
Verstrickte Hochschule - Unternehmen Bildung
Schwerpunkt
In der politischen Auseinandersetzung mag sich der Begriff 'Ökonomisierung' dazu eignen, Kritik am Umbau der Universitäten zu bündeln und strategisches Handeln zu unterstützen, aber eine Kritik der Ökonomisierung müsste zeigen, was er als Schlüsselbegriff für eine Analyse der aktuellen Entwicklung des Bildungswesens zu leisten vermag und welche Probleme die Verwendung des Begriffs aufwirft: Erstens werden Thesen zu Widersprüchen formuliert, die die Verwendung des Begriffs 'Ökonomisierung' mit sich bringt: Auf welche Verhältnisse bezieht sich Ökonomisierung und welche Strukturen und Praktiken werden dabei ausgeblendet? Zweitens wird am Beispiel programmatischer Texte gezeigt, dass der Begriff 'Ökonomisierung' in der Erziehungswissenschaft von der Ökonomie abgespalten wird und 'nur' als Rationalitätsform auftaucht. Eine Kritik der Ökonomisierung müsste aus diesem Grund stärker, als dies bisher der Fall ist, politisch-ökonomische Theorien in bildungstheoretische Analysen aufzunehmen.
In diesem Beitrag geht es um Schlaglichter auf die Arbeit mit Studierenden zum Thema Lehr-Lernverhältnisse an der Hochschule im Sinne forschenden Lernens. Es ist ein Versuch, exemplarisch einige Aspekte der Kritik, die sich in Debatten über Hochschulbildung finden (z.B. Fremdbestimmung, Verschulung, Kontrolle, Verwertbarkeit...) aus der Perspektive der in den kritisierten Strukturen handelnden Subjekte näher zu beleuchten, ihren Erfahrungen und der Deutung derselben Raum zu geben. Insofern verstehen sich solche Überlegungen nicht als Gegenpol, sondern als (bisher eher unterbelichtet gebliebener) Teil der Analyse und Kritik im Kontext von aktuellen Reformdebatten bzw. der Kritik an der gegenwärtigen Restrukturierung der Bildungssysteme. Die Thematisierung von Erfahrungen beim Lernen bzw. Lehren und von Handlungsstrategien im Konkreten bringt die erlebten Konflikte aus der Beteiligtenperspektive zur Sprache. Verstrickt-Sein als eine handelnde Perspektive kann eine andere Ebene als die deutende Beobachterperspektive beleuchten.
Zentraler Ausgangspunkt des hier vorliegenden Artikels ist das Unbehagen daran, dass die curricular festgelegten Ziele des BachelorStudiums im Kernfach Erziehungswissenschaft in einem Spannungsverhältnis zu den aktuellen Studienbedingungen stehen. Das Unbehagen besteht vor allem darin, dass curricular eingefordert wird, das Studium solle zur kritischen Einordnung der wissenschaftlichen Erkenntnisse befähigen , ohne jedoch über die dafür notwendigen Lehr- und Lernformen zu diskutieren. Zudem bleibt im Curriculum unbestimmt, was mit der kritischen Einordnung gemeint ist, welche Ziele sie verfolgt und wie diese erlernt werden kann. Damit Kritik nicht zu einem leeren Leitbegriff wird, möchten wir zunächst nach der erziehungswissenschaftlichen Begründung von Kritik fragen, um die Notwendigkeit der Herausbildung einer kritischen Haltung innerhalb des erziehungswissenschaftlichen Studiums zu verdeutlichen. Daraufhin wird in Rückgriff auf Michele Foucault ein spezifisches Verständnis einer kritischen Haltung entwickelt. Daraus ergibt sich für uns als Konsequenz, mögliche Formen der Aneignung einer kritischen Haltung im Studium und in universitären Räumen allgemein zu diskutieren.
Vom wissenschaftlichen Tätig-Sein oder: Wozu Schreiben? Ein Gespräch unter Mitwirkung von Hannah Arendt Michael Lindenberg: Fabian, vor ziemlich genau sieben Jahren haben wir uns an der gleichen Stelle schon einmal der Selbstvergewisserung gestellt (vgl. Heft 87 der Widersprüche) - allerdings aus einer deutlich anderen Position. Ich hatte damals meine ersten Jahre als Hochschullehrer hinter mir, und Du warst noch mitten in der zentralen wissenschaftlichen Qualifikationsphase, Deiner Promotion. Heute stellen wir uns die Frage nach dem Sinn oder zumindest der Logik des wissenschaftlichen Tätig-Seins erneut - und nun tun wir das beide als Hochschullehrer, als lebenszeitlich verbeamtete Forscher und Lehrende. Wozu Schreiben? also.
May: Die meisten Leute aus dem Hochschulbereich tun ja so, als ob die unter dem Signum Bologna zusammengefassten Veränderungen im Bereich Lehre wie eine metaphysische böse Macht über sie gekommen sei. Du gehörst nicht dazu. Du hast als Vizepräsident und Sprecher der Fachhochschulen innerhalb der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) und als Mitglied des Wissenschaftsrates dafür gekämpft. Würdest du das heute noch mal machen? Klockner: Ich würde das noch mal machen aus der Überzeugung heraus, dass es einen europäischen Hochschulraum zu erreichen gilt, in dem Abschlüsse gegenseitig anerkannt werden, sodass auf dieser Basis Berufskarrieren ohne Diskriminierung gestartet werden können, und der zugleich die Internationalität zwischen den Studiengängen fördert. Das war damals die Fahne, die ich mit hochgehalten habe. Dafür würde ich mich auch wieder einsetzen, jetzt aber wohl wissend, dass bestimmte Anfangsfehler im Bologna-Prozess erkannt und entsprechend aufgelöst werden müssen.
Die wissenschaftlichen Hochschulen und Fachhochschulen haben das von Brüssel vorgegebene Datum zur nationalen Transformation der Hochschullandschaft mit dem Jahreswechsel 2010 erreicht. Auf dem Weg nach Bologna, der im Juni 1999 mit der Unterzeichnung der Bologna-Erklärung durch 29 europäische Staaten begann, wurde gebummelt, überhastet gehandelt und bildungspolitisch gegängelt. Die konsekutiven Studiengänge sind trotz Umwegen und Ressourcenmangel hochschulpolitische Realität. Eine erste Bilanz zeigt: Die Gruppe der Befürworter ist klein, die Zahl der Bologna-Kritiker wächst von Semester zu Semester. Die mit der ordnungspolitischen Transformation verbundenen Erwartungen erweisen sich nach rund zehn Jahren im Praxistest als überzogen, zynisch und irreführend. Die Situation ist ordnungs- und hochschulpolitisch unübersichtlich. Sowohl die Autonomie als auch die Autorität der Hochschulen stehen zur Disposition. Die mit dem Bologna-Prozess initiierte Verlagerung hochschulpolitischer Entscheidungen an externe Gremien entmachtet die Fachkulturen und degradiert Fakultäten sowie Institute zu einem bürokratischen Annex. Auf diesem Hintergrund erlangen die vorgetragenen Klagen eine neue Schärfe. Die Verschulung akademischer Ausbildung, erhöhter Leistungsdruck, die Blockierung von Mobilität, rechtliche Systemfehler, curriculare Einfalt statt Vielfalt usf. bilden einen Kranz von Ungereimtheiten, der den institutionellen Transformationsprozess in seiner gesamtgesellschaftlichen Dimension in Frage stellt. Die ordnungspolitische Top-Down-Innovation hat mit der Implementation des angelsächsischen Bildungssystems nicht nur Auswirkungen auf die deutsche Hochschulverfassung, mit der Konvergenz von Bologna-Prozess auf der einen und Kopenhagen-Lissabon-Prozess auf der anderen Seite zielt sie auf die Umgestaltung der europäischen Arbeitsmärkte. Obschon die Transformation des deutschen Bildungs- und Hochschulsystems auch als Chance begriffen wird (Herbert/Kaube 2008, Lack/Markschies 2008) überwiegt die Kritik (GEW 2008, Hartmann 2010, Himmelrath 2009, Lieb 2009, Münch 2009, 2010; Negt/Klausnitzer 2003; Scholz/Stein 2009). - Den Hochschulen droht ein doppelter Autonomieverlust. Mit der Etablierung eines neuen Steuerungsmodells geht die Autonomie der Fachkulturen dahin, mit der Verbetriebswirtschaftlichung des Hochschulalltags die Autonomie der Subjekte mit Konsequenzen für Studium, Lehre und Forschung. Die Widersprüchlichkeiten dieses ökonomisch grundierten Transformationsprozesses aufzuzeigen, ist Ziel des Beitrags. Deshalb soll zunächst die neue Phase der Systemsteuerung des deutschen Hochschulsystems in Ansätzen beleuchtet werden (Kap. 2). In einem zweiten Schritt soll die hochschulpolitische Arena begutachtet und das Zusammenspiel von Fachkulturen bzw. Fachgesellschaften und externen Steuerungsagenturen im Rahmen von Deregulierung, Entstaatlichung, Bürokratisierung und Konvergenz der Fachkulturen thematisiert werden (Kap. 3). Die Orientierung an wissenschaftlichen Standards der Natur- und Ingenieurwissenschaften steht dabei mit einem Vergleich von Geistes- und Ingenieurwissenschaft im Mittelpunkt. Abschließend soll das Nachdenken über Alternativen der politisch verkündeten Alternativlosigkeit die Grundlage entziehen (Kap. 4).
Die aktuelle hochschulpolitische Debatte fordert Exzellenz in Forschung und Lehre und verknüpft dieses Desiderat meist mit Forderungen nach einer stärkeren Differenzierung: Es gebe nun einmal exzellente Forscherinnen, die nicht zugleich auch gute (Hochschul)Lehrerinnen seien und umgekehrt. Diese Behauptung ist so zweifellos richtig, wie sie den Kern der Sache verfehlt: Ein zeitgemäßer Begriff der Einheit von Forschung und Lehre zielt auf die selbständige kritische Aneignung von Wissen durch aktive Teilnahme am Forschungsgeschehen - das lässt sich nicht in Vorlesungssälen und Seminarräumen vermitteln. Ein solches zeitgemäßes Verständnis basiert auf der Kritik der herrschenden Wissenschaftspolitik, die dazu tendiert, Forschung und Lehre immer weiter auseinander zu treiben.
Forum
Die moderne - oder besser: postmoderne - Arbeitswelt erscheint in vielen offiziellen Darstellungen als überaus positiv, gleichsam schon als Reich der Freiheit. So wird beispielsweise auf der Homepage der regierungsamtlichen Initiative für eine neue Qualität der Arbeit das Unternehmen SAP als besonders gesundheitsförderliches Unternehmen gewürdigt. SAP verfüge, so heißt es dort, über ein vorbildliches Gesundheitsmanagement. Was macht SAP und was machen vergleichbare Betriebe und Organisationen wirklich?
Editorial
"Je direktiver die von Struktur- und Prüfungsplänen gegängelte 'Wissensvermittlung' wird, desto bedeutsamer wird das freie Angebot für die Weitergabe von Wissenschaft. Je unaufhaltsamer die Universitätslehre zur Ausbildung akademischer Azubis verkommt, desto mehr übernimmt solche Vermittlung jene Leistung, die in den öffentlichen 'Lehranstalten' sich so sehr zersetzt hat, das nicht einmal mehr der Name dafür ohne ironischen Unterton genannt werden kann: Bildung."
Dieses Zitat von Lorenzer aus dem Editorial der Widersprüche von 1992 (Heft 43) charakterisiert auch die Position in der Redaktion - bei allen sonstigen Unterschiedlichkeiten und Kontroversen. Bildung zielt auf die subjektiven Potenziale einer Veränderung des Bestehenden - aus der Einsicht in dessen Begrenztheit. Eine solche Einsicht benötigt allerdings Räume der Erfahrung, die als öffentliche ermöglicht, bereitgestellt und immer wieder neu erkämpft werden müssen.
Erfahrungsräume, beispielsweise als Studentinnen und Studenten in einzelnen Momenten, selbst erlebt zu haben und seither als wissenschaftlich Tätige oder als wissenschaftlich Interessierte diese Idee in verschiedenen hochschulischen wie außer-hochschulischen Kontexten mit Leben zu füllen, ist gemeinsamer Erfahrungs- und Motivationshorizont der Redaktionsmitglieder. Allerdings hat sich der Kontext, vor allem für die hochschulisch Tätigen in den vergangenen Jahren radikal transformiert: Wir leben seit dem Ende des 20. Jahrhunderts in einer grundlegend veränderten Wissenschaftswelt. Diese Veränderungen zeigen sich auch innerhalb der Diskussionen, die wir in den vergangen 25 Jahren in verschiedenen Bildungsheften geführt oder angeregt haben.
Unter der Überschrift "Qualifikation: Lernen und Arbeiten - wofür?" ging es uns im ersten Themenheft zu Fragen der Bildungspolitik im Jahr 1984 (Heft 10), um eine Kritik des bis dahin herrschenden Ökonomismus in der Bildungssoziologie und - mit Claus Offe - um die Herausarbeitung der Eigensinnigkeit des staatlichen Bildungssektors. Doch bereits das nächste Heft deutete den Kontrapunkt an, in dem sich unsere Diskussion in den folgenden Jahren bewegte (Heft 11): "Schule ist anpassen, wegtauchen, verändern", formulierten wir damals und wendeten somit den Blick weg von der ausschließlichen Betrachtung der Institution Schule und ihrer herrschaftlichen Einbindung in staatliche Regulierung, hin auf den Zusammenhang von "Schülerleben und Bildung", konkretisiert in der Idee der unterschiedlichen Lernorte.
Heft 15 versuchte den reaktionären Angriff unter der Parole "Mut zur Erziehung" mit dem Aufruf "Mut zur Bildung - der Aufklärung verpflichtet" zu konterkarieren. Sehr deutlich kritisierten schon damals die Autoren/innen des Heftes den Angriff der Hochschulbürokratie auf Inhalt und Formen der Lehre und stellten ihn in den Zusammenhang mit einer neo-konservativen Wende, mit wachsende Tendenzen zur Elitebildung und einer Verfestigung sozialer Hierarchien durch das Bildungssystem. Zugleich wurde in den Beiträgen an eine kritische Aufgabenbeschreibung für intellektuell Tätige, gerade in solchen hochschulpolitischen Auseinandersetzungen festgehalten, einschließlich eines nötigen Aufrufes, die erkämpften Freiräume zu verteidigen.
Heft 27 nahm dann, unter der Überschrift: "Bildung - lebenslänglich", eine bislang wenig thematisierte Seite der Bildung auf, nämlich die berufliche Bildung. Ein eher "polytechnischer" Bildungsbegriff wurde in Bezug auf den "Angriff von education und training auf den Rest der Persönlichkeit" analysiert - ein Perspektive, die acht Jahre später unter dem Titel "Bildung perdu" (Heft 62) wieder aufgenommen und fortgesetzt wurde. Uns erschien dabei deutlich zu sein, dass der Zusammenhang von Bildung und Qualifikation zunehmend als Instrumentalisierung, "Vernützlichung" und Deregulierung neu gestaltet wird - dass dies auch für den Bereich der Hochschulbildung gelten sollte, was für viele von uns ja damals schon das eigene Arbeitsfeld darstellte, wurde uns allerdings erst langsam bewusst.
Die Konsequenzen aus diesen Entwicklungen lassen sich am besten an der seit ca. fünf Jahren zunehmend schärfer geführten Diskussion um die Implementierung und inzwischen erreichten Etablierung des so genannten konsekutiven Studiensystems (BA/MA) verdeutlichen.
Deshalb schien es der Redaktion an der Zeit, sich selbst mehr in den Blick zu nehmen als an den verschiedenen Positionen im Feld der Hochschulen jeweils in ganz unterschiedlichen Widersprüchen sich aktiv Bewegende. Einerseits wollen wir damit einen deutlich anderen Akzent zur gegenwärtigen "Opfer-Debatte" an Hochschulen setzen. Wir erhoffen uns über eine solche Diskussion jedoch auch neue Handlungsperspektiven gewinnen zu können. Bereits im Heft 73 "Transversale Bildung - wider die Unbilden der Lerngesellschaft" von 1999 hatte sich die Redaktion die Frage gestellt, inwieweit die von ihr in den 1980er Jahren geführte Schul- und Bildungsdiskussion (Heft 11/1984; Heft 15/1985) möglicherweise wieder aufzunehmen sei - diesmal jedoch aufgrund jener damals sich schon ankündigenden neuen Phase staatlicher Reformpolitik "von oben". In den 1980er Jahren hatte diese Kontroverse auch in der Redaktion Spuren hinterlassen. Neben schmerzlichen Auseinandersetzungen kam es jedoch auch zu einer durchaus produktiven Spannung zwischen einerseits Versuchen der Reformulierung eines normativen Bildungsbegriffs im Sinne Heydorns und andererseits dem Ansatz - im Gefolge von Illich und Freire - das staatliche Bildungsmonopol grundsätzlich in Frage zu stellen, um - wie dies dann auch der Titel des 1999er Heftes im Begriff der "Transversalität" zum Ausdruck zu bringen versuchte - außerinstitutionelle und selbstbestimmte Prozesse einer Bildung am Sozialen zu stützen und diese mit einer Bildung des Sozialen zu vermitteln.
Wenn jedoch die Hochschule selbst als Raum für kritische Bildung im Rahmen von Forschung und dem, was herkömmlich als "Lehre" bezeichnet wird, diesbezüglich aber ebenfalls besser als Ermöglichungsraum von Aneignung zu fassen wäre, nicht aufgegeben werden soll, scheint es auch nötig zu sein, bestimmte im akademischen Bereich eher tabuisierte Fragen stärker in den Blick zu nehmen.
Einige Male hatte die Redaktion in den vergangenen Jahren bereits versucht, diese Fragen mit Blick auf eine kritische Positionierung zu bearbeiten. Jedes Mal endeten die redaktionsinternen Diskussionen in einem grundlegenden Dissens, dessen Trennungslinie sich verblüffender Weise fast eindeutig entlang institutioneller Zugehörigkeiten manifestierte: Angehörige der Fachhochschulen auf der einen Seite und Angehörige der Universitäten auf der anderen. Konflikte als Beteiligte und Teilnehmer zu erleben, ist eben doch etwas anderes, als sie aus der Beobachterperspektive zu deuten, so mussten wir wieder mal feststellen.
Die praktische Konsequenz ist dieses Heft, das nicht die an vielen Stellen inzwischen dokumentierte Hochschulpolitik-Kritik einfach weiterführen will, sondern in die Widersprüche das gegenwärtigen Hochschulalltags hineinfokussiert.
Zu den Beiträgen im Einzelnen
In seinem Eröffnungsbeitrag zum Schwerpunkt formuliert Edgar Forster (Salzburg) eine Kritik der weit verbreiteten Ökonomisierungsthese. Im Rekurs auf vielfältige "kritische Stimmen", die er beispielhaft aus der deutschsprachigen Erziehungswissenschaft sprechen lässt, macht er deutlich, dass Ökonomisierung zwar als kritische Begründungsfigur permanent herangezogen wird, indem behauptet wird, diese beschreibe ein quasi universelles Herrschaftsregime, das hochschulisches Tun neu strukturiert habe, zugleich aber jedes systematische Verständnis von Ökonomie ausgeblendet bleibt. Im Anschluss an jüngere politisch-ökonomische Konzepte, wie sie vor allem im Kontext der Regulationgstheorie vorgelegt werden, markiert Edgar Forster im Gegensatz zur allfälligen Ökonomisierungskritik daher drei Verhältnisse, die eine alternative "Kritik der Ökonomisierung" analytisch zu bearbeiten habe: Staat und Markt, Produktion und Akkumulation und Hegemoniale Kämpfe.
Die Frage einer angemessenen Kritik unterliegt auch den Überlegungen von Annita Kalpaka (Wiesbaden), in denen sie auf die "verdeckten Verhältnisse" (Frigga Haug) im Studierenden- und Lehrendenalltag am Beispiel einer Hochschule abstellt, an der Studiengänge zur Sozialen Arbeit angeboten werden. In einer gemeinsamen Werkstattarbeit konstruierten Studierende hierbei gemeinsam mit der Autorin einen alternativen Denk- und Reflexionsraum mitten im alltäglichen Studienbetrieb. Ziel war dabei, die aktuellen Bedingungen des Lehrens und Lernens auf ihre entsubjektivierenden Tendenzen zu befragen. Damit wendeten die Beteiligten die Perspektive radikal auf ihre eigenen Erfahrungen als Akteure im Kontext der gegenwärtigen "Nach-Bologna"-Hochschule. Es gelang den Teilnehmenden dadurch, so kan Annita Kalpaka in ihren Schilderungen zeigen, fundamentale Widersprüche und Verdrängungsstrategien, in die sie sich vielfältig verstrickt hatten, aus der Erfahrungs- auf die Reflexionsebene zu heben und somit eine neue Ausgangsposition für alternative Deutungs- und Aktionsmuster zu finden.
Auch dem Beitrag von Susanne Gottuck, Mona Guhl (beide Bielefeld) und Kristina Kroll (Hamburg) unterliegt der Erfahrungskontext eines mehrjährigen Studierenden-Lehrenden-Projektes, an dessen Ausgangspunkt die Frage nach der Möglichkeit von Reflexivität im veränderten Kontext der neuen "Bologna-Universität" stand - eine Perspektive, die bemerkenswerter Weise, so zeigen die Autorinnen, in erziehungswissenschaftlichen Curricula mit den jüngsten Studienstrukturreformen eher an Raum gewonnen hat. Allerdings bleibt diese Nennung deutlich zahnlos, so zeigen Susanne Gottuck, Mona Guhl und Kristina Kroll mit Verweis auf ihre Projekterfahrungen, wenn der geforderten Reflexivität nicht eine "kritische Haltung" unterlegt wird. Und diese im Kontext eines konsekutiven Studiengangs, wie dem erziehungswissenschaftlichen, auszubilden, kann nur in gelingen, so die Autorinnen weiter, wenn Freiräume zur Problematisierung der gegebenen Herrschaftsverhältnisse erkämpft werden - und zugleich die eigenen normativen Implikationen, die mit der Ausbildung einer solchen kritischen Haltung verbunden werden, kontinuierlich selbstreflexiv eingeholt werden.
Selbstreflexiv nehmen auch Fabian Kessl (Duisburg-Essen) und Michael Lindenberg (Hamburg) in ihrem anschließenden Dialog einen Gesprächsfaden wieder auf, den sie 2003 (Heft 87 der Widersprüche) in einem ersten schriftlichen Gespräch zur Frage des wissenschaftlichen Tätig-Seins ausgelegt hatten. Damals hatten sie sich mit den veränderten internen Konkurrenz- und Platzierungsstrategien in den sozialwissenschaftlichen Feldern beschäftigt. Im vorliegenden Dialog Wozu Schreiben? widmen sie sich nun den Konfliktlinien des wissenschaftlichen Tätig-Seins unter den Bedingungen gegenwärtiger institutioneller Bedingungen aus der Sicht der Wissenschaftsakteure selbst - und finden dabei immer wieder zu Hannah Arendts Überlegungen zurück.
Die Sicht eines Wissenschaftsakteurs auf Ebene der Hochschulpolitik nimmt auch Clemens Klockner im Gespräch mit dem Widersprüche-Redaktionsmitglied Michael May ein. Als ehemaliger Hochschulrektor und -funktionär in bundesweiten Hochschulgremien weist er einerseits auf einen in den gegenwärtigen kulturkritischen Abgesängen auf die Studienstrukturreformen, die unter dem Label "Bologna" firmieren, häufig unterbelichteten Akteursgruppe hin: die Gruppe der Profiteure und mindestens anfänglichen Fürsprecher. Im bundesdeutschen Kontext waren das nicht zuletzt viele Fachhochschulvertreter, wie Clemens Klockner selbst. Andererseits verdeutlicht er im weiteren Gespräch, dass der auch erreichte Gewinn durch die Studienstrukturreformen höchst ambivalent ist, weil weder - und hier nimmt Clemens Klockner nun vor allem Bezug auf die bundesdeutschen Universitäten - der notwendige Personalbestand aufgebaut wurde, noch die Realisierungsbedingungen auf Seiten der Studierenden ausreichend Berücksichtung gefunden haben.
Die Stellungnahme der FH Ludwigshafen verstehen wir auch als Symbol für die zunehmenden Boykotte des CHE-Rankings, wie sie unter anderem durch die Studierenden der Alice-Salomon-Hochschule Berlin und mehrere Institute an der Fakultät für Bildungswissenschaft in Duisburg-Essen durchgesetzt wurden.
Die gegenwärtige hochschulische Situation analysiert auch Friedel Schütte (Berlin) und kommt dabei im Unterschied zu Klockner zu sehr viel skeptischeren Einschätzungen. Er sieht die mit den "ordnungspolitischen Transformationen" formulierten Reformversprechen und -hoffnungen unter der Überschrift "Bologna" nach dem nun zehnjährigen Praxistest als hinfällig an. Mit dieser neuen "Ära der Systembildung und Systemsteuerung" werde, so Friedel Schütte weiter, vor allem das intellektuelle Feld bisheriger universitären Fachkulturen unterminiert. Er plädiert daher für eine radikale Abkehr von dem eingeschlagenen Weg und schlägt stattdessen den Ausstieg aus der Uniformierung der konsekutiven Studiengangsstruktur vor und eine bildungstheoretische Hinwendung zu einem Programm der Änderbarkeit von innerer und äußerer Natur des Menschen durch Wissenschaft und Aufklärung.
Alternative Formen der Wissensproduktion in der wissenschaftlichen und hochschulischen Praxis zu etablieren, ist auch Motivation und Ziel der Überlegungen von Oliver Brüchert (Frankfurt a.M.). Mit Blick auf die gegenwärtigen Stratifizierungsprozesse, die an den bundesdeutschen Hochschulen unter der Überschrift "Forschung und Lehre im Zeichen von Exzellenz" profiliert werden, reformuliert Brüchert das Modell der Einheit von Forschung und Lehre. Statt einer permanenten Reproduktion der etablierten - und im Zeichen der Exzellenz sogar neu dynamisierten - Privilegierungsmuster müsse es um eine Verallgemeinerung von Bildung gehen. Diese illustriert Brüchert am Modell der Projektstudien als aktiver Teilnahme der Studierenden an realen Forschungsvollzügen.
Die Redaktion