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Heft 170: Alternativen zum Bürgergeld - die Garantierte Grundarbeitszeit in der Diskussion

2023 | Inhalt | Editorial | Abstracts | Leseprobe

Titelseite Heft 170
  • Dezember 2023
  • 152 Seiten
  • EUR 15,00 / SFr
  • ISBN 3-98634-010-0
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Timm Kunstreich
11 Thesen zur Garantierten Grundarbeitszeit
Auszüge aus der Diskussion im 1. Fachgespräch am 21. April 2023

Die Dokumentation des Fachgesprächs vom 24. April zur Idee der GGA (vorgestellt in den 11 Thesen von Timm Kunstreich) zeigt, welche Diskussionsanstöße diese Idee gibt. Was macht einen emanzipatorisch orientierten Umbau des Sozialstaats aus? Wie stellt sich aus Sicht der Alltagsmenschen das Verhältnis von Einkommen, Sozialeigentum und gratis zur Verfügung gestellter Infrastruktur für Soziales, Gesundheit, Bildung, Mobilität dar und wie ist es politisch emanzipatorisch regulierbar? Hat das Konzept der GGA einen defensiven politischen Charakter gegen soziale Ausgrenzung und Verarmung , oder ob enthält es ein transformatorisches Potenzial für mögliche gesellschaftsveränderungswillige Bündnisse, z.B. durch die Entwicklung neuer Formen kollektiven, gesellschaftlichen Eigentums? Welche Anknüpfungspunkte gibt es zu Konflikten, Kämpfen und Debatten um Klimagerechtigkeit, betriebliche und gewerkschaftliche Auseinandersetzungen um Entlohnung, Arbeitsbedingungen und Arbeitszeiten?

Timm Kunstreich
Kooperation statt Alimentation
Garantierte Grundarbeitszeit (GGA) statt Bedingungslosem Grundeinkommen (BGE)

Der Text "Kooperation statt Alimentierung: Garantierte Grundarbeitszeit statt Bedingungloses Grundeinkommen" stellt die Idee der GGA vor. Die Programmatik eines BGE wird als Verkürzung der Gesellschaftskritik an Ausschließung und Benachteiligung im Kapitalismus auf Fragen des Einkommens kritisiert. Staatsfixierung, Ökonomismus, Individualismus sind Kennzeichen dieser Konzepte. Der Text argumentiert für eine GGA, verbunden mit einem "living wage" als Moment einer Sozialpolitik als Infrastruktur. Die Abkehr vom Leitbild der (männlichen) Lohnarbeit und die Anerkennung der Vielfalt von Arbeiten (Erwerbsarbeit, Care-Arbeit, kulturelle Arbeit und politische Aktivitäten) als gesellschaftlich notwendige Arbeiten sind in diesem Programm zentral. Alle Menschen kombinieren in ihrem Alltag diese Arbeiten in ihren sozialen Kooperationszusammenhängen in je spezifischer Weise. Durch GGA und "living wage" erhalten sie eine soziale Garantie, mit der sie, ergänzt durch die Leistungen der Infrastruktur, ihr Leben gestalten können. Notwendig ist dazu auch die weitgehende Finanzierung der Infrastruktur durch eine Kapitaltransfersteuer, die die Bildung eines demokratisch kontrollierten Sozialvermögens erlaubt. Leseprobe

Wolfgang Völker
Anfragen an das Programm einer Garantierten Grundarbeitszeit (GGA)

Der Text formuliert "Anfragen an das Programm einer GGA" aus der Perspektive eines garantierten Grundeinkommens "plus", verstanden als Erweiterung des Sozialeigentums und des kollektiven Konsums, der Infrastruktur öffentlicher Güter. Gegenüberstellungen wie Alimentierung - Kooperation, Individuum - Kollektiv und Normen gesellschaftlicher Nützlichkeit werden problematisiert und es wird vorgestellt, was die Aktivist:innen der Initiativen von Erwerbslosen und Armen heutzutage hierzulande selber an politischen Forderungen stellen.

Ellen Bareis, Helga Cremer-Schäfer
Haushalte als soziale Infrastruktur zum "Betreiben eines eigenen Lebens"
Welche soziale Infrastruktur schafft und braucht Arbeit am Sozialen?

Der Artikel reflektiert die Rolle von Haushalten bei der Verwirklichung einer Infrastruktur zum Betreiben des eigenen Lebens. Ausgangspunkt der Argumentation ist die Feststellung, dass Haushalte die Vermittlungsebene zwischen Infrastruktur und dem Alltag der Leute sind. Haushalte werden als selbstorganisierte Zusammenschlüsse und soziale Orte begriffen, an denen sich Schnittpunkte von Arbeitsformen, Einkommensformen, sozialen Beziehungen sowohl herrschaftlicher als auch emanzipatorischer Art finden lassen. Die Leistungen der Haushalte für die soziale Reproduktion der Gesellschaft werden analysiert. Auf Basis von Forschungen zur Arbeit am Sozialen "from below" wird herausgearbeitet, welche Beziehungen sich im Spektrum zwischen Abhängigkeiten auf der einen und solidarischer Unterstützungspraxis auf der anderen Seite im Alltag von Haushalten finden. Schließlich fragt der Text danach, was Haushalte an Ressourcen brauchen, mit denen die Leute Konflikte um disziplinierende Lebensweisen oder Situationen sozialer Ausschließung in einem emanzipatorischen Sinne bewältigen können. Diese Fragen müssen auch an sozialpolitische Vorschläge eines Grundeinkommens oder einer Garantierten Grundarbeitszeit gestellt werden.

Horst Müller
Von einer neuen Infrastrukturpolitik zur Systemalternative

Der Text weist darauf hin, dass die sozialen Garantien und Möglichkeiten gravierende sozial-systemische Veränderungen und enorme finanzielle Spielräume erfordern. Die Entwicklung der gesellschaftlichen Verhältnisse hin zu einer Sozialstaatswirtschaft, in der diese Garantien verwirklicht werden könnten, kann aus der gegenwärtigen Herrschaft des Mensch und Welt zerstörenden kapitalistischen Wachstumszwangs befreit werden. Die theoretische Befassung mit dem Sozialstaat als besteuernde, fiskalisch und politisch steuernde und moderierende Zentralinstanz spielt dabei eine wesentliche Rolle. Systemische Veränderungen, die dann auch auf diese Sphäre relativer Unfreiheit oder Freiheit der Lebensverwirklichung durchschlagen, müssen an dem Verhältnis der Hauptabteilungen der kapitalistischen ökonomischen Reproduktion ansetzen. Für das reziproke oder komplementäre Reproduktionsverhältnis der Sektoren bildet der Staat den verbindenden Prozessknoten, letztlich die zentrale Vermittlungsinstanz im gesamtwirtschaftlichen Prozess. Der Text fragt, wo in dieser Konfiguration eine Sozial- und Systemalternative stecken könnte? Wesentliches Element einer Systemalternative ist eine Kapitaltransfersteuer, aber nicht verstanden als neue Gewinnsteuer, sondern als Transfer konstanten oder Sachkapitals von einer zur anderen wirtschaftlichen Abteilung, nämlich dem Bereich des Öffentlichen oder Sozialen in einer Sozialstaatswirtschaft. Diese Ebene muss in der Diskussion um eine neue soziale Infrastrukturpolitik und ihren Möglichkeiten als Einstieg in eine Systemalternative unbedingt mit reflektiert werden.

Susanne Maurer
Erinnerung(en) an feministische Einsprüche und Visionen

Im Kommentar werden die Ideen und konkreten Vorschläge zur Umsetzung einer 'Garantierten Grundarbeitszeit' vor dem Hintergrund feministischer Analysen und (u.a. literarischer) Gedankenexperimente reflektiert. Neben erkennbaren Resonanzen werden dabei auch Problemsichten exemplarisch angesprochen, die sich z.B. auf das Verhältnis von Individualität und Kollektivität oder die Frage des Umgangs mit Dissens beziehen. Als besondere Herausforderung für die intendierten Transformationsprozesse wird die Arbeit an einer dafür förderlichen politischen Kultur bzw. an (ermöglichenden) 'gesellschaftlichen Atmosphären' angesehen.

Gruppe Blauer Montag
Falsche Gegenüberstellungen und ein produktivistisches Grundverständnis
Kritische Anmerkungen zu Timm Kunstreichs Basistext

Die Gruppe Blauer Montag setzt sich in ihrem Beitrag kritisch mit dem Vorschlag der GGA auseinander. Die Kritik bezieht sich vor allem auf drei Punkte: auf die spezifische Lesart eines bedingungslosen Grundeinkommens im Basistext, auf den produktivistischen Grundtenor, der den Gegenentwurf durchziehe und das Verständnis von "Arbeit" und "Arbeiten", das von einem ahistorischen bzw. gesellschaftsneutralen Arbeitsbegriff ausgehe. Es wird bestritten, dass die Wertigkeiten von produktiven wie reproduktiven Arbeiten unter kapitalistischen Verhältnissen einfach verschoben werden könnten. Stattdessen wird auf die grundsätzliche Formbestimmtheit aller Arbeiten im Kapitalismus hingewiesen. Anlässlich der Kritik des Basispapiers an der Idee eines BGE erinnert der Text an die Existenzgeldforderung der Erwerbslosen- und Jobber-Initiativen in den 1980er Jahren. Diese wird als Kritik an der real existierenden Sozialstaatlichkeit und als Kritik am kapitalistischen Produktionsprozess und dem Prinzip der Verwertbarkeit bzw. der gesellschaftlichen Nützlichkeit interpretiert. Vor diesem Hintergrund diskutiert der Text, inwieweit im Vorschlag der GGA Momente derartiger Unterordnungen individueller Ansprüche auf Existenzsicherung unter herrschaftliche gesellschaftliche und staatliche Verhältnisse in sich trägt. Im Konsens mit der Argumentation des Basispapiers wird auf die Rolle von aktuellen sozialen Kämpfen und Bewegungen für die Herstellung einer sozialen Infrastruktur zum Betreiben des eigenen Lebens hingewiesen.

Matthias Weser
Wissenschaft als eine reproduktive, kulturelle und politische Tätigkeit betreiben
Skizze einer De-Fragmentierung

Der Artikel nimmt den im GGA-Konzept vertretenen erweiterten Arbeitsbegriff zum Anlass, darüber nachzudenken, inwieweit wissenschaftliche Arbeit sich auf Basis einer GGA verändert werden könnte. Er geht davon aus, dass die institutionalisierte Wissenschaft vom Lohnabhängigkeitsverhältnis der dort Tätigen geprägt wird. Dieses Verhältnis verhindert den Bedeutungsgewinn reproduktiver, kultureller und politischer Aspekte von Wissenschaft. Der Text nimmt die Perspektive eines Wissenschaftlers in der Qualifikationsphase ein, analysiert die Mechanismen der Konkurrenz und Ökonomisierung im Wissenschaftsbetrieb und beschreibt, wie Dimensionen des Sorgens, des Erkenntnisgenusses und der emanzipatorischen politischen Verantwortung im wissenschaftlichen Alltag verschüttet werden. Der Artikel lädt im Rückgriff auf die Voraussetzung einer abgesicherten Existenz zur Diskussion darüber ein, wie in einem kollektiven Prozess der Defragmentierung Wege zu einem anderen Betreiben von Wissenschaft geebnet werden können.

Stefan Schoppengerd
Zustimmung im Allgemeinen, Tücken im Detail
Arbeitszeitverkürzung als bewegungspolitisches Bündnisprojekt

Der Text befragt die im Vorschlag der Garantierten Grundarbeitszeit genutzte Vier-in-eins-Perspektive auf ihre Relevanz für Fragen der Verkürzung der Lohnarbeitszeit. Die Geschichte des Kampfes der Arbeiter*innenbewegung um kürzere Arbeitszeiten wird in Grundzügen, Motiven und Konfliktdimensionen bis hin zu aktuellen gewerkschaftlichen Forderungen vorgestellt. Gefragt wird anhand der im Konflikt um Arbeitszeitverkürzung wirksamen Interessen auch danach, welche emanzipatorischen Bündnisse sich zwischen betrieblichen, gewerkschaftlichen, feministischen, ökologischen Perspektiven entwickeln lassen. Der Text benennt die Gefahr einer Verwandlung des Wunsches nach weniger Lohnarbeitszeit in höhere Arbeitsbelastung und besteht auf der Notwendigkeit, die alltägliche Praxis von Arbeiter*innen als gesellschaftliche Individuen zu begreifen, die in einem widersprüchlichen gesellschaftlichen Reproduktionszusammenhang kooperieren. Abschließend argumentiert der Beitrag dafür, das emanzipatorische Ziel einer Befreiung (von) der Lohnarbeit, wenn es im Sinne einer Bündnisinitiative aufgegriffen wird, vor dem Hintergrund der komplexen alltäglichen betrieblichen und gewerkschaftlichen Realitäten zu betrachten und dabei nicht die utopischen Überschüsse alltäglicher Kämpfe zu übersehen.

Jörg Reitzig
Bildung.Macht.Verteilung
Legitimationsprobleme in der Wissenschaftsgesellschaft

Auf der Grundlage eines erweiterten Verständnisses von Bildung skizziert der Text Spannungsverhältnisse von Bildung und einer als soziale Infrastruktur verstandenen Sozialpolitik, im Hinblick auf reale Verteilungs- und Machtverhältnisse. Daraus resultierende Konflikte werden als Legitimationsdefizite und Bruchstellen gesellschaftliche Hegemonie markiert, die als Ansatzpunkte für eine transformationsorientierte kritische-politische Bildung von Bedeutung sein können.

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