR 15,00 / SFr
  • ISBN 3-89691-026-4
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Mouna Maaroufi
Zwischen Abwertung und Verwertung von Arbeitsvermögen
Aneignung und Aushandlung von Wissen in einer vielfältigen Integrationsinfrastruktur

Mouna Maaroufi richtet in ihrem Beitrag den Blick auf die Infrastrukturen der Arbeitsmarktintegration für Geflüchtete und zeigt darin eingelagerte Differenzierungslogiken entlang wirtschaftlicher Kriterien auf. Im Sinne einer logistifizierten Verwertung migrantischer Arbeitskraft kanalisieren Programme die Arbeitskraft von Geflüchteten primär auf sogenannte "Mangelberufe", was aus Sicht der Geflüchteten meistens als Abwertung vorhandener Wissens- und Kompetenzbestände erfahren wird. Maaroufi sieht die Perspektive der Migration als konstitutiv für die Umsetzung von Arbeitsmarktpolitiken an. Durch alltägliche Kämpfe der Migrant*innen wird die alltägliche Praxis der "Integrationspolitiken" ausgehandelt und es zeigen sich auch Formen der Verweigerung gegenüber einer kapitalistischen und rassistischen Regulation von Arbeit und Bildung. Leseprobe

Marie-Therese Haj Ahmad (geb. Reichenbach)
Kaspars Vienots' Schuhe
Aushandlungen von Ein- und Ausschlüssen wohnungsloser Unionsbürger*innen

Ausgehend von der Wohnungslosigkeit von Unionsbürger*innen in Deutschland macht sich Marie-Therese Haj Ahmad in ihrem Beitrag - wie sie es selbst formuliert - "auf die Suche nach Europa". Diese Suche nimmt sie - mittels ethnographisch gewonnener Erkenntnisse und unter Einnahme einer Subjektperspektive - in der Auseinandersetzung mit konkreten Praktiken der Migration im Feld der Wohnungslosenhilfe auf. Dabei arbeitet sie unter Fokussierung auf die Bereiche Wohnen und medizinische Versorgung spezifische Kämpfe um Zugehörigkeit, Partizipation und Ausschließung heraus. Die Praktiken von Unionsbürger*innen zur Überwindung ihrer Situation der Obdachlosigkeit werden durch ihre Fallstudie als Formen "visionärer" Aushandlung einer europäischen Idee mit Gleichheitsversprechen sichtbar.

Agnieszka Satola
Widersprüche in der Live-in-Szene
Polnische Betreuerinnen in der Rund-um-die-Uhr Pflege in Deutschland

Ein anderes spezifisches Arrangement - der polnischen Live-In-Szene im Bereich der häuslichen Pflege - analysiert Agnieszka Satola. Diese spezielle Form der verberuflichten Sorgearbeit basiert in Deutschland zum überwiegenden Teil auf der Beschäftigung von Migrant*innen. Dessen Rahmenbedingungen verbleiben - aufgrund der zeitlichen Entgrenzung des Arbeitsalltags in der besonderen "Live-In" Situation - der Autorin zufolge in allen bekannten Erscheinungsformen irregulär. Der Blick der Autorin auf die Organisationspraktiken der Arbeiter*innen ermöglicht, diese Arrangements in ihrer Widersprüchlichkeit zwischen Ausbeutung und Handlungsfähigkeit in den Blick zu nehmen. Dabei betont sie die Bedeutung (meist informell bleibender) Formen der Selbstorganisation der überwiegend weiblichen Pflegekräfte, was sie im Beitrag auch anhand entsprechender Facebook-Seiten aufzeigt.

Ilker Ataç
Umkämpfte Teilhabe trotz Exklusion
Protest von prekären Migrant*innen und solidarische Initiativen

Welche Formen die kollektiven Kämpfe um gesellschaftliche Teilhabe einnehmen können, erläutert Ilker Atac in seinem Beitrag. So analysiert er verschiedene Protestformen als mehrfach emanzipatorisch: Indem sie Begegnungsräume schaffen, die eine gemeinsame Mobilisierung gegen ausschließende Politiken ermöglichen, sind sie durch die Produktion von Sichtbarkeit konkreter Ort politischer Aktionen. Andererseits überschreiten sie mit ihren kollektiv hervorgebrachten Forderungen den spezifischen Ort und fordern bestehende Politik heraus. Dabei ermöglichen die in diesem Initiativen gefundenen Verbindungen von Migrant*innen und Solidaritätsinitiativen nach Einschätzung des Autors die Überschreitung von binären Logiken einer konventionellen Staatsbürgerschaft.

Torsten Bewernitz, Maria Diedrich
"Wilder" Streik als Praxis der Bürgerschaft

Den Blick auf kollektive Strategien ergänzen Maria Diedrich und Torsten Bewernitz durch eine historische Aufarbeitung der sogenannten "wilden Streiks" in Mannheim um 1973. Diese vorrangig von migrantischen Beschäftigten betriebenen Arbeitsniederlegungen zielten auf die Bearbeitung von rassistischen Hierarchisierungen der Arbeits- und Lebensbedingungen, die wiederum - so die Analyse- auch für die begrenzte Reichweite dieser Proteste mit verantwortlich waren. Auch dass diese nur begrenzt Einzug ins kollektive Gedächtnis der Gewerkschaften und Aktivist*innen gefunden haben, sei als Effekt einer stark institutionalisierten und regulierten Arbeiterbewegung in Deutschland zu verstehen.

Helga Cremer-Schäfer
Von der "Ausländerkriminalität" zur "Flüchtlingskriminalität"?
Kriminalitätsstatistiken machen keine Fehler, sie sind der Fehler

Nachdem in den Beiträgen einerseits die individuellen und anderseits die kollektiven Praktiken von Migrant*innen zur Bearbeitung von blockierter gesellschaftlicher Partizipation in den Blick genommen wurden, lenkt Helga Cremer-Schäfer denn Blick auf die Wissensproduktion - auch gerade durch (bestimmte) Teile der Sozialwissenschaften - die diese Verobjektivierungen und Ausschließungsprozesse mit hervorbringen. In ihrem Beitrag entzaubert sie die Statistiken zur "Ausländerkriminalität" als Legitimationswissenschaften, die ihre Praxis der Messung verdecken und demnach angemessener als Indikatoren für institutionellen Rassismus zu verstehen seien.

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