
Sag mir Wie? Methodisches handeln zwischen Heilsversprechen und klugem Takt
Schwerpunkt
Vorweg: Ich wollte nicht mehr schreiben, aber dieses Thema reizte mich dann doch. Es hat mich fast 40 Jahre beschäftigt und nun - drei Jahre nach meinem Abschied aus dem Berufsleben - schaue ich noch einmal mit einer gewissen Distanz auf dieses Thema und resümiere punktuell. Das alles nicht mehr mit dem Anspruch einer analytischen Beweisführung, sondern eher autobiografisch - essayistisch. Dazu gehe ich zunächst an meinen Ausgangspunkt Anfang der 1970er Jahre zurück und skizziere stichpunktartig die Methodenkritik, mit der sich kritische Soziale Arbeit begründete. In einem zweiten Punkt wage ich einen kleinen Ausflug in meine Biografie, soweit sie sich mit dem Methodenthema kreuzt. Im dritten Teil dieses Aufsatzes verfolge ich Entwicklungen zu drei Schlüsselthemen, die meiner Meinung zentral sind für das Verständnis methodischen Handeln (Umgang mit Begriffen; Stellenwert der Adressaten; Bedeutung von Zielen), um dann im vierten Teil einige Überlegungen zur professionellen Handlungskompetenz anzustellen. Im Ausblick benenne ich einige aktuelle Herausforderungen, denen sich eine kritische Soziale Arbeit stellen sollte.
Methoden können definiert werden als (Systeme von) Regeln (Vorschriften), die bei gegebenen Zielen Z eines Akteurs und unter der Voraussetzung einer sachgerechten Anwendung - die Wirksamkeit von Handlungen im Hinblick auf die Erreichung von Z gewährleisten oder wahrscheinlich machen [...] Die Anwendung einer Methode im Sinne der Ausführung veränderungswirksamer Handlungen mit einer beabsichtigten Wirkung verlangt dabei nach einer Reihe von vorausgehenden und nachfolgenden kognitiven Operationen [...] Zu den Operationen gehören die Beschreibung situativer Fakten sowie deren Erklärung, Prognose, Bewertung, die Formulierung eines praktischen Problems, eines darauf Bezug nehmenden Ziels und eines die gewählten Methoden nutzenden Handlungsplanes, die Ausführungskontrolle und Evaluation. Im Unterschied zu überlieferten oder erfundenen Faustregeln kann eine professionelle Methode als eine Methode definiert werden, die sich auf eine (erklärende) wissenschaftliche Theorie stützt. Professionelle sind in dieser Sicht Menschen, die im Rahmen einer allgemeinen normativen Handlungstheorie praktische Probleme durch die Anwendung professioneller Methoden bearbeiten. So kann grob der Kern einer Handlungswissenschaft und die Natur des von ihr produzierten spezifischen Professionswissens umschrieben werden (Obrecht 2009: 116f.).
Wer sich anschickt, einen Beitrag zum Thema Dummheit, Torheit, Narretei zu verfassen, der tut gut daran, sich in Bescheidenheit zu kleiden und gleich zu Anfang klarzustellen: Ich selbst bin dumm gewesen, werde es zukünftig mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder sein und versuche zumindest im Rahmen dieser meiner Überlegungen mein Möglichstes, mich nicht gar zu dumm anzustellen, obgleich ich das natürlich nicht garantieren kann. Denn Dummheiten zu machen, liegt immer im Bereich des uns Menschen Möglichen, denn, wie Wilhelm Busch so treffend anmerkt: Dummheit ist auch eine natürliche Begabung. Aber vielleicht machen wir uns etwas weniger für Dummheiten anfällig, wenn wir sie für unsere eigene Person, unser Denken und Handeln von vorneherein nicht ausschließen, sondern uns ganz bewusst auch zu dummem Handeln für fähig halten.
Interaktionen zu steuern erweist sich als eine Aporie. Dies zeigen sowohl theoretische Arbeiten als auch empirische Befunde. Im Handlungsfeld der Arbeits- und Beschäftigungsförderung wird darauf in einer ganz spezifischen Weise seitens der zentralen Akteure reagiert. Statt die fehlende Steuerbarkeit zu berücksichtigen und von instrumentellen Eingriffen abzusehen, werden in immer neuer und immer differenzierterer Weise Steuerungsinstrumente entwickelt, die den Versuch unternehmen, massiv in den Prozess der Beratung der Akteure an der front line einzugreifen. Der Artikel handelt beispielhaft davon, wie diese Versuche aussehen, welche teilweise widersprüchlichen normativen Setzungen damit verbunden sind und wie sich daraus für die Fachkräfte systematisch Scheiterns- und Überforderungssituationen ergeben.
Um die sozialräumliche Orientierung ist ein heftiger Streit entbrannt, den man z. B. in den letzten Heften der Zeitschrift Neue Praxis verfolgen kann (insbesondere in den Heften 5 und 6/2012). Geht man einigermaßen unvoreingenommen an die Lektüre der verschiedenen Positionen heran, wird man unschwer feststellen können, dass Wolfgang Hammer, der in dieser Auseinandersetzung die Rolle des Bad Boys zugeschrieben bekommen hat, seine Argumentation im wesentlichen aus der Nachfrageperspektive, also aus der Perspektive der NutzerInnen sozialer Infrastrukturen aufbaut. Seine Kritiker hingegen bevorzugen die Angebotsperspektive, d. h. die Perspektive der rechtlichen, institutionellen und ökonomischen Regularien. Aus dieser Auseinandersetzung möchte ich eine (vorläufige) Schlussfolgerung ziehen: Aus der Sicht der Nutzerinnen und Nutzer sind nur die Angebote brauchbar, die verlässlich sind; aus der Sicht der Anbieter hingegen zählt vor allem die Verbindlichkeit, mit der die Leistungen realisiert werden. Verlässlichkeit lässt sich als die symbolische Repräsentation der sozial-räumlichen Orientierung verstehen, während Verbindlichkeit die sozial-administrative Deutung von Wirklichkeit repräsentiert (vgl. Langhanky u. a. 2004).
Forum
Diagnose heißt im gängigen Verständnis: genau verstehen können, was der Fall ist, z. B. was mit KlientInnen los ist, einer Gruppe oder einem Familiensystem los ist, der Einrichtung XY los ist etc. Seltener wird gefragt, was mit uns los ist, die wir solche Fragen stellen, vorausgesetzt wir stecken tatsächlich in der Fallarbeit drin und fragen nicht nur akademisch. Vor allem für Studierende, die allererst lernen sollen, was Diagnose für ihr zukünftiges berufliches Handeln bedeuten kann, macht es einen großen Unterschied, ob sie als erstes diagnostische Methoden angeboten bekommen, die sie dann auf Fälle anzuwenden lernen, oder ob sie zuerst lernen, wie sie ihre eigenen Wahrnehmungsweisen befragen können, um fähig zu werden, ihre Anfänger-Ratlosigkeit im Umgang mit KlientInnen schrittweise zu meistern (Müller 2011).
Der gewaltsame Tod von Christy Schwundeck am 19.5.2012 ist ohne das System von Hartz IV, der Sozialhilfe für Erwerbslose, nicht begreifbar. Mit der Einführung dieses sozialen Systems beabsichtigte dieser Staat, den Erwerbslosen, den Niedriglöhner_innen, den Menschen mit geringer Rente, den Behinderten und ihren Angehörigen staatliche Leistungen in einer viel zu niedrig bemessenen Höhe aufzuzwingen. Ein System, das wegen der Unzufriedenheit der Menschen jeden Tag aufs Neue durch Zwangsmaßnahmen aufrecht erhalten werden muss. Ein System, das Menschen, die abhängig beschäftigt sind und einen Niedriglohn bekommen, und diejenigen, die nur Hartz IV bekommen, gegeneinander ausspielt.
Editorial
"Sag mir, wie ich's machen soll!" So ähnlich könnte man manche Erwartungen von Studierenden an ein Studium Sozialer Arbeit auf den Punkt bringen. Vielfach wird der Studienerfolg am methodischen Können und an Techniken und Verfahrensweisen gemessen, die gelernt, geübt und theoretisch untermauert werden. Denn Professionalität und methodisches Können stehen insbesondere im klinischen Professionsverständnis in engem Zusammenhang. An der Ausübung des methodischen Arsenals wird die je eigene Professionalität beobachtbar. Das Methodenwissen macht den radikalen Unterschied aus zum Klientel, an dem diese Methoden exekutiert werden - selbstverständlich nur dann, wenn der Klient zustimmt. Aber welche Alternative zur Zustimmung bleibt ihm schon, wenn er nicht ganz auf Unterstützung verzichten will! Insofern das im Studium erworbene methodische Arsenal im praktischen Kontext doch mehr oder weniger unbefriedigend bleibt, hat der Fortbildungsmarkt noch so einige Methodenwaren anzubieten. Das sind oft langjährige Fortbildungen, die in theoretische Modelle einführen, die, sobald man sich auf den jeweiligen Denkweg einlässt, einiges zu bieten haben, um eine bestimmte Weltsicht in praktische Durchschlagskraft zu überführen. Sie bieten neben dieser Weltsicht Selbsterfahrung, Identifikation mit einem Könner und Handlungssicherheit in der Praxis und damit praktischen Erfolg.
Eine der radikalsten Formen von Kritik an diesem Denk- und Handlungsmodell der methodisch geschulten Modellierung von Handlungssituationen geht auf Siegfried Bernfeld zurück (Bernfeld 1973). Er greift zur Veranschaulichung seiner Kritik auf die griechische Mythologie zurück und führt uns in die Schatten der griechischen Unterwelt: "Der griechische Tartarus", so Bernfeld, "scheint eine rein pädagogische Angelegenheit zu sein, eine sonderbare Versammlung von Pädagogen, von Repräsentanten erzieherischer Bemühungen" (ebd.: 114). Professionell geschultes Handeln hat es hier mit der Unterwelt zu tun, es ist Resultat einer Verurteilung. Es fragt sich jedoch, wer hier zu was verurteilt wird. Verurteilt der Professionelle sich selbst zum Leben in der methodischen Unterwelt oder verurteilt er Adressaten zu Opfern seiner Methode? Augenscheinlich hat Bernfeld beide Aspekte im Blick. Methodisches Handeln ist durch eine subtile, aber sehr unterschiedlich gelagerte Form von Vergeblichkeit bedroht, die beide Akteursgruppen gleichzeitig betrifft, die Anwender von Methoden wie deren Opfer.
Die erste These von Bernfeld behauptet, dass Methoden gar nicht halten, was sie versprechen (ebd.: 9). Zur Veranschaulichung rekurriert er auf die Verurteilung des Tantalos:
"Nah umgeben von erfrischendem Wasser und köstlichsten Idealfrüchten, er braucht nur zuzugreifen und könnte den Durst und Hunger einer Ewigkeit stillen, so scheint es, aber grausame Erfahrung, die ihm stündlich seit Jahrhunderten wird und ihn doch nie belehren kann: Wasser und Früchte weichen zurück vor seiner Bemühung, bis in unendliche Fernen. O Symbolum idealistischer Pädagogik! So nah erscheint die Verwirklichung, ein Sprung nur über etliche Formalstufen, eine einzige geschickte Handbewegung - und ist doch so unendlich fern. Zwar auch hier muss ein Zaubertrick beleidigter Gottheit im Spiele sein. Aber wir fragen nicht danach, denn wie immer es zugehe, den Tantalos trifft die Strafe mit Recht, hat er doch einen heiteren, lieblichen Knaben geopfert, zerstückt, den Göttern zum Fraß angeboten; abscheuliche pädagogische Untat, so häufig geübt" (ebd.: 114).
Bestimmte pädagogische Methoden werden hier zur Misshandlung mit Todesfolge stilisiert. Adressaten werden in dieser Geschichte auf dem Altar der Methode geopfert, die im wahrsten Sinne des Wortes am Adressaten exekutiert wird. Da hilft auch der Hinweis auf die Zustimmung des Adressaten nicht, denn wie soll er beurteilen können, was mit ihm geschieht? Er hat ja nicht Soziale Arbeit studiert. Es ist der Professionelle, der die praktische Situation bestimmt, und der sich von seiner professionell gelernten Zielsetzung in seinem beruflichen Handeln leiten lässt. Doch eben dieses professionelle Handeln gelingt in diesem Falle gar nicht. Das theoretisch gesetzte, ja sehnsüchtig erstrebte und hoch attraktive Ziel entschwindet, sobald sich der Profi an seine Verwirklichung wagt. Das Ziel im Blick sieht der Weg in kürzester Zeit erreichbar aus; doch der Blick trügt, das Ziel rückt mit jedem Versuch seiner Verwirklichung in eine desto unerreichbarere Ferne. Kräfte, die bei Inblicknahme des Ziels unsichtbar waren, wirken der Realisierung des Ziels entgegen.
Idealistisch motivierte Methoden scheitern und erschöpfen den Praktiker, weil die Kräftefelder der Praxis unterschätzt werden. Empowerment beispielsweise erscheint vom theoretischen Standpunkt aus als attraktives und sinnvolles Konzept mit vernünftigen Zielsetzungen: Wer wollte nicht marginalisierte, problembeladene Adressaten in ihrer "Selbstbemächtigung" bzw. "eigenverantwortlichem Lebensmanagement" (Herringer) stärken? Doch von diesem hehren Ziel aus übersieht man sehr leicht die in jeder Praxis wirksamen Gegenkräfte, die dieses Ziel zum Scheitern verurteilen und damit dem Methodenanwender selbst die Handlungsmächtigkeit rauben.
Die zweite Sorte von professionellen sozialpädagogischen Methoden wird nach Bernfeld von den Danaiden symbolisiert. Während Tantalos das Missverhältnis zwischen Anspruch und Wirklichkeit in der Methodenanwendung symbolisiert, thematisiert Bernfeld anhand der Danaiden einen Widerspruch zwischen methodischem Können und professionellem Anspruch insgesamt:
"Des Tantalos Kolleginnen, die Danaiden, so anmutig diese fünfzig jungen Damen auch sein mögen, ihr Schicksal ist uninteressant, sie leiden unter keinen geheimen Tücken, sondern unter eigener Dummheit. Wer könnte Sympathie haben für den Versuch, ein Fass ohne Boden mit Wasser zu füllen? Das Mittel ist von vornherein unzulänglich. Sie sollten es aufgeben, und nicht nach experimentell-didaktischen Untersuchungen die Größe und Form der Fingerhüte, gleichfalls ohne Boden, erproben, mit denen sie schöpfen" (Bernfeld 1973: 114f.).
Diese Methode scheint zwar nicht ausweglos. "Wir sind realistisch, wir handeln im Kleinen, da können wir noch was bewirken", rufen ihre Freunde. Und: "Wir streben nicht nach hohen Idealen, wir handeln im Hier und Jetzt." Doch diese Methoden verhindern, was Professionalität eigentlich verspricht, denn die Konzentration auf Einzelheiten in der Größe von Fingerhüten und das dauernde Augenmerk darauf, was man in der Hand hat, lässt vollständig den Blick verlieren für die Bodenlosigkeit dessen, was man da tut. Diese Methoden nehmen Einzelheiten in den Blick, an denen sie in der Regel scheitern, aber sie geben den Eindruck, dass strukturiert und professionell gehandelt wird. Die Evidenzbasierung erfährt hier ebenso ihre Niederlage wie die Strukturhilfen des Casemanagements. Bernfelds Urteil ist hier scharf: Wer sich an solche Methoden klammert, verfällt der Dummheit.
Im Zentrum seiner Argumentation sieht Bernfeld jedoch Sisyphos, dem er sogar attestiert, dass er mit seiner Handlungslogik tatsächlich Erfolg hat:
"Aber Sisyphos, er verdient wahrhaftig unser Interesse, unser Bedauern, unsere Sympathie. <...> seine Schuld: die maßlose Überheblichkeit, ist nicht unverzeihlich. Und wahrhaftig, sein Stein könnte doch einmal auf der Höhe liegen bleiben, und es wäre nicht das erste Mal, dass lange bestrafte, verhöhnte Überhebung triumphierte und dann als Tat gepriesen würde, anstatt als Untat geächtet zu sein. Vielleicht will er gar nicht unser Bedauern, vielleicht freut's ihn, dass er immer von neuem beginnen kann, vielleicht ist sein Tun eine Art Sport, und er selbst gibt den Anstoß zum Bergab-Rollen. Wenn es so ist, wollen wir ihn den Göttern nicht verraten. Und fragen demnach nach der Maschinerie, derer das boshafte Geschick auf Geheiß beleidigter Götter sich bedient. Wie geht das zu, dass Pestalozzi der Vater der Volksschule wurde? Welche Circe hat diesen grundgütigen Feuerkopf in einen Schulmeister verwandelt? Wer hat Humboldts reines Kind gegen den Wechselbalg Gymnasium vertauscht? <...> Ich sollte meinen, das wäre pädagogische Art mit Babys umzugehen, denen man Puppen gibt mit wirklichen Kindernamen, wenn sie wirkliche Kinder zu haben wünschen. Es ist die Art mit Pädagogen umzugehen. Sie lassen sich's gefallen. Sie wollen nichts anderes. Denn es tut weniger weh. Die Ziele und die Mittel der Erziehung sind das Spielzeug, das Lieblingsspielzeug der Pädagogen, warum sollen die Erwachsenen ihnen verwehren, nach Herzenslust sich daran zu vergnügen? Verhindert muss nur werden, dass sie Schaden anrichten" (ebd.: 115f.).
Tantalos ist verliebt in seine hohen pädagogischen Ziele, die er methodisch zu erreichen erhofft, die Danaiden sind unreflektiert methodenstolz bei praktischer Dummheit, aber was ist mit Sisyphos? Er ist zwar ein Methodenkönner. Bernfeld korrigiert hier sogar den Mythos. Sisyphos gelingt es tatsächlich, den Fels der pädagogischen Mittel auf den Berg der professionellen Ziele zu wälzen. Seine Methode gelingt, sie hat nur ein Problem: sie ist unnütze Spielerei. Das Puppentheater der seminaristischen Übungsveranstaltung ist ihr eigentlicher Kontext, nicht die berufliche Praxis.
Dass methodisches Können fast unweigerlich eine bestimmte Form von Überheblichkeit - eine Form professionellen Stolzes - erzeugt, ist für Bernfeld gar nicht entscheidend. Aber diesem Sisyphos-Methodiker fehlt die Einsicht in die Grenzen der Erziehung bzw. sozialberuflichen Praxis. Diese Grenzen angenommen, verfällt die Methode. Denn die Praxis ist konflikthaft, sie ist nach Bernfeld geprägt von Konflikten des Unbewussten, insbesondere vom Ödipus-Konflikt, der sich in aller Regel nur bedingt aufklären geschweige denn methodisch bewältigen lässt, sowie von den sozialen Konflikten, in die alles professionelle Handeln immer schon eingebettet ist.
Ohne Frage gibt es eine Fülle an Methoden für die Praxis, die in der Praxis auch tatsächlich funktionieren. Der Methodenanwender kann eine Verhaltensänderung provozieren. Doch die grundlegenden treibenden Kräfte der Praxis werden nicht angetastet. Methodisches Handeln wird hier zum Puppentheater, zur interessanten Spielerei, bei der der Methodenspieler sich der Illusion hingeben kann, etwas zu bewirken. Doch ist dieses Handeln nach Bernfeld dennoch mehr als einfache Spielerei. Indem es die Dynamik von Praxis nicht antastet, verfestigt es sie; es verwandelt Adressaten in eine bürgerliche Schafherde (ebd.: 111).
Mit diesem letzten Gedanken geht Bernfeld über das methodische Handeln hinaus. Der Vorwurf der Konservativität trifft vielfältige, auch engagierte Formen beruflichen Handelns:
"Edler, junger Mann, Sie haben recht, gehen Sie dorthin, wo Kinder sind, die an Liebe darben, geben Sie ihnen, nehmen Sie die richtige (glauben Sie mir, die versagende) Liebe und wirklich, Sie vermehren die Chancen für die Entwicklung der Menschheit. Aber vergessen Sie nicht, falls es Sie drängt zu theoretisieren, dass Sie notwendigerweise ein Einzelner sind, dass man Ihnen gewisslich das Handwerk legen wird, sowie Sie sich vervielfachen sollten, falls nicht vorher der kämpfende Sozialismus zu Ihrer Deckung und Sicherung eine neue Machtposition erkämpft haben sollte. Und dann seien Sie so lieb und blähen Sie sich nicht als Retter, Sie armer Statist, es steht Ihnen schlecht, und den Kindern, die Sie lieben, könnte es beifallen, Ihnen gleichzutun, und dann haben Sie Ihren eigenen Zweck zerstört" (ebd.: 131).
Er weiß Bescheid um seine Begrenzungen, doch bleibt er Statist. Sein engagiertes Handeln hat im Einzelfall Erfolg, doch dieser Erfolg kann nicht darüber hinweg täuschen, dass die sozialen Gegenkräfte verhindern werden, dass er aus der praktizierten Alternativität alternative Strukturen entwickeln kann. Und das will er vielleicht auch gar nicht, dieser reflektierte Überwinder des Tantalus, der Danaiden und selbst des Sisyphus: das Können steigt ihm zu Kopf, und es erfüllt ihn, dass seine Adressaten die gleiche Kompetenz erwerben wie er: "Sag mir, wie ich's machen soll!"
Kritische Soziale Arbeit impliziert notwendigerweise eine Methodenkritik, die die Irrelevanz bis hin zur Gefährlichkeit von praktischen Methoden benennt. Doch sie bleibt nicht bei der kritischen Analyse stehen, sondern wendet den Blick auf alternative Handlungslogiken. Bernfeld experimentierte im Kinderheim Baumgarten mit einer alternativen Form von Praxis, die die grundlegenden Dynamiken von Praxis aktiv und konstruktiv gestaltete (vgl. Bernfeld 1971). Dabei wird deutlich, dass das berufliche Handeln nicht von seinem politischen Kontext gelöst werden kann. Wenn Handeln Erfolg haben soll, muss es in politische Kontexte und Alternativen eingebettet sein. Doch Bernfeld geht noch einen Schritt weiter. Nicht im wichtigtuerischen praktischen Können eines ausgewiesenen Professionellen liegt die Wirksamkeit von Handeln begründet, sondern allein in einem gestalteten konkreten Milieu, in dem sich Handeln ereignet. Wie sich berufliches Handeln in einem durch soziale Strukturen und ein konkretes soziales Setting geprägten Milieu vollzieht, so ist auch das Handeln von Adressaten wesentlich durch die lebensweltliche Situativität bzw. Transversalität (Kunstreich) geprägt. Ein kompetenter Umgang mit Situationen jedoch stellt spezifische Anforderungen an die beruflich Tätigen und erfordert eine alternative Handlungskompetenz. Das vorliegende WIDERSPRÜCHE-Heft verfolgt beide Stränge, es verbindet die Kritik aktueller Methodenmodelle mit der Suche nach einer alternativen Handlungskompetenz. Eben taktvolles Handeln.
Zu den einzelnen Beiträgen
Hiltrud von Spiegel resumiert ihre jahrzehntelange Auseinandersetzung mit dem Thema Methoden der Sozialen Arbeit und durchwebt diese mit biografischen Momenten. In ihrer Kritik der radikalen Methodenkritik der 1970er Jahre kann sie der Frage: "Sag mir, wie?" durchaus etwas abgewinnen, ohne dabei die Technologiekritik mit ihrer einfachen Ziel-Mittel-Relation aus dem Auge zu verlieren. Methodisches Handeln geht nicht im Abspulen eines wissenschaftlich begründeten Programms auf, es wird nicht zu einem methodischen Spezialistentum, sondern geht vielmehr bewusst eklektisch vor und entwickelt aus einem Werkzeugkasten bewährter Handlungsroutinen praktische Handlungsanweisungen. Methoden werden erst dann dem Feld Sozialer Arbeit gerecht, wenn sie auf der einen Seiten die Einzigartigkeit von Adressaten achten und sich darauf konzentrieren, die Bedingungen des Handelns zu verändern statt diese selbst zu dressieren. Auf der anderen Seite müssen Methoden auch die Einzigartigkeit des Methodenanwenders respektieren, der erst vor dem Hintergrund seiner Persönlichkeit und seiner Überzeugungen aus den methodischen Ideen zu ihm selbst passende Handlungsroutinen entwickelt.
Joachim Weber kritisiert die Engführung von Methoden auf technisches Können, weil es dann keinen typologischen Unterschied mehr gibt, ob nach einer Anleitung von IKEA ein Schrank zusammengebaut, eine militärische Waffe konstruiert oder angewandt oder eine Praxissituation Sozialer Arbeit bearbeitet wird. Dieses Verständnis geht in der bloßen Verwirklichung wissenschaftlichen Wissens auf, erfüllt es lediglich und kann ihm nichts hinzufügen. Diese technologische Rationalität erlöst die einzelne Fachkraft - jedenfalls dem Anspruch nach - aus dem Gefühl des Ausgeliefertseins an schwierige, womöglich nicht zu beherrschende Situationen. Doch das ist trügerisch, denn die Angst vor dem Nichtverfügbaren verstärkt sich in dem Maße, wie jemand über schwierige Situationen zu verfügen meint, weil stets ein unkontrollierbarer, desto dunklerer Rest bleibt, der nun umso mehr ängstigt. Und weil diese instrumentelle Vernunft im Zwischenmenschlichen unweigerlich zur möglichst totalen Beherrschung von Praxis tendiert, ist ein alternatives Verständnis von Vernunft unverzichtbar. Daher setzt Weber diesem Social Engineering einen Entwurf von Klugheit als zwischenmenschlicher Praxis entgegen. Diese Klugheit lotet den jeweils nächsten möglichen Schritte überlegend aus und setzt ihn dann entschlossen um. Anders kann es nicht gehen, denn immer steht die Praxis der Sozialen Arbeit in einer Dynamik von Wirkkräften, die im Moment ihrer Wirkung sich oftmals der Beherrschbarkeit entziehen. Daher schlägt Weber den Weg des klugen Taktes vor.
Taktvolles kluges Handeln trifft den Zeittakt der Gegebenheiten unwillkürlich. Es geht um das richtige Wort zur richtigen Zeit. Um dieses Wort zu gewinnen, bedarf es vor allem der Achtsamkeit auf die kaum wahrnehmbaren Anfänge dieser Wirkmächte. Sozialpädagogisches Können versteht der Autor daher als die Fähigkeit, auf dem Weg des klugen Taktes solche zunächst nicht sichtbaren Wirkkräfte zu entdecken und dann unter Zurückstellung der eigenen Wirkmacht zur Entfaltung zu bringen.
Richard Utz thematisiert das Negativ der geistigen Kompetenz, die Dummheit, ohne diese als simples Fehlen von Intelligenz abzuqualifizieren. Dazu nutzt er verstreute Traditionen des okzidentalen Nachdenkens über das Phänomen der Dummheit bzw. Torheit, um seine These über den Sinn der Dummheit zu verdeutlichen. Wie die Klugheit so ist auch die Dummheit eng verbunden mit der spezifischen Qualität menschlicher Praxis, der Kontingenz und der damit verbundenen Einzigartigkeit. Sobald wir praktisch werden, machen wir Dummheiten. Wir scheitern immer wieder an der Praxis, weil wir gar nicht alle Aspekte berücksichtigen können, die für einen Ausschluss von Risiko notwendig wären. Doch die eigentliche Dummheit besteht nicht im Fehlermachen, im Scheitern, im Irrtum. Dummheit ist vielmehr durch eine spezifische Ignoranz gekennzeichnet, die (1) sich weigert, dieses Scheitern in das Handeln mit einzukalkulieren und damit von der Vorläufigkeit des eigenen Handelns absieht, (2) die es versäumt, Lehren aus dem Scheitern zu ziehen und somit ständig die gleichen Fehler machen muss oder aber (3) sich peinlich verhält, weil sie davon absieht, das eigene Handeln der kontingenten Praxis gegenüber passend zu machen und stattdessen ihr Ding durchzieht. Das Versprechen, dass es bestimmte Methoden gäbe, die mir die Praxis so strukturieren könnten, dass ihre Anwendung Praxis gelingen lässt, wäre eine solche dumme Anmaßung. Wer sich verabsolutiert und folglich vergisst, dass die eigene Denkwelt wie der eigene Handlungsimpuls nur eine Facette im praktischen Kontext ist, erliegt seiner Dummheit.
Christian Kolbe stellt die Frage nach guter Praxis im SGB II. Diese Frage ist eng damit verknüpft, wie die darin enthaltenen zentralen und teilweise widersprüchlichen formalen und inhaltlichen Ziele angemessen umgesetzt werden. Eine zentrale Rolle nimmt dabei die im Gesetz vorgesehene Figur des persönlichen Ansprechpartners ein. Sie soll dafür Sorge tragen, dass die Aktivierung der Leistungsempfänger in einer pädagogischen face to face Situation realisiert werden kann. Die persönliche Hilfe soll den entscheidenden Beitrag zur Arbeitsmarktintegration leisten, die Beratung selbst wird zum Kern der Leistung. Doch entwickelt diese Form der persönlichen Leistung unbeabsichtigte Nebenfolgen, weil die Handlungsautonomie der Street-Level-Bürokraten (Lipsky) und die Eigendynamiken der Institution nicht standardisiert und damit vorhersehbar gemacht werden können. Die Professionellen in den Behörden bleiben in machtvollen und unkontrollierten Position, deren Interaktionsarbeit schwerlich auf der Grundlage transparenter und gerechter Regeln justiert werden kann. Und das wäre auch nicht hilfreich. Hilfreich wäre dagegen ein vom Autor identifizierter Diskurs, in dem Ko-Produktion als zwingende Grundlage gesetzt wird, weil sich ein Wissen darüber durchsetzt, dass die Kompetenz der Persönlichen Ansprechpartner darin liegen muss, in komplexen Situationen kreativ und quer zu eindimensionalen Suchstrategien gemeinsam mit ihren Klienten zu denken. Doch ist eine derartige Reflexive Professionalisierung nicht zu erkennen. Vielmehr werden die Professionellen zwischen den Codes der Standardisierung über Regeljustierung einerseits und den sozialpädagogischen Codes andererseits zerrieben - auf Kosten ihrer Klienten. Sie geraten in die Normenfalle.
Timm Kunstreich schließlich operiert mit einer Gegenüberstellung von Verbindlichkeit mit technologischer und administrativer Logik im Gegensatz zu einer Verlässlichkeit aus Perspektive der Nutzer und deren Lebenswelt mit den Wirkfaktoren Potenzialität, Kooperation und Vertrauen. Die Herausforderung der Praxis besteht in dem "Kunststück", die institutionelle Logik der Verbindlichkeit mit der adressatenorientierten Logik der Verlässlichkeit zu verbinden.
Burkhard Müller hinterfragt in seinem Forum-Beitrag das medizinisch-technologische Handlungsmodell der Diagnostik und setzt es in Bezug zur sozialpädagogischen Verständigung. Anhand dreier Fallgeschichten kann er zeigen, dass Diagnostik insbesondere dann eine Rolle spielt, wenn Verständigung nicht gelingt. Die Diagnose markiert den Übergang vom Verstehen bzw. Verstehen wollen zum kausalen Erklären, das gleichzeitig die Ursache einseitig im Klienten und seinem Umfeld sucht, statt die eigenen Verständnisbarrieren mit zu thematisieren. Unter der Perspektive der Verständigung verwandeln sich dagegen die Fragen an den Fall in eine nicht-klinische Richtung: Was ist zwischen den Akteuren los, dass Verständigung nicht gelingt? Wie können Sozialpädagogen den Adressat_innen das Gefühl geben, gehört zu werden? Wer hat mit einem bestimmten Phänomen welches Problem?
Die Redaktion
Literatur
Bernfeld, Siegfried 1973: Sisyphos oder die Grenzen der Erziehung. Frankfurt: Suhrkamp
Bernfeld, Siegfried 1971: Kinderheim Baumgarten. Bericht über einen ernsthaften Versuch mit neuer Erziehung. In: ders.: Antiautoritäre Erziehung und Psychoanalyse. Ausgewählte Schriften Band 1. Frankfurt: März Verlag 4.Auflage, S.84-191