Schöner Wohnen II - Wohnung, Wohnen und soziale Arbeit

Schwerpunkt

Ausgrenzung und Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt

Im Laufe des Jahres 2012 ist die neue Wohnungsnot auf den Titelseiten der großen Zeitungen und Magazine angekommen. Die Vernachlässigung des Baus von erschwinglichen Wohnungen, die starke Reduktion des sozialen Wohnungsbaus, der Abbau von gesetzlichen Regelungen zur Mietpreisdämpfung, die Spekulation mit Wohnraum und die Folgen der Finanzmarktkrise haben in vielen Regionen Deutschlands zu stark steigenden Mieten – in einigen Großstädten zu geradezu explodierenden Neuvertragsmieten – und insgesamt zu einem Mangel an günstigem Wohnraum geführt. Die schmerzhaften Auswirkungen dieses Mangels werden inzwischen bis weit in die Mittelschichten spürbar.

Festivalisierte Problembearbeitung Die bevölkerungspolitische Strategie der IBA Hamburg, die Abwesenheit sozialer Arbei in der Stadtentwicklungspolitik und die Effekte auf Wohnverhältnisse in Wilhelmsburg

Vor 12 Jahren attestierte Stefan Lanz in seinem Beitrag in den Widersprüchen jenen stadtentwicklungspolitischen Programmen, die sich gegen die soziale Polarisierung in Städten richteten (vor allem im Rahmen der Städtebauförderung und des Bund-Länder Programms Soziale Stadt) eine Problemverschiebung auf die Ebene der Stadtteile (vgl. Lanz 2000). Sie zeichneten sich unter anderem durch eine hegemoniale Repräsentation aus, die benachteiligte Quartiere durch ihre Abweichung von der Mehrheitsgesellschaft definiert (Lanz 2000: 41). Als Reaktion auf eine drohende Abwärtsspirale entwickelten Kommunen eine Angebotspolitik für Mittelschichten (ebd.: 41). Von Instrumentarien, die eine Verdrängung ärmerer BewohnerInnen verhindern sollen, sei in der Folge keine Rede mehr. Wenige Jahre später wurde in Hamburg-Wilhelmsburg ein anderes Stadtentwicklungsprogramm zum Einsatz gebracht, das sich nur auf den ersten Blick stark von den Programmen der Sozialen Stadt unterscheidet.

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Erklärung der Protestbewegung der Geflüchteten in Deutschland

Mit dem Beginn des Streikes in Würzburg ist seit dem 19. März 2012 die Bewegung für die Verteidigung der Rechte von Asylsuchenden in eine neue Phase eingetreten. Diese Bewegung fügt ein weiteres Blatt in die Historie der Geflüchtetenbewegung. Wir, die kämpfenden und protestierenden Geflüchteten, sind von Würzburg eine 600 km lange Strecke nach Berlin gelaufen. Auf diesem Wege haben wir die Gesetze, gegen die wir protestieren, konkret durch zivilen Ungehorsam aufgehoben. Bewusst haben wir während dieses 600 km langen Marsches die Residenzpflicht öffentlich gebrochen. Wir haben die Isolationslager für Flüchtlinge boykottiert. Weitere kämpfende Geflüchtete haben sich uns auf dem Wege angeschlossen. Heute stehen wir entschlossen, transparent und öffentlich hier auf der Straße. Und die, die uns abschieben wollen, sollen versuchen, hierhin zu kommen und uns hier mitten im Zentrum der öffentlichen Macht, also hier auf der Straße, festzunehmen und abzuschieben.

Residenzpflicht

Die Abschaffung der Residenzpflicht war ein wichtiges Anliegen des Protestmarsches der Flüchtlinge, die Anfang September 2012 in Würzburg aufbrachen, um ihren zu dem Zeitpunkt schon Monate dauernden Kampf gegen ihre Lebensumstände und die Nicht-Anerkennung als Flüchtlinge nach Berlin zu tragen. Wie einschneidend dieses Ausnahmegesetz sich auf politische Aktivitäten der Flüchtlinge auswirkt wurde schon während des Marsches klar. Je näher die Protestierenden der bayerisch-thüringischen Grenze kamen, umso mehr stellten sich alle Beteiligten die Frage, wie die Polizei auf den Grenzübertritt reagieren würde. Denn die bayerisch-thüringische Grenze, die seit 20 Jahren nicht mehr als Grenze existiert und an deren damalige Bedeutung nur ein kleines Museum erinnert, diese Grenze stellte für den Protestmarsch durchaus eine nicht zu unterschätzende Hürde dar.

Hausbesuche in der sozialen Arbeit Traditioneller Ansatz - zu wenig reflektiert

Hausbesuche sind ein traditioneller methodischer Ansatz in der Sozialen Arbeit, der schon vor Jahrhunderten den Armenpflegern zur Unterstützung, aber auch Überprüfung von in Not geratenen Menschen diente. Der Kontrollaspekt trat im Laufe der Jahrhunderte immer stärker in den Vordergrund; auch bei den friendly visitors among the poor um Mary Richmond und der COS (Charity Organisation Society) in den USA (vgl. Richmond 1899) sowie dem Anliegen von Alice Salomon, Hausbesuche als ein mögliches Ermittlungsinstrument im Rahmen der Erstellung von sozialen Diagnosen zu nutzen (vgl. Salomon 1927). Das Dilemma zwischen Hilfe und Kontrolle zieht sich also wie ein roter Faden durch die Geschichte von Hausbesuchen und nimmt auch in der hier vorgestellten Studie einen großen Raum ein.

Das Private ist politisch Über öffentliche Eingriffe in privatisierte Gewaltverhältnisse

Im Focus des Artikels steht das Thema Partnergewalt und die Reflexion von darauf ausgerichteten Interventionen im sozialen Nahraum seitens der Sozialen Arbeit. Konkreter Bezugspunkt ist das Projekt StoP – Stadtteile ohne Partnergewalt, das seit 2010 im Hamburger Stadtteil Steilshoop umgesetzt und begleitend beforscht wird (vgl. Stövesand 2007a, 2011). Dem Projekt zugrunde liegt ein Handlungskonzept, das systematisch den Ansatz der Gemeinwesenarbeit mit Erkenntnissen der feministischen Forschung zur Gewalt im Geschlechterverhältnis verknüpft. Zentral ist die Erfahrung, dass Frauenhäuser, Beratungsstellen und Täterprogramme allein nicht ausreichend sind und auch der Ort, wo die Gewalt konkret stattfindet, in diesem Fall ist das in der Regel die Wohnung, in den Blick genommen werden sollte. Ziel ist dabei die Förderung von nachbarschaftlicher Einmischungsbereitschaft sowie der Veröffentlichungsbereitschaft von Gewaltbetroffenen und Gewaltausübenden.

Forum

Wer definiert, wie die Geschichte von repressiver Integration und moralisch legitimierter Ausschließung (wo und wann auch immer) zu erinnern und zu verantworten ist? Ein Beitrag zum Sinn der entrüsteten Skandalisierung des Grundkurs Sozial Arbeit von Timm Kunstreich und der Ev. Hochschule des Rauhen Hauses

Nach meiner zurückblickenden Beobachtung folgte der Konflikt um den Grundkurs Soziale Arbeit, genauer dessen Band II, an dem wiederum das inzwischen sogenannte Mannschatzkapitel interessierte, von Beginn an einem Muster, das mir nur allzu gut aus der Sympathisanten-Debatte und dem Deutschen Herbst in Erinnerung geblieben ist. Skandalisiert und Ende der 1970er mindestens symbolisch ausgebürgert wurden Sympathisanten des linken Terrorismus. Als Sympathisanten wurden vornehmlich prominente und politisch eingreifende Intellektuelle ausgesucht – aber auch die Jugend- und Studentenbewegung der 1960er Jahre (heute gelegentlich als Alt-68er diskreditiert) konnte in das Sympathisanten-Feld gebracht werden. Den Band II des Grundkurs Soziale Arbeit hat Timm Kunstreich 1998 veröffentlicht. Vierzehn Jahre nach der Veröffentlichung und Ingebrauchnahme in der Lehre, spätestens mit dem offenen Brief des sächsischen Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen an das Kuratorium und den Rektor der Evangelischen Hochschule für Soziale Arbeit und Diakonie - Das Rauhe Haus in Hamburg begann für mich als eine Art Zeitzeugin der Sympathisanten-Debatte ein Déjà-vu-Erlebnis: Ein Unternehmen der entrüsteten Skandalisierung.

Von guten und schlechten Opfern

Spätestens seit Peter Wensierskis Dokumentation Schläge im Namen des Herrn. Die verdrängte Geschichte der Heimkinder in der Bundesrepublik (2006) wissen wir um die psychischen Mechanismen, mit denen die Opfer repressiver gewaltförmiger Heimerziehung ihre Erfahrungen verarbeiteten. In der Regel verheimlichten sie diese, auch gegenüber ihren PartnerInnen, gaben sich noch als Erwachsene Schuld an dem ihnen zugefügten Leid und nahmen manches Mal sogar ihre Peiniger in Schutz. Erst durch die Veröffentlichung und den Kontakt mit anderen Opfern gelang es ihnen, das Verdrängte hervor zu holen, ein Selbst-Bewußtsein zu entwickeln, sich zu outen, über das ihnen angetane Unrecht zu sprechen, Zorn auf diejenigen, die für ihre Traumatisierungen und Beschädigungen verantwortlich waren, zu äußern, diese anzuklagen, Entschuldigungen und Entschädigung zu fordern. Einmal angestoßen entstanden in den vergangenen Jahren etliche Opfer-Initiativen, die mittlerweile weit über das Feld der Heimerziehung hinausreichen. Insofern ist jede Aufdeckung und Bekanntmachung von Unrecht, Schikanen, Missachtungen, Misshandlungen, die Kindern und Jugendlichen in HilfeInstitutionen angetan wurden/und noch werden, unbedingt zu begrüßen, zu unterstützen und soll Anlass für Erforschung, Aufklärung und Auseinandersetzung sein!

Stellungnahme zu der Auseinandersetzung um die Veröffentlichung eines Beitrags von Eberhard Mannschatz zur Sozialen Arbeit in der DDR im Grundkurs Soziale Arbeit, Band 2 (2001) von Timm Kunstreich

Im AKS Hamburg treffen sich seit Anfang 2011 in der Sozialen Arbeit Tätige und Interessierte, Prakti-kerInnen, MitarbeiterInnen und StudentInnen der Hamburger Hochschulen. Wir engagieren uns als po-litisch denkende Menschen und nicht als VertreterInnen einer Institution oder eines bestimmten Trägers. Wir beziehen hier Stellung zu der genannten Debatte um den Grundkurs Soziale Arbeit und ordnen diese vor dem Hintergrund unserer eigenen Position ein.

Rezensionen

Vom Sich-miteinander-Verwirren und der Möglichkeit des Neuen Über: Michael May: Jugendliche in der Provinz

Editorial

Die vorliegende Ausgabe der Widersprüche versteht sich als Fortsetzung von Heft 121 vom September 2011mit dem Titel "Schöner Wohnen? Wohnungspolitik zwischen Markt und sozialer Daseinsvorsorge". Dort ist mit unterschiedlichen Akzenten das Wohnen als gesellschaftliches und politisches Konfliktfeld umrissen worden. Im Zentrum des Konflikts steht dabei immer mehr oder weniger offen das Problem, dass die waren- und marktförmige Befriedigung des Grundbedürfnisses "Wohnen" soziale Ungleichheiten nicht nur reproduziert, sondern auch verschärft. Heft 121 wirft einen Blick auf Ursachen und Empirie dieser Ungleichheiten und auf Versuche, letztere zu regulieren, auszugleichen, zu bekämpfen.

Die gesellschaftliche Diskussion über Wohnungspolitik ist nach wie vor aktuell. Trotz regional sehr unterschiedlicher Wohnungsmärkte werden z.B. die Mietentwicklung, die sozialen Folgen energetischer Sanierung, die Folgen des Rückgangs des sozialen Wohnungsbaus zu einem explizit politischen Thema, sind doch die berühmten breiten Wählerschichten von diesen Entwicklungen existenziell berührt.

Wohnungsfragen waren auch schon im Heft 117 "Eigensinnige Alte" zur Sprache gebracht worden, dort vor allem unter Aspekten der Formen des Zusammenlebens im Alter.

In diesem Heft 127 liegt der Fokus darauf, wie "Wohnen" in der Praxis sozialer Arbeit vorkommt. Einen unmittelbaren Zusammenhang zu sozialer Arbeit gibt es bereits in Heft 121 vor allem im Beitrag von Volker Busch-Geertsema zu "Housing First", setzt er sich doch mit einem klassischen Feld sozialer Arbeit, nämlich der Wohnungslosigkeit auseinander. Dabei ist das Besondere des Housing-First-Ansatzes, dass er der Sozialpädagogisierung der Unmöglichkeit, eine Wohung zu bekommen, eine Absage erteilt. Die Versorgung mit normalem Wohnraum wird in diesem Ansatz systematisch getrennt von eventuell vorhandenen sozialen Unterstützungsbedarfen. Dies erfordert einen grundlegenden Paradigmenwechsel der in die Verwaltung der Wohnungslosigkeit eingebundenen sozialen Arbeit. Auf diesen Text wird hier deswegen explizit verwiesen, stellt er doch einen Vorschlag vor, der den tatsächlichen Abschied von paternalistischer und trägerorientierter Reaktion auf Wohnungslosigkeit ermöglichen könnte. Wir verweisen auch deshalb auf den Text, weil wir im vorliegenden Heft darauf verzichtet haben, Wohnungslosigkeit oder Obdachlosenarbeit als Feld sozialer Arbeit zu thematisieren. Denn das Zusammentreffen von sozialer Arbeit und Wohnen findet auch unabhängig von Fragen der Versorgung mit Wohnraum statt. Wir konzentrieren uns auf zwei Ebenen dieses Zusammentreffens:

Zum Ersten geht es um das Zusammenspiel von Marktfunktionen, politischen und sozialgesetzlichen Regelungen, Stadtentwicklungspolitiken, öffentlichen Diskursen und institutionellen Praktiken, die dazu führen, dass es Bevölkerungsgruppen mit schlechten Chancen auf dem Wohnungsmarkt oder gar keinem Zugang zu ihm gibt oder dass Bevölkerungsgruppen aus Wohngebieten verdrängt werden.

Zum Zweiten geht es um die Wohnung als Lebensort und damit auch als Interventionsfeld sozialer Arbeit in ihrer Doppeltheit von Hilfe und Herrschaft. Wohnung als grundgesetzlich geschützte Privatsphäre trifft hier auf öffentliche Interessen, normative Vorstellungen der richtigen Lebensführung, Unterstützungswünsche und Schutzbedürfnisse von Personen in ihrer Wohnung.

In beiden Ebenen werden auch Fragen nach (emanzipatorischen) Handlungsmöglichkeiten von professionellen wie nichtprofessionellen, staatlichen wie nichtstaatlichen Akteuren aufgeworfen.

In diesem Heft fehlt zweifellos die Erinnerung an die Geschichte der Anstalt als Form des Wohnens für Adressaten sozialer Arbeit - vor allem in den Feldern der Jugendhilfe, Behindertenhilfe und Wohnungslosenhilfe -, Psychiatrie und Strafjustiz und die Betrachtung ihrer Gegenwart: In welchem Varianten lösen sich Anstalten auf oder in welchen kehren sie wieder? Wir bieten deshalb unser Forum in künftigen Heften als Ort an, diese Geschichten zum Thema zu machen.

Zu den Beiträgen im einzelnen

Stephan Nagel klärt in seinem Beitrag auf, wie Ausgrenzung und Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt funktionieren. Er zeigt, welche Bevölkerungsgruppen diesen Prozessen unterworfen sind, und er diskutiert die Grenzen einer Politik, die die Wohnungsnot dieser Menschen allein durch den Neubau von Wohnungen bekämpfen will. Der Vollzug von Ausgrenzung und Diskriminierung wird von ihm auf verschiedenen Ebenen veranschaulicht. Dazu gehören die gesetzlichen Regelungen der "Kosten der Unterkunft" im Sozialgetzbuch II ebenso wie öffentlichkeitswirksame Diskurse über "Sozialmieter" oder politische Programmatiken der "sozialen Mischung" von Stadtteilen, die auffälligerweise immer auf Stadtteile zielen, in denen mehrheitlich arbeitende und nicht lohnarbeitende arme Menschen oder Menschen im "prekären Wohlstand" leben. Politisch sehr bedeutsam ist auch sein Blick auf die konkrete Praxis der Anbieterseite des Wohnungsmarktes, wenn er Praktiken der Wohnungszuteilung und -verweigerung von Wohnungsgesellschaften darstellt. Abschließend schlägt der Autor Handlungsmöglichkeiten der sozialen Arbeit als Akteurin in der kommunalen Politik vor.

Die Thematisierung der sozialen Spaltung wird in dem Text von Florian Hohenstatt und Moritz Rinn aufgegriffen. Am Beispiel aktueller Entwicklungen anlässlich der Internationalen Bauaustellung (IBA) 2013 in Hamburg beschreiben sie eine stadtpolitische Strategie der Aufwertung und des Bevölkerungsaustauschs für die Stadtteile, die zum Aufführungsort der IBA werden. Die sich hier vollziehende Stadtentwicklungsstrategie wird von den Autoren unterschieden von und in Beziehung gesetzt zu den klassischen Politiken der sozialen Stadt. Dabei gelangen sie zur Erkenntnis, dass die vorgestellte Strategie sich genau von den Anteilen an sozialer Arbeit befreit, denen Kritiker der sozialen Stadt-Programme noch eine sozial- und stadtpolitisch ambivalente Wirkung zugeschrieben hatten.Der Text erzählt von den Veränderungen in den Wohn- und Lebensverhältnissen, benennt Akteure und berichtet von sozialen Konflikten, die sich im Rahmen einer Stadtentwicklung als Standortvermarktung artikulieren.

Matthias Schmidt und Bernd Kasparek thematisieren die Sonderbehandlung von Flüchtlingen. Ihre Bewegungsfreiheit ist durch die Residenzpflicht genauso beschränkt wie die ihre Möglichkeit, in Wohnungen zu wohnen. Lager sind nach wie vor der vorherrschende Ort für sie. Aus Wohnen wird so Unterbringung. Die Autoren beschreiben die weitgehenden Möglichkeiten der Freiheitseinschränkung durch die Behörden und berichten vom Widerstand von Flüchtlingen gegen diese aufgeherrschte Art des Wohnens und Lebens. Ergänzend zu diesem Artikel dokumentieren wir die Erklärung der Geflüchteten vom Protestzug 2012 nach Berlin.

Die Wohnung bzw. die Nachbarschaft als Ort von Konflikten und sozialer Arbeit wird in den Beiträgen von Susanne Gerull und Sabine Stoevesand zum Thema. Susanne Gerull diskutiert Hausbesuche als traditionellen Ansatz der sozialen Arbeit. Auf Basis einer arbeitsfeldübergreifenden Befragung von SozialarbeiterInnen und AdressatInnen sozialer Arbeit zu Hausbesuchen zeigt sie die unterschiedlichen Perspektiven auf den "Besuch vom Amt" und kommt zu der begründeten These, dass das Instrument des Hausbesuchs "die Ambivalenzen und Paradoxien der sozialen Arbeit wie in einem Brennglas" bündeln. Das Forschungsprojekt liefert gute Argumente dafür, sich der Entwicklung von Standards für Hausbesuche und der verstärkten Evaluation des Instruments anzunehmen. Neben dieser Perspektive gibt der Text auch einen Überblick über gesetzliche Grundlagen für Hausbesuche.

Sabine Stoevesand setzt sich in ihrem Beitrag mit der Frage auseinander, wie die soziale Arbeit zivilgesellschaftliche Netzwerke stärken kann, um öffentliche Eingriffe in privatisierte Gewaltverhältnisse, vor allem in Form von Gewalt gegen Frauen, zu ermöglichen. Dieser Ansatz begibt sich in das komplizierte Handgemenge von unterschiedlichen Strategien sozialer Kontrolle und beansprucht eine emanzipatorische Bearbeitung der vorfindbaren Ambivalenzen zwischen Blockwartmentalität, Kriminalprävention, Opferschutz und nachbarschaftlicher Delegitimierung männlicher Gewaltausübung. Die Autorin beschreibt die Geschichte der gesellschaftlichen Konstitution der Wohnung als privatem Ort von Unterordnungsverhältnissen und diskutiert Handlungsmöglichkeiten gegen häusliche Gewalt vor dem Hintergrund der Verwobenheit von Hilfe und Kontrolle in nachbarschaftlichen Netzwerken. Vorgestellt werden schließlich handlungsleitende Prinzipien, die eine sich emanzipatorisch verstehende Praxis in diesem Feld reflektieren muss.

Im Forum veröffentlichen wir drei Beiträge zum öffentlichen Umgang mit einem Lehrbuch Sozialer Arbeit und der politischen Position seines Autors. Der "Grundkurs sozialer Arbeit", den unser Redaktionsmitglied Timm Kunstreich 1997 veröffentlicht hatte und der seither in etlichen Hochschulen für soziale Berufe, u.a. auch in der Evangelischen Hochschule für Soziale Arbeit und Diakonie mit vielen Studierenden diskutiert worden war, ist im Frühjahr 2012 Anlass zu einer besonderen Debatte über Jugendhilfe in der DDR geworden. Die Besonderheit liegt u.a. darin, dass die Debatte alte Argumentationsschemata wiederbelebte, die sowohl Timm Kunstreich als auch unserer Zeitschrift quasi Kumpanei mit dem Herrschaftssystem der DDR und repressiver Jugendhilfe unterstellt. Ihren Ausgang hatte diese Geschichte in der Entscheidung einer Studentin, nicht mehr an einem Studiengang der Ev. Hochschule in Hamburg teilnehmen zu wollen, in dem ein Text des Erziehungswissenschaftlers Eberhard Mannschatz verhandelt wird, der an leitender Stelle im entsprechenden Ministerium der DDR für Programm und Praxis der Jugendhilfe mitverantwortlich war. Dieses Ereignis wurde von verschiedenen Seiten politisch prominent aufgegriffen, und in der Folge erschienen nicht nur die bekannten Zeitungsartikel, sondern es wurden auch verschiedene Fachtagungen zur Jugendhilfe in der DDR und den daraus zu ziehenden Lehren durchgeführt. Die Texte im Forum betrachten die Ereignisse mit spezifischen Blickwinkeln. Der Arbeitskreis Kritische Sozialarbeit Hamburg benennt in seiner Stellungnahme die Stationen und Positionen der Debatte, interpretiert sie als Konflikt um Deutungshoheiten und fordert dazu auf, sich gegen jegliche Form repressiver Jugendhilfe zu wenden. Helga Cremer- Schäfer erinnert an die Sympathisantendebatte der 1970er Jahre und stellt bei aller Unvergleichbarkeit der Vorgänge vom Inhalt her eine Gleichheit von Mustern im Verhalten der beteiligten Akteure fest. Barbara Rose thematisiert, wie Erfahrungen und Perspektiven der Opfer solcher autoritären Formen der Jugendhilfe hierarchisierenden Bewertungen unterliegen und politisch und medial instrumentalisiert werden.

Die Redaktion