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Heft 163: Entsolidarisierung und ihr Widerspiel. Zur langen Welle von Ungleichheitsproduktion, Ausschlusspolitik und institutionalisierter Selektivität

2022 | Inhalt | Editorial | Abstracts | Leseprobe

Titel Heft 163
  • März 2022
  • 140 Seiten
  • EUR 15,00 / SFr
  • ISBN 3-98634-003-2
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Martin Kronauer
Welcher Zusammenhalt?
Zur Kritik der auseinanderdriftenden Gesellschaft

Der Beitrag kritisiert die Beschwörung von "Zusammenhalt", denn sie entzieht die widersprüchlichen Grundlagen des Zusammenlebens in kapitalistischen Gesellschaften dem Blick. Dass die Qualität gesellschaftlichen Zusammenlebens zunehmend aus dem Blick geriet, ist selbst, so das Argument, Ergebnis eines politischen "Kriegs gegen die Gesellschaft" als politisches Gemeinwesen, der in den 1970er Jahren einsetzte. Er zielte darauf ab, "Verteilungsfragen zu entpolitisieren" (Tooze) und somit die Ungleichheitsverhältnisse gegen gesellschaftliche Intervention durch die abhängigen Klassen abzusichern. Das Ergebnis war und bleibt auseinanderdriftende Gesellschaften sowie der Aufstieg rechter politischer Bewegungen und Parteien. Diese versuchen, die politische Leerstelle auf ihre Weise mit der Entgegensetzung von Freund und Feind zu füllen. Der Beitrag rückt Gesellschaft als politisches Gemeinwesen wieder ins Zentrum, diskutiert die neuartigen Überlagerungen von Klassenungleichheiten und Teilhabeungleicheiten im Zuge des Auseinanderdriftens der Gesellschaft, die Folgen für die "moralische Ökonomie" (den Bruch des "impliziten Gesellschaftsvertrags" und die daraus resultierende Wut) und erörtert abschließend Möglichkeiten der Gegenwehr. Leseprobe

Dierk Hirschel
Das Gift der Ungleichheit

Das 21. Jahrhundert droht ein Jahrhundert der extremen Ungerechtigkeit zu werden. Das Gift der Ungleichheit wirkt in allen Poren unserer Gesellschaft. In der Berliner Republik sind Einkommen und Vermögen inzwischen so ungleich verteilt wie in den USA, dem Mutterland des entfesselten Kapitalismus. Der jüngste Anstieg der Ungleichheit ist maßgeblich auf die politische Entwertung und Entgrenzung der Arbeit zurückzuführen. Die politische Förderung unsicherer und gering entlohnter Arbeitsverhältnisse unterhöhlte das Tarifsystem und schwächte die Gewerkschaften. Die geschwächte gewerkschaftliche Verhandlungsposition erklärt die zunehmende Spreizung der Markteinkommen (Primärverteilung). Darüber hinaus verschärften der Um- und Abbau des Sozialstaates und eine umfangreiche steuerpolitische Reichtumspflege die Ungleichheit nach Umverteilung (Sekundärverteilung). Eine Politik für mehr Verteilungsgerechtigkeit muss die Verhandlungs- und Durchsetzungsmacht der Beschäftigten und ihrer Gewerkschaften stärken, den Sozialstaat ausbauen sowie hohe Einkommen und Vermögen höher besteuern.

Heinz Sünker
Herkunft gleich Zukunft
Bildungspolitik zwischen Bildungsapartheid und Demokratie

Entgegen den heuchlerischen Lippenbekenntnissen in Politik und Gesellschaft, mit denen angesichts der Corona-Pandemie eine vorgebliche Solidarität mit allen Kindern und Jugendlichen ausgedrückt werden soll - dies vor allem im Kontext von Schule und Unterricht -, gilt es, an grundlegenden Ergebnissen von kritischer Bildungsforschung und Bildungstheorie festzuhalten. Hier zeigt sich eindeutig, wie Bildungspolitik Klassenkampf ist, Klassenstrategien auf dem "Bildungsmarkt" die Lebensläufe der nachwachsenden Generation in herrschendem Interesse bestimmen und "kanalisieren". Die Spaltung von Gesellschaft - Ergebnis von diversen Entsolidarisierungsprozessen - bedeutet für den "Bildungsbereich" die Förderung von Bildungsapartheid und Gefährdung von möglicher Demokratie, da diese nur in einer Gesellschaft von Mündigen (Adorno) zu denken ist.

Gabriele Winker
Caring Community - ehrenamtliche Reserve oder Chance für solidarisches Handeln?
Das Dilemma der Freiwilligenarbeit in Zeiten neoliberalen Versagens

Caring Community - ehrenamtliche Reserve oder Chance für solidarisches Handeln? Das Dilemma der Freiwilligenarbeit in Zeiten neoliberalen Versagens Um die politisch erzeugten Lücken in der Daseinsvorsorge kostengünstig zu verringern, propagiert die Bundesregierung den Ausbau der Freiwilligenarbeit, auch unter dem Begriff der Caring Community. Deren neoliberaler Hintergrund stößt auf die eigenwillige Motivation der freiwillig Tätigen. Sie können sich Caring Communities durchaus als Räume bedürfnisgemäßen und solidarischen Handelns aneignen. Erforderlich dafür ist allerdings die entsprechende Veränderung der Rahmenbedingungen im Sinne einer Care Revolution.

Serhat Karakayli
Solidarität
Arbeit an den Grenzen und Reichweiten politischer Gemeinschaft

Der Beitrag begreift Solidarität als voraussetzungsvollen, im Fall von internationaler Solidarität oder Interessenkonflikten von Herrschaftsunterworfenen auch als "unwahrscheinlichen Akt". Widerständigkeit, die gleichwohl in einzelnen historischen Situationen bewerkstelligt wurde. Fragen der Ähnlichkeit, der Reichweite, der Macht, der Macht-Asymmetrie zwischen Ungleichen, die Art und Weise wie sie heute von Ehrenamtlichen der Geflüchteten-Hilfen bearbeitet werden kann, zeigen, dass sich alle Merkmale eines "Solidaritätsproblems" zu bearbeiten haben. Lernprozesse sind möglich, entstehen aber nicht "spontan". Arbeit mit Geflüchteten, die in eine soziale Bewegung eingebettet ist, macht eine Form "aggregierter Sozialität" erkennbar, die sich etablierten Solidarversicherungs-Institutionen unterscheidet.

Helga Cremer-Schäfer
Entsolidarisierung
Zu Kontinuitäten sozialer Ausschließung und moralischer Degradierung von "Misfits"

Der Gebrauch von feindseligen, sozial degradierenden, soziale Ausschließungen legitimierenden Etiketten bringen Organisationen und Akteure dann in einen Widerspruch zu den Vorstellungen bürgerlichen Ideen von Freiheit, Gleichheit, Meritokratie (mit einem Minimum an Solidarität mit Schwachen und Diskriminierten), wenn sich die Zuschreibung auf rechtlose und bekanntermaßen (rassistisch, aufgrund von Geschlechtszuordnung, Religion, Behinderung, Alter, sexueller Identität oder ethnischer Herkunft) diskriminierte Personen oder Kollektive bezieht. Wie können dann arme Leute, institutionell Diskriminierte, rechtlose Flüchtende, verachtete Fremde ohne Schuldgefühl ausgeschlossenen, stigmatisiert, gettoisiert, kriminalisiert bestraft werden? Der Beitrag blickt auf eine spezifische Produktivität zurück, die in der Phase der neoliberalen Produktionsweise aktiviert wurden. Sie ermöglichen "Ausschließung ohne Schuldgefühl".

Martina Pistor
Sterbehilfe
Zur Ambivalenz von Selbstbestimmung und Hilfe

Dieser Beitrag ist ein Versuch einer Positionsbestimmung zum Thema Sterbehilfe. Das Thema wird auf sehr unterschiedlichen Ebenen untersucht, von der persönlichen Annäherung bis hin zu gesellschaftspolitischen Fragen. Ziel soll es nicht sein, Antworten zu geben, sondern vielmehr spannende Fragen zu stellen und ungewohnte Perspektiven einzunehmen.

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