Inhaltsverzeichnis

Schwerpunkt

Alexis Tsipras hat Recht
Nicht nur Griechenlands Schulden sind unbezahlbar

Der Beitrag stellt die Relevanz von Schulden im und für den Kapitalismus heraus. Er beschreibt ihre ökonomische Funktion als Kehrseite der Vermögen und analysiert die Veränderungen der Regulation der Finanzmärkte in der jüngeren Geschichte des globalen Kapitalismus. In seiner Bezugnahme auf Griechenland zeigt sich, wie über Schulden auf staatliche Politiken Einfluss ausgeübt wird: Europäische Politik wird so sichtbar als Wirtschaftspolitik, nicht etwa als Sozialpolitik. Auch wenn die Normalität des Schuldenzyklus mit seiner Katastrophe einer Schuldenkrise ein gutes Argument für die Überwindung des Kapitalismus ist, steht politisch die zivile Regulation von Schulden an. Es ist besser, die Bilanz der Geldvermögensbesitzer zu verkürzen, statt Demokratie und sozialen Zusammenhalt einer Gesellschaft zu untergraben.

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Wie es der Sozialen Arbeit gelang, die exklusive Zuständigkeit für die Bearbeitung von kreditspezifischen, finanziell schwierigen Situationen zu erhalten...

Das Arbeitsfeld Schuldnerberatung bildete sich vor den Hintergrund steigender und sich verfestigender Arbeitslosenzahlen in den 1980er Jahren heraus. Viele Verbraucher_innen konnten ihre Verpflichtungen aus Konsumentenkrediten nicht mehr bedienen; aus Verschuldung wurde zunehmend Überschuldung. Die öffentliche Wahrnehmung dieses Phänomens als soziales Problem wurde in den folgenden Jahren begleitet durch konkurrierende Problemdeutungen unterschiedlicher Akteursgruppen. In diesen Aushandlungsprozessen konnte sich die Soziale Arbeit mit ihrem Deutungsmuster Überschuldung und dem spezifischen Bearbeitungsvorschlag Schuldnerberatung durchsetzen.

Schulden und die Grenzen des Betreibens eines eigenen Lebens

Wie bearbeiten soziale Akteur_innen ihre Schulden-Situationen im Alltag? Diese Frage ist in der aktuellen kapitalistischen Produktionsweise von besonderen Interesse, da sie zu einer Finanzialisierung des Alltags von Individuen und Haushalten führt. In der dem Text zugrunde liegenden Forschung werden vier zentrale Umgangsweisen erkannt: Sich Beschieden und klug wirtschaften, Arbeit ausüben, die Geld einbringt, Monetäre und soziale Dienstleistungen nutzen und Legitimation von Redlichkeit. Vor diesem Hintergrund fragt der Text, ob Schuldnerberatung aus Sicht der sozialen Akteur_innen ein hilfreiches Angebot in solch schwierigen Situationen ist und welche Arbeit sie investieren müssen, um sich Schuldnerberatung nutzbar zu machen. Die Betrachtung der Arbeitsweisen der Alltagsakteur_innen in schwierigen finanziellen Umständen führt zur politischen Frage nach einer Wohlfahrtsstaatlichkeit, die eine erweiterte Reproduktion aus deren Perspektive ermöglicht.|
1752|Schwerpunkt|4|Wie es der Sozialen Arbeit gelang, die exklusive Zuständigkeit für die Bearbeitung von kreditspezifischen, finanziell schwierigen Situationen zu erhalten...||186|Das Arbeitsfeld Schuldnerberatung bildete sich vor den Hintergrund steigender und sich verfestigender Arbeitslosenzahlen in den 1980er Jahren heraus. Viele Verbraucher_innen konnten ihre Verpflichtungen aus Konsumentenkrediten nicht mehr bedienen; aus Verschuldung wurde zunehmend Überschuldung. Die öffentliche Wahrnehmung dieses Phänomens als soziales Problem wurde in den folgenden Jahren begleitet durch konkurrierende Problemdeutungen unterschiedlicher Akteursgruppen. In diesen Aushandlungsprozessen konnte sich die Soziale Arbeit mit ihrem Deutungsmuster Überschuldung und dem spezifischen Bearbeitungsvorschlag Schuldnerberatung durchsetzen.|
1751|Schwerpunkt|3|Schulden und ökonomische Moral|Zu David Graeber: Schulden. Die ersten 5000 Jahre|186|Robert Foltin stellt in seinem Beitrag die grundlegenden Thesen von David Graebers viel beachtetem Werk Schulden. Die ersten 5000 Jahre vor. Einen besonderen Fokus legt Foltin auf Graebers Ausarbeitungen zu den moralischen Grundlagen von wirtschaftlichen Beziehungen. Differenziert zeigt der Autor dabei die Unterschiede zu marxistischen Argumentationen und Kritiken auf. In der Bezugnahme auf die aktuelle Krise des Kapitalismus diskutiert Foltin weiter die Frage nach den Möglichkeiten von emanzipatorischen Gesellschaftsveränderungen durch soziale Kämpfe in Graebers Werk und darüber hinaus.|
1750|Schwerpunkt|2|Die Legitimation ökonomischer Schulden als moralische Schuld|Ein bekanntes Drehbuch: Verschuldung und Reformzwang|186|In der politischen Auseinandersetzung um Schulden, Verschuldung und Überschuldung wird gegenüber Schuldnern, seien es Staaten oder Personen, auch auf Moral als Macht-und Herrschaftsinstrument zurückgegriffen. Die Frage der Schuld an den Schulden bildet den Ausgangspunkt des sozialethischen Blicks auf den Konflikt um Schulden. Hierbei wird die Tradition des rigiden, bis zur Versklavung gehenden, Umgangs mit Verschuldeten herausgearbeitet. Unter der Dominanz einer neoliberalen Schuldenökonomie werden Bürgerinnen und Bürger als verschuldete Menschen nicht nur für Staatsverschuldung haftbar gemacht. Gegenüber dieser neuen Schuldknechtschaft wird dafür plädiert, die Verantwortung für die Schulden an die zurückzugeben, die davon profitieren. Der Umgang mit Schulden ist nicht als alternativlos. Die Forderung nach einem Schuldenerlass kann als Kampf der sozialen Akteur_innen um die von ihnen erarbeiteten gesellschaftlichen Ressourcen verstanden werden.|
1749|Schwerpunkt|1|Alexis Tsipras hat Recht|Nicht nur Griechenlands Schulden sind unbezahlbar|186|Der Beitrag stellt die Relevanz von Schulden im und für den Kapitalismus heraus. Er beschreibt ihre ökonomische Funktion als Kehrseite der Vermögen und analysiert die Veränderungen der Regulation der Finanzmärkte in der jüngeren Geschichte des globalen Kapitalismus. In seiner Bezugnahme auf Griechenland zeigt sich, wie über Schulden auf staatliche Politiken Einfluss ausgeübt wird: Europäische Politik wird so sichtbar als Wirtschaftspolitik, nicht etwa als Sozialpolitik. Auch wenn die Normalität des Schuldenzyklus mit seiner Katastrophe einer Schuldenkrise ein gutes Argument für die Überwindung des Kapitalismus ist, steht politisch die zivile Regulation von Schulden an. Es ist besser, die Bilanz der Geldvermögensbesitzer zu verkürzen, statt Demokratie und sozialen Zusammenhalt einer Gesellschaft zu untergraben.|
1747|Kritische Soziale Arbeit: Eingriffe und Positionen|9|Die kritische Schreibwerkstatt||185||
1745|Forum|7|Zivilisierung und ontologische Invalidierung von Menschen mit Behinderung|Teil I|185|Im Folgenden werde ich - mit Bezug auf Norbert Elias - aufzeigen, dass die Behandlung von Menschen mit Behinderung in der Moderne ein barbarischer Nebenkriegsschauplatz auf dem langen Marsch des Zivilisationsprozesses (Elias 2000) ist. Der personality structure Ableismus (Kumar Campbell 2012) der Moderne transformiert die eigene ontologische Unsicherheit in Aversion gegen Behinderung und in deren Entsorgung. Diese negierende Antwort auf biologische und geistige Differenzen in der Moderne wird vom Streben nach der Norm des bereinigten menschlichen Verhaltens und Erscheinungsbildes (Elias 2000) sowie der in den Zivilisationsprozess eingebetteten Tendenz getragen, die physische bzw. intellektuelle Unterschiedlichkeit zu belächeln und zu verachten. Die gesellschaftlichen und sozialpolitischen Antworten auf Behinderung in der Moderne können und dürfen nicht von der emotionalen Aversion gegenüber Einschränkungen getrennt werden, die die Hegemonie des Nicht-Behinderten kennzeichnen. Mit Elias Konzepten der Psychogenese und Soziogenese werde ich erläutern, wie sich die Geschichte von Behinderung in der Moderne in Richtung einer sozialen und ontologischen Invalidierung des Lebens von Menschen mit Behinderung entwickelt hat.|
1744|Forum|6|Was leisten Sozialpolitik und Soziale Arbeit in wohlfahrtsstaatlich verfassten Nationalgesellschaften?|Eine Replik|185|Die Replik bestreitet die von Norbert Wohlfahrt in seinem Beitrag zum Heft 133 Vom 'Klassenkompromiss' zur klassenlosen Staatsbürgergesellschaft? Zu einigen Widersprüchen einer 'inklusiven' Sozialpolitik provozierend vorgetragene These, dass die systemtheoretische Unterscheidung von Inklusion und Exklusion einen normativen Maßstab und ein normatives Verständnis der Aufgaben Sozialer Arbeit voraussetzt oder impliziert. Zudem kontert er Wohlfahrts dezidierte Kritik, dass weder das Bildungswesen noch die Arbeitswelt oder der Zugang zu sozialen Leistungen [...] einem Prinzip von Einschluss oder Ausschluss folgen.|
1743|Schwerpunkt|5|Der lange Weg zur Sozialraumorientierung|Unterschiedliche Sichtweisen beim Umstrukturierungsprozess|185|Der Beitrag untersucht den Change-Management-Prozess eines regionalen Wohlfahrtsverbandes weg von einer traditionell versäulenden Struktur nach Fachgebieten hin zu einer Sozialraumorientierung in Verbindung mit der Bildung entsprechender Sozialraumteams. Dabei kommt nicht nur in den Blick, wie und mit welchen Strategien verschiedene Akteurskonstellationen ganz unterschiedliche Interessenlagen in diesen Prozess verfolgen. Es werden auch Verbindungen zu in bestimmten Arbeitsfeldern präferierten Methoden Sozialer Arbeit hergestellt und aufgezeigt, wie damit korrespondierende Professionsverständnisse durch den Umsteuerungsprozess auf Sozialraumorientierung in je eigener Weise tangiert werden.|
1742|Schwerpunkt|4|Warum Bildungslandschaften?|Einige Überlegungen zu Form und Konjunktur einer eigenartigen Figur|185|In der inzwischen breiten Debatte um Bildungslandschaften stellt die Frage nach ihrer Form und Funktion einen weitgehend blinden Fleck dar. Es wird viel über die konkreten Programmziele und -inhalte einzelner Bildungslandschaften geschrieben, aber wenig darüber, warum diese Ziele und Inhalte überhaupt in genau dieser Form programmiert werden. Ebenso bleibt die Frage nach der Funktion, die sie in der Restrukturierung von Bildung im postwohlfahrtsstaatlichen Arrangement erfüllen, weitgehend ausgeklammert. In dem Artikel wird die These verfolgt, dass Bildungslandschaften deshalb so beliebt sind, weil sie Antworten auf ein ganzes Bündel von Fragen versprechen, die aus objektiven Anforderungen an das Bildungssystem resultieren. Die eigenartige Figur der Bildungslandschaft wird dabei als das Resultat der Anstrengung verstanden, diverse Herausforderungen zu meistern, die gegenwärtige gesellschaftliche Transformationsprozesse mit sich bringen. Diese widersprüchlichen Prozesse in und hinter den Bildungslandschaften deutlich und zum Gegenstand der Diskussion zu machen, ist das Anliegen der Autoren.|
1741|Schwerpunkt|3|Gemeinwesen und Sozialraum im Spannungsfeld von Rechtsextremismus|Gemeinwesenorientierte Beratungsarbeit Mobiler Beratungsteams|185|Die Stichworte Gemeinwesen und Sozialraum waren handlungsleitende Stichworte einer gemeinwesenorientierten Beratungsarbeit von Mobilen Beratungsteams im Spannungsfeld Rechtsextremismus. Die hiermit verknüpfte Verortung von Sozialraum und Gemeinwesen als Territorium, erweist sich als Selbstbegrenzung und neue Form von gouvernance. Darüber hinaus ist die in der Beratungsarbeit angelegte antirassistische Politik in Deutungsmustern und ideologischen Grenzziehungen von Rassismus und Kulturalismus gebrochen. Hieraus resultiert die Notwendigkeit, das Lokale als sinnlich-kooperativer Zusammenhang zu denken.|
1740|Schwerpunkt|2|(Re)produktion von (Un)Ordnung im öffentlichen Raum||185|Im vorliegenden Beitrag wird eine raum(re)produktionsthoretische Analyse fachlicher Praxis in der Sozialen Arbeit vorgestellt. Dabei fokussieren wir Soziale Arbeit als Akteurin im Prozess der Bearbeitung und Herstellung öffentlicher Ordnung im Kontext großstädtischer Stadtteilentwicklung. Unsere Argumentation basiert auf empirischen Befunden, die wir im Essener Forschungsprojekt Urbane Raum(re)produktion Sozialer Arbeit im Rahmen ethnographischer Untersuchungen gewonnen haben. Von einer praxeologischen Position aus erweisen sich Ordnungsprozesse im öffentlichen Raum als Prozesse der Sichtbar- und Unsichtbarmachung von Adressat_innen fachlicher Angebote in der Sozialen Arbeit dar. Diese realisieren sich u.a. als Exklusion von Zielgruppen aus dem öffentlichen Raum oder als Bereitstellung von Schutzräumen für diese Gruppen. Der Beitrag diskutiert diese Prozesse als unterbelichtete Seite (sozial)raumorientierter Ansätze in der Sozialen Arbeit.|
1739|Schwerpunkt|1|Über den emanzipatorisch-utopischen Gehalt von Sozialraumorientierung||185|Der emanzipatorisch-utopische Gehalt von Sozialraumorientierung wird bis hin zum Beginn Sozialer Arbeit in den Settlements zurückverfolgt, um dann die Transformation emanzipativer Programmatiken in der Gemeinwesenarbeit und Alltags- und Lebensweltorientierung nachzuzeichnen. Gegenüber den utopie- und bewegungslos geworden aktuellen Debatten um den Sozialraum, werden im Vergleich der Positionen Jacques Rancière und Benjamin Barber radikal-demokratische bzw. kommunitarische und dystopische bzw. utopische Fragmente mit der Intention aufgegriffen, die festgefahrenen Debatten in der Sozialen Arbeit zu öffnen.|
1737|Kritische Soziale Arbeit: Eingriffe und Positionen|11|Anregungen zur Operationalisierung|Vorschlag für ein empirisches Rahmenkonzept zur Auswertung des Aufrufs Dressur zur Mündigkeit? des AKS Hamburg vom 14.07.2014|183||
1734|Forum|8|Grundeinkommen und Carearbeit||183|Die Figur des bedingungslosen Grundeinkommens wird als Ansatz pointiert, selbstverständlich etwas zu bekommen, ohne dafür eine Gegenleistung erbringen zu müssen. Er zeigt, dass eine Perspektive gegenseitiger anerkannter Abhängigkeit nicht zu Zwangsbeziehungen führen muss, sondern ein hohes Maß an Freiheit beinhaltet. In einem zweiten Schritt werden unterschiedliche feministische Theorie- und Handlungskonzepte darauf hin überprüft, ob und wie weit sie diesem Konzept einer Verschränkung von Care und Grundeinkommen folgen.|
1733|Forum|7|Care und Grundeinkommen|Oder: Postpatriarchal gedacht macht das bedingungslose Grundeinkommen Sinn|183|Die Debatte um ein bedingungslose Grundeinkommen wird im einem erweiterten Verständnis von Ökonomie kontextualisiert, das - im Gegensatz zur dominanten herrschenden Vorstellung von Ökonomie - bedürfnisbasierte Care-Tätigkeiten nicht ausblendet und die androzentrische Zweiteilung höherer männlicher und niederer weiblicher Tätigkeiten zu überwinden beansprucht. Am Verlauf der Schweizer Volksinitiative 2012/2013 für ein bedingungsloses Grundeinkommen wird zugleich die hartlebige Verwurzelung des traditionellen Ökonomieverständnisses demonstriert.|
1732|Schwerpunkt|6|Care-Revolution - ein kommender wichtiger Akteur?|Ein Kommentar|183|Aus der Perspektive der politischen Arbeit der Attac-AG Genug für Alle wird die Möglichkeiten aber auch Begrenzungen der Care Revolution Aktionskonferenz als Beginn einer sozialen/politischen Bewegung diskutiert. Die Unschärfe und damit Beliebigkeit des Care-Begriffes als Containerbegriff wird problematisiert und an Beispielen aus dem Gesundheitswesen belegt, dass Care sehr wohl auch neoliberal genutzt wird. Votiert wird für eine kritische Analyse, was jeweils unter Care verstanden wird, wer den Begriff nutzt und wem er nützt.|
1731|Schwerpunkt|5|Care-Konferenz 2014 - Wo ist die Revolution?||183|Bei aller Begeisterung für die auf der Aktionskonferenz Soziale Reproduktion in der Krise - Care Revolution als Perspektive präsentierte Vielfalt, wird die inhaltliche Unschärfe des Care-Begriffes, sein Mangel an Profil, und die damit verbundene Schwammigkeit der gemeinsamen Diskussion sowie des gemeinsamen Dritten problematisiert. Statt im Diskurs ein Gemeinsames zu konstruieren, wäre - so der Vorschlag - an den vielfältigen real existierenden Konflikten und Erfahrungen anzusetzen.|
1730|Schwerpunkt|4|Care is love?|Einige Überlegungen zu Stärken und Fallstricken der aktuellen Debatte um Care-Arbeit|183|Das Positionspapier beleuchtet kritisch die Begriffsverschiebung von Reproduktionsarbeit zu Care. Im Anschluss an neuere queer-feministische und intersektionale Analysen des Zusammenhangs von Geschlecht und (Re-)Produktionsprozessen beleuchtet es Blindstellen des Care-Revolution-Diskurses, um daraus auch neue inhaltliche Akzente bezüglich einer Politik der 1. Person zu gewinnen.|
1729|Schwerpunkt|3|Soziale Reproduktion in der Krise - Care Revolution als Perspektive||183|Im Zentrum der Grundsatzrede zur Eröffnung der Care-Revolution Aktionskonferenz im März 2014 in Berlin: Soziale Reproduktion in der Krise - Care Revolution als Perspektive steht die Frage nach dem Verbindenden der vielfältigen Initiativen, die aus unterschiedlichen Lebenslagen und Bedürfnissen heraus sich an der Aktionskonferenz beteiligt haben, sowie das Selbstverständnis der Care-Revolution-Bewegung. Ergänzt wird diese Rede um eine Einschätzung des durch die Konferenz angestoßenen Prozesses.|
1728|Schwerpunkt|2|Warum Care-Revolution?||183|Der Text Warum Care Revolution versucht die komplexe Diskussion zu dem Thema Care Revolution einzuleiten. Es werden die Unterschiede zwischen Reproduktions- und Care-Arbeit sowie einige aktuell politische Anschlüsse angerissen. Nach einem geschichtlichen Einstieg wird auf die Krise der sozialen Reproduktion eingegangen und die Care Revolution als ein Ausweg vorgeschlagen. Die Idee der Care Revolution führt weit weg von den aktuellen ausbeuterischen und umweltzerstörenden Produktionsverhältnissen. Das darf uns aber nicht davon abhalten, konkret zu werden. Es existieren ausreichend Theorien, die sich in Abstraktionen ergehen und um die richtigen Anschlüsse streiten. Auf der Metaebene findet sich immer ein sicheres Plätzchen, wenn die Angst vor den realen, aber unübersichtlichen Verhältnissen zu groß ist. Die Idee einer Care Revolution enthält theoretische Leerstellen, jedoch ist sie ein Versuch, gesellschaftliche Missstände zu verändern. Dass es auch hier Nachbesserungs- und Diskussionsbedarf gibt, sei unbestritten, und dazu soll auch dieser Text anregen.|
1727|Schwerpunkt|1|Auf dem Weg zu einem dialektisch-materialistischen Care-Begriff||183|Der grundlagentheoretischen Beitrag rekonstruiert zunächst die Geschichte des Dualismus von Produktion und Reproduktion im Diskurs der sich materialistisch verstehenden Geschlechterforschung und deren Fortsetzung bzw. Verschiebung in der aktuellen Care-Debatte. Mit der Figur der einer Ökonomie lebendiger Arbeit folgenden (Re-)Produktion menschlicher Subjektivität schlägt er nicht nur eine dialektische Aufhebung dieses Dualismus vor, die sich bis hinein in eine Analytik der unterschiedlichen Gegenstände, Arbeitsbündnisse und Produktionsverhältnisse von Sorgearbeit konkretisiert. Er stellt damit zugleich eine politische Perspektive für die sich gegenhegemonial zur kapitalistischen Ökonomie toter Arbeit formierende Care-Revolution-Bewegung zur Diskussion und trachtet, Carern eine an Butlers politischer Ethik der Verletzlichkeit anschließende professionelle Perspektive zu eröffnen.|
1725|Kritische Soziale Arbeit: Eingriffe und Positionen||Dressur zur Mündigkeit?|Für die Verwirklichung der UN Kinderrechts-Konvention statt Überwachen und Erniedrigen in den Grauzonen der Hilfen zur Erziehung!|182||
1723|Forum|9|Die Ökonomien des medizinischen Kodierens|Kodierfachkräfte im Spannungsfeld zwischen medizinisch-pflegerischen und betriebswirtschaftlichen Ansprüchen - Teil 2|182||
1722|Schwerpunkt|8|Inklusion und Disability Studies aus der Perspektive einer Traditionseinrichtung||182|Im Zentrum des Beitrages des Vorstandssprechers des Wittekindshofs stehen die konkreten Herausforderungen, die sich aus der mit der Inklusionsprogrammatik verbundenen individuellen Förderung im Zusammenhang mit der Eingliederungshilfe für eine Einrichtung ergeben, welche in der Tradition einer klassischen diakonischen Anstalt steht. Erläutert wird nicht nur das unter direkter Beteiligung der Mitarbeitenden erarbeitete Handlungsleitende Bild, welches Inklusion als Teilhabe in jedem Lebensalter zu konkretisieren sucht. Darüber hinaus wird dabei der fundamentale Unterschied zwischen einem modernen Individualitätsverständnis und dem Begründungsmuster des biblischen Verständnisses von Individualität, dem sich die Einrichtung verpflichtet weiß, herausgearbeitet. Die daraus abgeleitete Maxime, jede(n) Einzelne(n) konsequent an den ihm/ihr eigenen Fähigkeiten und Fertigkeiten zu fördern lässt den sozialpolitisch eher diffusen Begriff der Inklusion obsolet werden.|
1721|Schwerpunkt|7|Politische Emanzipation und demokratische Inklusion||182|Nicht jede behindertenpolitische Forderung nach demokratischer Inklusion, so die Kernthese dieses Beitrags, genügt auch der Bedingung politischer Emanzipation. Am Beispiel der in der Bundesrepublik geführten Debatte um § 13 Nr. 2 des Bundeswahlgesetzes wird gezeigt, dass selbst die Argumente der Gegnerinnen und Gegner des Wahlrechtsausschlusses einem privilegistischen Demokratieverständnis verhaftet bleiben, das mit der demokratietheoretischen Auffassung der UN-Behindertenrechtskonvention und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) unvereinbar ist. Der Beitrag arbeitet die politikphilosophischen Gründe heraus, warum künftige Gleichstellungspolitiken den Prämissen des EGMR folgen und eine Emanzipation von dem bislang als selbstverständlich vorausgesetzten Demokratiekonzept anstreben sollten.|
1720|Schwerpunkt|6|Zur Frage von Bildung und geistiger Behinderung|Die Praxisreflexion eines medienpädagogischen Projektes mit theoriegestützten Impulsen|182|In Form der Praxisreflexion eines medienpädagogischen Projektes mit theoriegestützten Impulsen prüft der Beitrag den emanzipatorischen Gehalt von Bildung und pädagogischer Praxis, um schließlich dialektisch die Normativität des Begriffes geistige Behinderung im Postulat einer veränderten gesellschaftlichen Praxis aufzuheben.|
1719|Schwerpunkt|5|Anerkennung von Verletzlichkeit und Angewiesen-Sein||182|Ausgangspunkt des Beitrages ist das geradezu paradoxe Phänomen, dass obwohl empirisch zumindest ab einem bestimmten Lebensalter sehr viele Menschen von Behinderung betroffen sind, der symbolische Bedeutungsgehalt dieser Kategorie zumindest latent mit Abweichung assoziiert wird. Gezeigt wird, dass die dafür als Hintergrund fungierenden gängigen Normalitätsvorstellungen nicht nur eine Art Leistungsfetisch beinhalten, sondern als phantasmatische Vollkommenheitsvorstellung den zentrierenden Kern unseres Begriffssystems bilden. Weiterhin wird dargelegt, wie damit in Verbindung stehende normative Ordnungsmuster auch in der inneren Struktur des Individuums Wirksamkeit entfalten und in der Subjektkonstitution zu einer Verkennung von Abhängigkeit führen.|
1718|Schwerpunkt|4|Invalidierung|Eine Theoretisierung der Ausschließung von Behinderung|182|Der Beitrag skizziert, das Konzept der Invalidierung als Transformation von (bestimmten) körperlichen Unterschieden in Behinderungen und gesellschaftliche Unterdrückungsverhältnisse. Der Kerngedanke ist, dass solche Dynamiken historisch und kulturell – nicht zuletzt verwoben mit Normen, Werten und Produktionsverhältnissen bzw. Verteilungsstrukturen – variieren, als solche jedoch in die Geschichte der Menschheit bzw. den Prozess der Zivilisation eingeschrieben sind.|
1717|Schwerpunkt|3|Kritische Perspektiven zu Inklusion als Diskurs und Konzept||182|In kursorischen Blicken und Anmerkungen zu den konkreten Entwicklungen und Politiken, mit denen hierzulande der UN-Konvention genüge getan und das Integrationskonzept durch die Ermöglichung von Teilhabe und Selbstbestimmung abgelöst werden sollen, werden Zielsetzung wie hegemoniale Rede von der Inklusion grundsätzlich in Frage gestellt. Dabei wird scharf nachgezeichnet, wie mit der auf ‚best practice‘ Modelle fokussierten und pädagogisch-therapeutisch gewendeten Praxis Machtverhältnisse, strukturell verankerte Diskriminierungen und Ungleichheiten negiert, ignoriert und (dadurch) in bester Absicht sogar reproduziert werden.|
1716|Schwerpunkt|2|Exklusion als (notwendige) Kehrseite von Inklusion||182|In Form eines Essays wird das Wagnis eingegangen, in der aufgeregten Inklusionsdebatte zumeist ausgeblendete bzw. übergangene Grundfragen von Pädagogik und Bildung noch einmal neu anzudenken. Dabei liegt der Fokus auf der Analyse von Widersprüchen, Paradoxien und Illusionen, die sich aus den Programmatiken der Inklusion und Förderung für die Pädagogik ergeben. Im enttäuschten Paradiesversprechen Bildung für alle wird ein zentraler Erklärungsgrund für die Härte der Debatte um Inklusion und die Rigidität der darin erhobenen Forderungen in den Blick genommen. Zudem wird dargelegt, wie Behinderung für das politische Inklusionsprojekt geradezu instrumentalisiert wird. Deutlich wird so, dass es keine Alternative zur Dialektik von Inklusion und Freiheit gibt.|
1715|Schwerpunkt|1|Vom Klassenkompromiss zur klassenlosen Staatsbürgergesellschaft?|Zu einigen Widersprüchen einer inklusiven Sozialpolitik|182|Vor dem Hintergrund einer historischen Rekonstruktion der Entwicklung von einer staatsbürgerlichen Inklusionspolitik in Form eines sozialstaatlichen Klassenkompromisses, hin zu einer inklusiven Konkurrenzgesellschaft und deren sozialstaatlicher Idealisierung, wird aufgewiesen, wie das, was zunächst ganz banal die Möglichkeit einer lohnabhängigen Erwerbsarbeit war, nun theoretisch zu einem Gerechtigkeitsdiskurs der Befähigung zur gerechten Teilhabe fortentwickelt wird. Beleuchtet werden die mit dem aktivierenden Prinzip der neuen sozialstaatlichen Orientierung verbundenen Spannungsverhältnisse an den vom Leitbild der Inklusion und der damit verbundenen Propagierung von Diversity ausgehenden organisationellen Anforderungen sowohl an Kindertagesstätten und Erziehungshilfen wie auch an das Schulsystem.|
1711|Forum|7|Die Ökonomien des medizinischen Kodierens|Kodierfachkräfte im Spannungsfeld zwischen medizinisch-pflegerischen und betriebswirtschaftlichen Ansprüchen - Teil 1|181|Seit seiner Einführung in Deutschland im Jahr 2003 hat das auf den so genannten Diagnoses Related Groups (DRGs) bzw. Fallpauschalen basierende Abrechnungs- und Finanzierungssystem stationärer Leistungen die wissenschaftliche und öffentliche Meinung polarisiert. Von den einen wurde es als effizientes Mittel gesehen, angeblich explodierende Krankenhausausgaben in den Griff zu bekommen, von den anderen als Treiber der Ökonomisierungs- und Privatisierungsprozesse der öffentlichen Gesundheitsversorgung. Der sich auf eine Fallstudie stützende Artikel zeichnet aus einer arbeitssoziologischen Perspektive nach, in welcher Weise das Ärzte-, Pflege- und Verwaltungspersonal in den Abrechnungsprozess involviert ist und welche Praktiken und Konflikte sich um die Kodierung von Diagnosen und Prozeduren sowie die Steuerung der Verweildauer von Patienten entwickelt haben. Im Zentrum der Betrachtung stehen die dem Medizincontrolling zugeordneten Kodierfachkräfte, eine sich im Wesentlichen aus ehemaligen Pflegekräften und Arzthelferinnen rekrutierende neue Beschäftigtengruppe, die als Bindeglied zwischen dem medizinischen und dem administrativen Bereich fungiert. In einem zweiten, in Heft 133 der Widersprüche erscheinenden Teil werden die Spannungen zwischen ethisch-professionellen Orientierungen und zunehmenden betriebswirtschaftlichen Ansprüchen, denen die Kodierfachkräfte ausgesetzt sind, anhand von zwei Fallbeispielen illustriert und ein Resümee gezogen.|
1710|Forum|6|Die Stimme der Betroffenen|Ehemalige Heimkinder in Baden-Württemberg|181|Die Menschenrechte von Kindern und Jugendlichen in den Heimen der frühen Bundesrepublik sind - insbesondere in den 50er und 60er Jahren - erheblich verletzt worden. Der Beitrag behandelt physische, psychische und sexualisierte Gewalt, Missbrauch und Demütigung in der Erziehung sowie deren Einbettung in sie begünstigende gesellschaftliche Strukturen und Machtverhältnisse. Die Geschichte des Fonds Heimerziehung, die Arbeit der Anlauf- und Beratungsstelle Heimerziehung (ABH) in Baden-Württemberg sowie die Arbeit des Beirats der ABH werden vorgestellt. Die Einbindung der Betroffenen wird (kritisch) reflektiert. Politische Forderungen und offene Fragen rücken berufsethische Dimensionen der Verantwortung in den Mittelpunkt sowie konkrete zeitnahe Umsetzungsmöglichkeiten. Die Autorinnen sind seit 2012 Vorsitzende des Beirats der Anlauf- und Beratungsstelle Heimerziehung in Baden-Württemberg.|
1709|Schwerpunkt|5|Über die Schwierigkeiten, Kritik zu lehren und zu lernen||181|Die Schwierigkeiten, Kritik zu lehren und zu lernen beruhen auf einem strukturellen Konflikt zwischen dem fragmentarischen Alltagsverstand, der sich in der Bewältigung des Alltags bewährt hat, und kritischen Theorien, die einen Anspruch gesellschaftlichen Zusammenhang erheben. Kritische Lehre hat daher zunächst Kritik des Alltagslebens zu sein.|
1708|Schwerpunkt|4|Zur Aktualität des Abolitionismus als Denkweise mit Möglichkeitssinn||181|Thematisiert wird der Abolitionismus als eine Praxis radikaler Kritik einzelner Herrschaftstechniken (Sklaverei, institutioneller Rassismus, Apartheit, Todesstrafe, Gefängnis) und als eine Denkweise, die Möglichkeitssinn entwickelt. Abolitionismus denken heißt, die Möglichkeiten einer Gesellschaft zu denken, auszukommen: ohne Ausschließungsregime, ohne Ausschließung durch Einschließung in all ihren Formen, zuerst ohne die Institution Verbrechen & Strafe, ohne institutionelle Diskriminierung durch integrierende Institutionen, ohne eliminatorische und technische Problemlösungsphantasien.|
1707|Schwerpunkt|3|Reflexivität als Denkmodell und Perspektive in den Sozialwissenschaften||181|Der Beitrag diskutiert drei etablierte Begriffsbestimmungen: Reflexivität als Steuerung und Optimierung von Handeln; als Analyse der wissenschaftlichen Produktionsbedingungen, als Analysen des methodischen Vorgehens und der Methodenperfektion. Dagegen wird Reflexivität umfassende theoretische Perspektive entwickelt: als Analysen der Bedingungen der Möglichkeit eines Phänomens. Unter kritischer Reflexivität wird die Analyse der herrschaftlichen Verfasstheit aller Interaktionen, Situationen, Institutionen bis hin zu zentralen Vergesellschaftungsformen einer Produktionsweise verstanden. Die abstrakten und theoretischen Bestimmung wird konkretisiert mit Darstellungen von Regeln eines (intellektuellen) Verstehens durch Analyse von Arbeitsbündnissen zwischen Forschungsmaterial und Interpretinnen.|
1706|Schwerpunkt|2|Ungewisse Evidenz und lebendige Sprache|Reflexive Professionelle als Trickster|181|In der Vergangenheit wurde viel über die Ungewissheiten und Kontingenzen von Praxis wie auch die an SozialarbeiterInnen gerichteten Forderungen, diese Ungewissheiten durch die explizite Verwendung von formalem Wissen zu verringern, diskutiert. Ein oft vorgeschlagener Weg, um dieses Ziel zu erreichen, ist die evidenzbasierte Praxis. Eine solche Orientierung an formalem Wissen, bei dem aus Ungewissheit Gewissheit geformt wird, lenkt von der Tatsache ab, dass sowohl Wissen als auch Routinepraktiken Professionelle häufig auch in solchen Situationen zu frühzeitigen und sicheren Beurteilungen treiben, in welchen eine Position respektvoller Ungewissheit vielleicht angemessener wäre. Um ihre Arbeit erledigen zu können, müssen Professionelle ihre Meinungen so verpacken, dass sie für andere lesbar, verständlich, ja konsumierbar werden. Sie müssen in der Lage sein, ihre Beurteilungen zu rechtfertigen, nachzuweisen und diese in einem performativen Akt durchzuführen. Das heißt, professionelle Erklärungen und Deutungen hängen von den zur Verfügung stehenden Vokabularen ab. Mit Hilfe des anthropologischen Begriffes des Tricksters als Metapher soll in diesem Aufsatz argumentiert werden, dass die Fähigkeit dazu, Sprache und allgemein akzeptierte Ideen aufzurütteln, entscheidend wichtig für kritische, reflexive Praxis sein kann.|
1705|Schwerpunkt|1|Über den Sinn der Streitbarkeit in Fragen von Kritik und Reflexivität|Eine virtuelle Diskussion|181|Diskutiert wird die Frage Haben wir es mit einer Konjunktur von Kritik in der Sozialen Arbeit zu tun oder muss man von einer langen Welle von Institutionenkritik ausgehen? Für welche Distinktionspraktiken lassen sich welche Praktiken von Kritik nutzen? Die Situation der Diskussion wurde genutzt, (Vor-)Annahmen und theoretische Bezüge der Diskutant*innen verdichtet darzustellen und/oder die Begrifflichkeiten in andere Perspektiven zu übersetzen. Sehr skeptische haben die Beteiligten die aktuellen Bedingungen der Möglichkeit von Reflexivität und von herrschaftskritischem und radikalem Denken beurteilt. Als gegenwirkende wissenschaftliche Strategien werden ganz verschiedene Praktiken vorgeschlagen: (Selbst-)Reflexivität in der Wissenschaft, unterstützende gleichwohl Differenz und Verschiedenheit anerkennenden Arbeitsbündnissen zwischen Theorie und Praxis und Arbeitsbündnisse intellektueller Arbeit, die dem bisher Nicht-Identisch-Gemachten der Subjekte gesellschaftlich zur Sprache verhilft.

Das Recht auf ein Girokonto
(Fehl-) Entwicklungen und Perspektiven

Die Frage nach hilfreichen Unterstützungsangeboten in schwierigen finanziellen Situationen wird in dem Text aus juristischer Perspektive gestellt. Der Zugang zum bargeldlosen Zahlungsverkehr für Menschen in finanziellen Schwierigkeiten ist politisch stark umstritten. Das Recht auf ein Girokonto für jedermann scheiterte bisher immer an der Macht der Banken,sich dazu nicht verpflichten zu lassen. Interessanterweise hinkt die deutsche Rechtsprechung beim Recht auf ein Girokonto den europäischen Richtlinien hinterher. Als ein Fazit des Textes steht die Einschätzung, dass durch die Implementierung des europäischen Standards zwar bereits einiges gewonnen, das Thema der Kontolosigkeit jedoch nicht automatisch beendet wäre.

Im Schuldturm
Wohnungslosigkeit und Überschuldung

Trotz gesetzlicher Regelungen zur Vermeidung von Mietschulden sind diese nach wie vor eine wesentliche Ursache für Wohnungslosigkeit. Möglichkeiten der sozialstaatlichen Intervention gibt es auch bei Strom- und Energieschulden. Auch diese sind eine wesentliche Bedrohung für die Sicherung der Wohnung und die gesamte Lebenssituation. Negative Etikettierungen als finanziell riskante Individuen oder Haushalte stellen sich als schwer überwindbare Barrieren auf dem Wohnungsmarkt dar. Öffentliche Unterbringung von Wohnungslosen wird zum modernen Schuldturm und verweist auf Fehler der sozialpolitischen Regulation und die Ignoranz gegenüber Handlungsmöglichkeiten sozialer Arbeit.

Forum

Zivilisierung und ontologische Invalidierung von Menschen mit Behinderung
Teil II

Im Folgenden werde ich - mit Bezug auf Norbert Elias - aufzeigen, dass die Behandlung von Menschen mit Behinderung in der Moderne ein barbarischer Nebenkriegsschauplatz auf dem langen Marsch des Zivilisationsprozesses (Elias 2000) ist. Der personality structure Ableismus (Kumar Campbell 2012) der Moderne transformiert die eigene ontologische Unsicherheit in Aversion gegen Behinderung und in deren Entsorgung. Diese negierende Antwort auf biologische und geistige Differenzen in der Moderne wird vom Streben nach der Norm des bereinigten menschlichen Verhaltens und Erscheinungsbildes (Elias 2000) sowie der in den Zivilisationsprozess eingebetteten Tendenz getragen, die physische bzw. intellektuelle Unterschiedlichkeit zu belächeln und zu verachten. Die gesellschaftlichen und sozialpolitischen Antworten auf Behinderung in der Moderne können und dürfen nicht von der emotionalen Aversion gegenüber Einschränkungen getrennt werden, die die Hegemonie des Nicht-Behinderten kennzeichnen. Mit Elias Konzepten der Psychogenese und Soziogenese werde ich erläutern, wie sich die Geschichte von Behinderung in der Moderne in Richtung einer sozialen und ontologischen Invalidierung des Lebens von Menschen mit Behinderung entwickelt hat.

Die Handlungsfähigkeit der Adressat*innen
Überlegungen zum Begriff des Subjekts im Dialog zwischen Sozialer Arbeit und Kritischer Psychologie

Der Beitrag thematisiert Implikationen für Soziale Arbeit, die sich aus der Verschränkung eines kritischen Adressat*innenbegriffs und des kritisch-psychologischen Konzepts der Handlungsfähigkeit ergeben. Ausgangspunkt ist die historisch-gesellschaftliche Kategorie des Subjekts, dessen philosophischen Implikationen, wie sie auch in der Sozialen Arbeit (etwa im Begriff der Bildung) und im Adressat*innenbegriff (in der Dialektik von handlungsfähigen Subjekten und sozialinstitutioneller Formierung) aufgehoben sind. Diese Relation bildet den gedanklichen Hintergrund, vor dem das Konzept der Handlungsfähigkeit nach Klaus Holzkamp, vorgestellt und strukturiert nach Theorie, Praxis, Politik des Sozialen sowie Partizipation diskutiert wird.

Eingriffe und Positionen

Das empirische Konzept Dressur zur Mündigkeit?

Editorial

"Im Kapitalismus ist eine Religion zu erblicken" (Benjamin 1921/1991: 1000), so schreibt Walter Benjamin in seinem nie fertig gestellten fragmentarischen Text "Kapitalismus als Religion". Reiner Kult und permanente Dauer des Kultes sind ihm zufolge zwei wesentliche Merkmale der kapitalistischen Religion, gefolgt von einem dritten: der Verschuldung.

"Der Kapitalismus ist vermutlich der erste Fall eines nicht entsühnenden, sondern verschuldenden Kultus. Hierin steht dieses Religionssystem im Sturz einer ungeheuren Bewegung. Ein ungeheures Schulbewusstsein das sich nicht zu entsühnen weiß, greift zum Kultus, um in ihm diese Schuld nicht zu sühnen, sondern universal zu machen ..." (ebd.: 100).

Schulden und Verschuldung, dies lässt sich aus den Gedanken Benjamins herauslesen, spielen für die bürgerlich-kapitalistische Produktions- und Vergesellschaftungsweise eine entscheidende Rolle. Besonders deutlich wurde dies in der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise, in deren Zentrum letztlich (geplatzte) Immobilienkredite und damit verbundene Spekulationen standen. Auch die Besorgnis und Reaktionen der politischen Akteur_innen galten der Sicherung der Möglichkeit von Verschuldung - allerdings nur für die globale Ökonomie: Viele Staaten übernahmen Verantwortung für die Krise des Finanzsektors, indem sie in jenem Moment begannen, für "systemrelevante" Banken zu bürgen, in welchem Banken sich wechselseitig - und damit auch anderen Wirtschaftsbetrieben - keine Kredite mehr vergaben. Auch wenn sich in dem Argument, es könne infolge dieser Kreditvergabeblockade zu einem ökonomischem Kollaps kommen, der Einfluss einer mächtigen Bankenlobby auf Regierungen widerspiegelt, so verdeutlichen die Vorgänge vor allem, dass eine kapitalistische Form des Wirtschaftens ohne Schulden letztlich unmöglich ist (vgl. Altvater in diesem Heft).

Demgegenüber wurde die Finanz- und Wirtschaftskrise genutzt, um die Staaten selbst unter einen immensen Spardruck zu setzen. Schulden spielen auch in der Politik eine große Rolle und sie spielen - als eine alternative Einnahmequelle zu Steuern - eine besondere Rolle zur Bildung von Staatshaushalten. Dabei lässt sich im Zeitverlauf ein bemerkenswerter Wandel im Umgang mit Schulden in der staatlichen Politik feststellen. Aus der Perspektive einer fordistisch-keynesianischen Politik galt staatliches "Schulden-Machen" als ein weitgehend unumstrittenes Instrument der Konjunktur und Sozialpolitik, sowohl als ein bewährtes Mittel antizyklischen Eingreifens wie auch als Weg zur Finanzierung sozialpolitischer Programme, jedoch ohne tatsächlich gesellschaftlichen Reichtum anzutasten. Im Gegenteil schaffte man diesem Anlage- und damit Wachstumsmöglichkeiten. Im Kontext neoliberaler Globalisierung hingegen wird eine hohe Staatsverschuldung als Bedrohung für Wirtschaft und Geldwertstabilität eingestuft. "Sparen" lautet nun das Credo. Traf dies seit den 1980er Jahren über die Programme der "strukturellen Anpassung" von IWF und Weltbank vor allem die Länder des globalen Südens, kann sich das neoliberale Spardiktat gegen öffentliche Haushalte seit der globalen Finanzkrise auch in Form von "Schuldenbremsen" in den westlichen Industrienationen Geltung verschaffen; in vielen Ländern wird diesem mittlerweile Verfassungsrang zugesprochen. Mit besonderer Härte stehen die sogenannten "Schuldenstaaten" unter Druck. Der zur unbedingten Notwendigkeit erklärte Schuldenabbau der öffentlichen Haushalte wird somit auch zu einem zentralen Hebel in der Implementierung "wettbewerbsstaatlicher" (vgl. Hirsch 2005) Strukturen und damit auch zur Transformation, d.h. im Ab- und Umbau wohlfahrtstaatlicher Institutionen und Programme. Diese Kürzungspolitiken haben reale Auswirkungen auf den Alltag der sozialen Akteur_innen durch den Abbau von Infrastruktur, die (Re)Kommodifizierung von ehemals öffentlichen Gütern und die zunehmende Prekarisierung von Arbeitsverhältnissen.

Sich-Verschulden ist längst zu einer regulären Form des Wirtschaftens von privaten Haushalten geworden. Seinen Anfang nahm diese Entwicklung mit der Einführung und Ausweitung des Konsumentenkredits im Fordismus, der den Absatz der langlebigen und in Masse produzierten Gebrauchs- und Konsumgüter sowie deren Etablierung als feste Bestandteile der alltäglichen Reproduktion erst ermöglichte (vgl. Reis 1992; Ebli in diesem Heft). Ob Haushaltsgeräte, Mobilität, Erreichbarkeit, Wohnen oder Freizeit: Um an diesen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens zu partizipieren, spielten Schulden und Kredite für viele bereits eine wichtige Rolle. Mit der Ökonomisierung der Bildungs-, Gesundheits- und Altersvorsorgesektoren (und dem Zurücknehmen staatlicher Ausgaben in diesen Bereichen der sozialen Infrastruktur) wurde in den letzten Jahrzehnten zunehmend Geld der Privathaushalte etwa über Bildungskredite, private Lebens- und Rentenversicherungen etc. in den Finanzsektor umgeleitet. Die Folge bedeutet nicht nur eine tatsächliche Umverteilung bei stagnierender Lohnentwicklung, sondern auch eine zunehmend notwendige Verschuldung für weite Teile der Bevölkerung als Bedingung zur Teilnahme an Gesellschaft. Am Beispiel der Suprime-Krise in den USA wurde deutlich, dass diese Ausweitung der Verschuldung von Privathaushalten aktiv begünstigt wurde. Durch die strategische Öffnung der Kreditvergabepolitiken für Kreditnehmer_innen mit schwacher Bonität wurde versucht, der Schwächung der Nachfrage in Folge von Einkommensstagnation und Prekarisierung der Beschäftigungsverhältnisse zu begegnen. Die Folgen dieses krisenanfälligen Arrangements hatten und haben die privaten Haushalte zu tragen: So ist beispielsweise die Zunahme der Wohnungslosigkeit aufgrund von Zwangsräumungen in der Zwischenzeit auch in Europa angekommen; Griechenland ist hierfür ein aktuelles und dramatisches Beispiel.

Doch diese Entwicklungen werden von den sozialen Akteur_innen nicht nur ertragen. Gerade in der Zuspitzung der Finanz- und Wirtschaftskrise formierten sich die Widerstände auch öffentlichkeitswirksam: Die Bewegung Occupy Wall Street (bei der viele Aktivist_innen über Bildungskredite verschuldete junge Akademiker_innen waren) wie auch die großen Proteste in Griechenland und Madrid machen sichtbar, dass die sozialen Akteur_innen nicht mehr und nicht um jeden Preis bereit sind, die Kürzungen in ihrem Alltag hinzunehmen. Schulden stellen somit nicht nur ein Mittel dar, um soziale Herrschaftsverhältnisse zu initiieren und zu legitimieren. Die Forderung nach einem generellen Schuldenerlass ist historisch nicht selten Anlass oder Begleiterscheinung sozialer bzw. politischer Proteste und Erhebungen (vgl. u.a. Graeber 2012; Foltin in diesem Heft).

Keinen Zugang zu Verschuldung zu haben, ist unter den gegebenen Bedingungen folgenreich und ein Moment sozialer Ausschließung. Schulden sind - ebenso wie Einkommen und Vermögen - gesellschaftlich sehr ungleich verteilt und im Kontext der allgemeinen Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums zu betrachten. Der zunehmend ungleichen und geballten Konzentration von Vermögenswerten - die man gerade im Kontext des letzten Armuts- und Reichtumsberichtes gerne offiziell nicht wahrnehmen wollte - lässt sich auch eine nicht unbeträchtliche Zahl von Haushalten mit einer "negativen Vermögensbilanz" gegenüberstellen (vgl. u.a. Grabka/Westermeier 2014). Gleichzeitig ist das sich zu Verschulden für unterschiedliche Personengruppen unterschiedlich leicht und teuer und gerade für soziale Akteur_innen mit wenigen Ressourcen mitunter unerschwinglich und führt zum daeurhaften Ausschluss auf dem Kreditmarkt. Auch auf diesem Markt gilt. "The poor pay more" (Caplovitz 1967).

Der Terminus der "Schulden" weist im Deutschen eine Nähe zu dem der "Schuld" auf (vgl. hierzu auch Segbers in diesem Heft). Dies sensibilisiert für die Verbindung von moralischen mit materiellen Dimensionen in Bezug auf Schulden: Auch wenn diese einen festen Bestandteil bürgerlich-kapitalistischer Lebensweise darstellen, so besitzen sie doch im Licht hegemonialer Moralvorstellungen eine "dämonische Zweideutigkeit" (Benjamin). Wer Schulden macht, erhält eine Leistung, ohne diese bereits erarbeitet zu haben, er steht somit in jemandes "Schuld" bzw. nimmt eine "Schuld" auf sich, die er abgelten muss, um von ihr befreit zu sein. Problematisch wird dies erst im Problemfall, das heißt wenn aus Verschuldung Überschuldung wird. Diskursiv werden diese Situationen umgeben von Vorwürfen, dass da jemand "über die eigenen Verhältnisse gelebt" habe. Der moralische Grundsatz: "Schulden müssen bedient werden!", scheint alternativlos - unabhängig von individuellen wie gesellschaftlichen Veränderungen. Es hat insofern durchaus etwas "Blasphemisches", dieser Logik nicht zu entsprechen, d.h. Schulden nicht bedienen zu können oder zu wollen. Historisch zeugen Institutionen wie die (antike und moderne) Sklaverei und (antike wie moderne) "Schuldtürme" davon, wie Verstöße gegen diesen Grundsatz gesellschaftlich sanktioniert werden.

Schulden sind auch ein Thema Sozialer Arbeit, bringen sie doch regelmäßig existentielle Notsituationen hervor oder entstehen in Folge von anderen schwierigen Lebenslagen. Soziale Arbeit hat sich mit dem spezifischen Form der Schuldnerberatung in der Auseinandersetzung um die gesellschaftliche Zuständigkeit für das soziale Problem "Überschuldung" gegenüber anderen Akteurs- bzw. Berufsgruppen durchgesetzt (vgl. Ebli 2003 sowie in diesem Heft). Damit existiert zwar einerseits ein potentiell hilfreiches Angebot für Menschen in ökonomisch schwierigen Lebenssituationen, das selbst als Ressource in Gebrauch genommen werden kann oder Zugang zu anderen Ressourcen eröffnet, z.B. in der Kommunikation mit Gläubigern und der Durchsetzung von Pfändungsschutzrechten sowie der Eröffnung des Weges in die Verbraucherinsolvenz. Andererseits verbinden sich mit der Zuständigkeit Sozialer Arbeit auch Prozesse einer Entpolitisierung, Personalisierung und Pädagogisierung, indem die Gründe der Entstehung von Überschuldung auch in einem "falschen" Konsumverhalten bzw. fehlenden "Haushaltskompetenzen" verortet werden und soziale Akteur_innen durch Soziale Arbeit zur "richtigen" Haushaltsführung unter den Bedingungen knapper Ressourcen erzogen werden sollen. Strukturelle Gründe wie die Normalisierung von Verschuldung bis hin zum Zwang zur Schuldenaufnahme für Privathaushalte, um die Folgen der Kürzungspolitiken zu kompensieren, verschwinden dagegen aus dem Blickfeld. Doch auch Schuldnerberatung gerät im Zuge wohlfahrtsstaatlicher Transformation durch die Ökonomisierung Sozialer Arbeit unter Druck: Sie mag zwar einerseits ein "Wachstumsmarkt" sein, andererseits wirkt sich die (seit ihrem Beginn) ungesicherte Finanzierung ebenso auf die Arbeitsbedingungen der Schuldnerberater_innen aus: Die hohe Nachfrage bedeutet für die Ratsuchenden lange Wartezeiten und für die Berater_innen Fließbandarbeit. Unter solchen Bedingungen werden die fachlichen Reflexionsräume für die Schuldnerberater_innen immer enger; die Frage nach der Qualität der Arbeit kann so oftmals nur noch gestellt werden, um Effektivität wie Effizienz zu "belegen".

Das Themenheft der Widersprüche möchte sich mit dem Thema der gesellschaftlichen Bedeutung von Schulden auseinandersetzen und dessen unterschiedliche Facetten entlang der aufgeführten ökonomischen, politischen, moralischen Dimensionen kritisch ausleuchten und dabei insbesondere auch dessen Bedeutung für Sozialpolitik und Soziale Arbeit herausstellen.

Schulden, Verschuldung, Überschuldung wurden auch in früheren Heften der Widersprüche aus unterschiedlichen Perspektiven thematisiert. Die Diskussion um die mit staatlicher Haushaltspolitik verbundene Aufnahme von Schulden und die Infragestellung ihrer politischen Legitimität kann in Texten zur sozialstaatlichen Entwicklung entdeckt werden. Beispielhafte Beiträge sind hier Heinz-Jürgen Dahme, Norbert Wohlfahrt: "Europäische Staatsschuldenkrise und soziale Dienste. Zur Durchsetzung neuer Rentabilitäts- und Akkumulationsbedingungen im Sozialsektor" in Heft 128. Dass Staatsverschuldung schon im Rahmen der "Agenda 201-Politik" ein wirksamer Argumentationsstrang war, zeigt Christoph Butterwegge in Heft 75 mit seinem Text "Zur neoliberalen Modernisierung oder Neoliberalismus in Rot Grün? Eine kritische Zwischenbilanz der Wirtschafts- und Sozialpolitik des Kabinetts Schröder".

Die Schlussfolgerung und die Aufforderung, mit dem staatlichen Schulden-machen Schluss zu machen, führte nicht erst in Zeiten von Deregulierungskommissionen zu Veränderungen von Eigentumsverhältnissen mit inzwischen gut dokumentierten Nebenwirkungen. Darauf wies schon in Heft 60 Christoph Strünck in seinem Beitrag "Leuchttürme oder Irrlichter? Privatisierung und Deregulierung strahlen auf die kommunale Sozialpolitik ab" hin.

Dass den Schulden ein Reichtum an Vermögen gegenübersteht und es tatsächlich Verteilungsspielräume gibt, belegte in Heft 54 Andrea Weinert mit "Wer hat, der hat... Reichtum in Deutschland". Wer nachlesen will, wie 1985 Überschuldung und Armut betrachtet wurden, findet Auskunft bei der Fachgruppe Armut und Unterversorgung und ihrem Text "Arbeitslosigkeit, Ausgrenzung und Armut in der Bundesrepublik Deutschland" in Heft 14.

Wie im öffentlichen Diskurs über die sozialstaatliche Entwicklung Schulden als Argument zum Beleg seiner Krise benutzt werden und welche medialen Konstruktionen dabei wirken, darüber schrieben Thomas von Freyberg in Heft 66: "Die inszenierte Krise des Sozialstaats Ein Angriff auf den demokratischen Prozeß" und Ursula Kreft in Heft 64 im Beitrag "Nachrichten vom Brand im Schlaraffenland. Wie der Sozialstaat in den Medien zum Problemfall wird".

Wer Akteure in solchen Schulden thematisierenden Interessenskämpfen um Wege aus der Krise sind, analysieren Stephan Lessenich in "Das Elend der Mittelschichten. Die "Mitte" als Chiffre gesellschaftlicher Transformation" in Heft 111 und Michael Vester mit "Die Wirtschaftskrise und die Chancen eines gesellschaftlichen Pfadwechsels" in Heft 122.

An die Tradition der Widersprüche, aus der Perspektive der handelnden Subjekte in den Untergeschossen der Gesellschaft Konflikte zu betrachten und ihr "Leben auf Raten" zu verstehen, wurde in früheren Heften beispielhaft von Gabriele Winker mit "Fragile Familienkonstruktionen in der gesellschaftlichen Mitte. Zum Wandel der Reproduktionsarbeit und den politischen Konsequenzen" in Heft 111und von Helga Cremer-Schäfer im Beitrag "Not macht erfinderisch. Zu der Schwierigkeit aus der Moral der alltäglichen Kämpfe um Teilhabe etwas über die Umrisse einer Politik des Sozialen zu lernen" in Heft 99 angeknüpft. Wer die von Franz Segbers in diesem Heft aufgeworfenen Fragen nach Schulden und Schuld mit sozialethischen Reflexionen zum Geben und Nehmen, das ja zu Verschuldung dazugehört, weiter verfolgen will, dem/der sei der Text von Hans-Jürgen Benedict: "Gottes Ökonomie der Gaben" in Heft 99 empfohlen.

Dass wie in diesem Heft auch ganz "praktische" Fragen der Überschuldung angesprochen wurden, zeigt der Beitrag "Pfändungsfreigrenzen auch weiterhin unter dem Sozialhilfesatz Das Überschuldungsrisiko steigt" in Heft 51.

Zu den Beiträgen im Einzelnen

Elmar Altvater stellt in seinem einleitenden Beitrag die Relevanz von Schulden im und für den Kapitalismus heraus. Er beschreibt ihre ökonomische Funktion als Kehrseite der Vermögen und analysiert die Veränderungen der Regulation der Finanzmärkte in der jüngeren Geschichte des globalen Kapitalismus. In seiner Bezugnahme auf Griechenland kann er deutlich machen, wie über Schulden auf staatliche Politiken Einfluss ausgeübt wird: Europäische Politik wird so sichtbar als Wirtschaftspolitik, nicht etwa als Sozialpolitik.

Dass diese zur Absicherung auch auf Moral als Macht-und Herrschaftsinstrument zurückgreift, zeigt Franz Segbers aus sozialethischer Perspektive auf. Die Frage der "Schuld an den Schulden" bildet hierbei seinen Ausgangspunkt, von dem ausgehend er ökonomische und moralische Aspekte von Verschuldung miteinander verbindet. Er endet mit einem Plädoyer, die Verantwortung für die Schulden an die zurückzugeben, die davon profitiert haben. Versteht man den Umgang mit Schulden wie Segbers nicht als alternativlos gegeben, wird die Forderung nach einem Schuldenerlass verstehbar als Kampf der sozialen Akteur_innen um die von ihnen erarbeiteten gesellschaftlichen Ressourcen.

Und hierauf nimmt auch der dritte Beitrag Bezug: Robert Foltin widmet sich hier ausführlich den Grundthesen, die David Graeber in dem inzwischen mehrfach aufgelegten Band "Schulden. Die ersten 5000 Jahre" entfaltet. Foltins Interesse gilt hierbei weniger den anthropologischen Argumentationen, sondern besonders Graebers These zu den moralischen Grundlagen von wirtschaftlichen Beziehungen. Den bereits mehrfach geäußerten Vorwurf, dass Graeber marxistische Analysekategorien vernachlässige, greift Foltin auf, um detailliert die Differenzen der beiden Perspektiven deutlich zu machen. Aus seiner postoperaistischen Perspektive stellt der Autor sodann die Verbindung zur aktuellen Krise des Kapitalismus her und verweist auf das darin aufscheinende Potential der emanzipatorischen Veränderung durch soziale Kämpfe. An dieser Stelle trifft er sich sodann auch wieder mit David Graeber, auch wenn er dessen Perspektive eines Kommunismus im Alltag auf ihre Blindstellen hinterfragt.

Dem Thema der Schulden wendet sich Hans Ebli in seinem Beitrag aus der Perspektive der Sozialen Arbeit zu. Über die Analyse des Institutionalisierungsprozesses des Arbeitsfelds Schuldnerberatung unterzieht er Soziale Arbeit selbst einer kritischen Reflexion. Für Situationen der Überschuldung, die im Zuge der kapitalistischen Transformation mit hervorgebracht werden, entwickelte Soziale Arbeit in der Schuldnerberatung eine spezifische personalisierende Deutung, so Eblis These, von der ausgehend sie eine pädagogisierende und entpolitisierende Problembearbeitung vorschlug. Der Beitrag zeigt auf, dass die Etablierung des Arbeitsfelds genau über diese Deutungsmuster gelang.

Komplementär dazu widmet sich der Beitrag von Kerstin Herzog der Perspektive von Menschen in schwierigen finanziellen Situationen. Ausgehend vom Alltag beschäftigt sich Herzog mit der Frage, wie soziale Akteur_innen ihre Schulden-Situationen bearbeiten und beleuchtet unterschiedliche Strategien, derer sich die Akteur_innen bedienen. Daran schließt sie die Frage nach Schuldnerberatung an: Ist Schuldnerberatung aus Sicht der sozialen Akteur_innen ein hilfreiches Angebot in solch schwierigen Situationen und welche Arbeit müssen diese investieren, um sich Schuldnerberatung nutzbar zu machen.

Auch Andreas Rein stellt in seinem Aufsatz die Frage nach hilfreichen Unterstützungsangeboten in schwierigen finanziellen Situationen. Aus juristischer Perspektive fragt er nach dem Zugang zum bargeldlosen Zahlungsverkehr und konkretisiert dies am Recht auf ein Girokonto. Auch hier zeigt sich die Macht der Banken, indem sie den Zugang zu dieser relevanten Ressource des Wirtschaftens von Privatpersonen blockieren können. Interessanterweise hinkt die deutsche Rechtsprechung beim "Recht auf ein Girokonto" den europäischen Richtlinien hinterher. In seinem Fazit kommt der Autor allerdings zu der Einschätzung, dass durch die Implementierung des europäischen Standards zwar bereits einiges gewonnen wäre, das Thema der Kontolosigkeit jedoch nicht automatisch beendet wäre.

Stephan Nagel stellt in seinem Beitrag dar, dass trotz gesetzlicher Regelungen zur Vermeidung von Mietschulden diese nach wie vor eine wesentliche Ursache für Wohnungslosigkeit sind. Diese Feststellung gilt nicht nur für Mietschulden, sondern auch bei Strom- und Energieschulden. Der Text liefert Hinweise auf den quantitativen Umfang und die qualitative Dimension dieser Bedrohung für die Sicherung der Wohnung und die gesamte Lebenssituation. Stephan Nagel identifiziert negative Etikettierungen (z.B, Schufa-Auskünfte) als für Vermieter finanziell riskante Individuen oder Haushalte als schwer überwindbare Barrieren auf dem Wohnungsmarkt. Öffentliche Unterbringung von Wohnungslosen wird als moderne Variante des Schuldturms beschrieben und verweist auf Fehler der sozialpolitischen Regulation und die Ignoranz gegenüber Handlungsmöglichkeiten sozialer Arbeit. Als politisch besonders wichtig wird die Rolle kommunaler Wohnungsbestände hervorgehoben.

Unter den Forumsbeiträgen findet sich der zweite Teil des in Heft 135 begonnenen übersetzten Textes von Bill Hughes, der sich inhaltlich mit der Frage beschäftigt, welche Antworten gesellschaftlich auf Behinderung gefunden wurden und werden. Als Strategien des Umgangs damit in der Moderne analysiert der Autor Eliminierung, Verbannung und Korrektur, die sich über die Bezugnahme auf den "normalen" Körper als Maßstab konstituieren.

Simeon Arciprete stellt in seinem Beitrag Überlegungen zum Subjektbegriff in der Sozialen Arbeit an und diskutiert diesen in Hinblick auf dessen Anschlüsse für das in der kritischen Psychologie genutzte Konzept der Handlungsfähigkeit. Handlungsfähigkeit versteht der Autor dabei als "analytisch-politischen Begriff" mit einer immanenten herrschaftskritischen Normativität und kommt so zu der Frage nach den Bedingungen von Handlungsfähigkeit für die Subjekte in Gesellschaft wie im Kontakt mit Sozialer Arbeit.

Literatur

Benjamin, Walter 1921/1991: Kapitalismus als Religion . In ders.: Gesammelte Schriften, Band VI, Frankfurt am Main, 100-103

Caplovitz, David 1967: The poor pay more. Consumer practices of low-income families. New York, London

Ebli, H. 2003: Pädagogisierung, Entpolitisierung und Verwaltung eines gesellschaftlichen Problems? Zur Institutionalisierung des Arbeitsfeldes "Schuldnerberatung". Baden-Baden

Grabka, M. M.; Westermeier, Chr. 2014: Anhaltend hohe Vermögensungleichheit in Deutschland. In: DIW Wochenbericht (9), 151-164

Graeber, David 2012: Schulden. Die ersten 5000 Jahre. Stuttgart

Hirsch, Joachim 2005: Materialistische Staatstheorie. Transformationsprozesse des kapitalistischen Staatensystems. Hamburg

Reis, Claus 1992: Konsum, Kredit und Überschuldung. Zur Ökonomie und Soziologie des Konsumentenkredits. Frankfurt/Main

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